Eine Rezension von Daniela Ziegler


Vom Krimi zur Phantasiereise; zwei historische Romane

Lindsey Davis: Bronzeschatten
Roman.
Knaur Taschenbuch, München 1998, Bd.7115, 589 S.

Hanns Kneifel: Telegonos. Sohn der Liebe
Roman.
Bastei-Lübbe, Bergisch Gladbach 1998, Bd. 12856, 764 S. im Schuber

Zwei Historienromane, so recht als Lesevergnügen für lange Winterabende geeignet: Davis’ Krimi wird durch eine Landkarte, einen Plan von Rom, einem Register für das menschliche und tierische Personal und durch hübsche Kapitelvignetten mit den Zitaten antiker Schriftsteller ergänzt, Kneifels mythologisches Reisebuch weist zwar Landkarten, umfangreiche Erläuterungen, ein ausführliches Nachwort des Autors, einen Glossar und eine Götter-Genealogie auf.

Zunächst zum „römischen“ Krimi der englischen Autorin: Schon im Band Silberschweine (Knaur Bd. 60023) lernte man den Privatvermittler Marcus Didius Falco kennen, der sein literarisches Vorbild in Chandlers Sam Spade oder Philipp Marlowe findet und wie dieser ein mit allen Wassern gewaschener Abenteurer ist. Der Charakter scheint in der Luft zu liegen. Er begegnet uns auch bei Steve Saylor, Das Lächeln des Cicero (rezensiert in: Justina, verliebt. Eine denkbar unpassende Liebe, da eine Senatorentochter keinen mittellosen Privatvermittler heiraten kann.

Was den Lesefluss erheblich stört, ist, daß sich die Autorin leider in Nebenhandlungen verzettelt. Geschwätzig vorgetragene Familienepisoden und Erinnerungen an vergangene Ruhmestaten sowie unzählige lockere Seximen langweilen mit der Zeit. Auch das erotische Hin und Her zwischen Falco und Helena wirkt eher ermüdent als spritzig.

Was außerdem irritiert, ist die Sprache: Die Autorin (und/oder die Übersetzerin Christa Seibicke) hat sich für einen flapsigen Grundton à la Chandler entschieden, der allerdings nicht konsequent durchgehalten wird, wodurch unangenehme Reibungen entstehen. Die locker-flockige Sprache soll dem Leser vermutlich auf heitere Weise suggerieren, daß die alten Römer auch nicht anders waren als wir.

Gern genommen werden Verben wie feixen, mampfen, grummeln, frotzeln, verputzen, zockeln und sabbeln oder Worte wie Penthouse, Möbel Marke Eigenbau, Frust, Playboy, Callgirl, Tinnef, Ringelpiez und Flirt. Gibt es nicht zeitgemäße Ausdrücke wie zum Beispiel voll geil oder hundert pro ...? Aber im Ernst: Kann man für eine antike Szenerie einen Ausdruck wie Kalter Kaffee! (S. 288) benutzen, wenn es in Rom noch gar keinen Kaffee gegeben hat?

Widersprüchlich wirkt die gleichzeitige Vorliebe für französische Vokabeln wie Jeunesse dorée, Separée, Billetdoux und Trompe-l’oeil; außerdem muß der Leser so gebildet sein zu wissen, was ein Cryptoporticus, dekutiv ist, und muß er die Warnung vor einem bissigen Hund („Cave canem“) kennen, die in Form eines Bodenmosaiks in mehreren pompejanischen Häusern gefunden wurde.

Das mag noch angehen. Wozu gibt es schließlich Wörterbücher und Lexika? Schwierig wird’s dann, wenn man Wörter partout nicht findet ...! Beispielsweise ist zwar der zweite Wortbestandteil von Kachellambris (S.42) als griechisch zu identifizieren (lampros = leuchtend, glänzend, licht; lampter = Leuchtbecken, Fackel, Leuchter), aber die Verbindung mit Kachel- existiert nicht. Hier muß es sich um einen Übertragungsfehler aus dem englischen candelabra handeln. Beim Borragotee (S. 310), den Helena Justina trinkt, handelt es sich um unser Salatkraut, lateinisch borago, englisch borage, das als Tee gegen Rheuma, Husten und Halserkrankungen hilft. Warum nicht gleich Borretschtee? Und: Falco hätte seiner Angebeteten in Rom keinen Rosenstrauß (S. 547), sondern höchstens eine Rosengirlande geschickt. Sträuße gab es nicht. In griechischen Vasen standen niemals Blumensträuße! In der Antike wäre es höchst unanständig gewesen, wenn eine geschiedene (!) Senatorentochter (!) Wein (!) in einem Restaurant (!) getrunken hätte (S. 262). Auch hat kein Römer aus einem Weinglas mit einem „weißschimmernden Stiel“ (S. 54) getrunken, da Gläser nur in Becherform existierten.

Hat der Knaur Verlag keine Korrektoren? Dann hätte man auch ärgerliche Trennungen (lat-schte) vermeiden können. Auch ein Glossar wäre nicht schlecht gewesen. Da wäre ich mal gespannt gewesen, was da unter Kachellambries steht ...

Das ganze bombastische, personenreiche Durcheinander erinnert an ein italienisches Sandalen-B-Movie der 60er Jahre. Da weiß man manchmal auch nicht, worum es eigentlich geht, wenn Herkules und Machiste und die anderen Männer mit tollen Oberkörpern Reden und Keulen schwingen.

Nun nach Griechenland: Telegonos, der Ferngezeugte, ist der Sohn der Kirke von Aiaia und des listenreichen Dulders Odysseus. Im Mythos macht er sich auf große Fahrt, trifft seinen Vater und ermordet ihn, ohne ihn zu kennen. Dann heiratet er seine Stiefmutter Penelope und Telemach ehelicht im Gegenzug die Zauberin Kirke.

So weit so gut. Kneifel hat den Mythos auf eigene Weise gesponnen. Bei ihm sucht der erwachsene Telegonos bewußt nach seinem Vater und erfüllt so das Schicksal der unehelichen Kinder, die eines Tages nach der zweiten Hälfte ihrer Geschichte suchen.

Mit Kirkes zauberischer Hilfe bauen der Ägypter Pentawer und Teleganos ein Schiff, das sie Anomata (die Namenlose) taufen. Auf seiner Fahrt erweist sich Telegonos als klüger und besonnener als sein Vater und kommt sogar weiter als er. Den Windzauber des Aiolus benutzt er erst gar nicht; bei den Lotosessern, die ohne Gedanken an die Zukunft in den Tag hineinleben, nimmt er mit, was er kriegen kann, ist aber mit Drogenkonsum vorsichtig; obwohl auf der Kyklopeninsel die einäugig scheinenden Bewohner mit Steinen nach der Anomata werfen, hält er sich vornehm zurück; auf Kreta, wo er mit seinen Gefährten überwintert, zeugt er mit seiner Gefährtin Theris - klüger als sein Vater! - keinen unehelichen Sohn, den er dann verläßt, der dann eines Tages seinen Vater suchen und ihn vielleicht erschlagen wird ... Er verliert nur einen einzigen Gefährten, erleidet nur einmal Schiffbruch, muß nie hungern oder frieren, ist nie einsam und verlassen, findet immer liebeswillige Frauen - aber ist er nicht furchtbar langweilig?

Worauf soll dieser detaillierte Reisebericht durch die antike Welt hinauslaufen? Darauf, dass Telegonos lieber denkt als handelt? Dass er ein Zweifler ist, der sich von der Angst vor den Göttern nicht beeindrucken lassen will?

Wofür stehen aber die ermordeten Mischwesen auf Kreta? Der tote Kentaur und der erschlagene junge Satyr? Wofür steht die alte, stinkende Riesin mit dem Stierhelm auf dem Kopf, von der während des Gesprächs mit Telegonos die Bestandteile ihrer Rüstung abfallen wie abgestorbene Blätter? Wie oft wird die unheimliche Atmosphäre einer Landschaft, einer Stimmung, einer Begegnung beschworen, aber so gut wie nie aufgelöst. Metaphern über Metaphern, Rätsel über Rätsel.

Wo Davis’s Sprache zwischen Bildungsanspruch und pseudomoderner Flapsigkeit schwankt, klinkt Kneifel meist gestelzt und altertümelnd, was zur Modernität des Zweiflers Telegonos im Gegensatz steht. Besonders auffallend wirkt die Bemühtheit der Sprache bei den häufigen erotischen bzw. sexuellen Szenen (z.B. eine Frau beschlafen, Gemächt, sich ergiessen, sich erleichtern). Nein, Kneifel spart nicht mit Erotik, was an sich auch ganz schön wäre, wenn sich der Autor nicht stellenweise in Altmännerphantasien eines Louis Begley hineinsteigerte, die auf den letzten Buchseiten in Vergewaltigungen ausarten. Schade.

Trotz sprachlicher Gestelztheit und Undurchsichtigkeit des literarischen Ziels ist Kneifel zweifellos der bessere Stilist und der redlichere Rechercheur als Davis, was z.B. dadurch zum Ausdruck kommt, dass er auf der Basis seiner fundierten Griechenland-Kenntnisse eine Reihe altgriechischer Denkmäler liebevoll und detailreich aufleben lässt.

Dennoch: Für die langen Winterabende greife man besser auf Bewährtes zurück, auf Bulwer-Lyttons, Die letzten Tage von Pompeij oder am besten gleich zur Odyssee.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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