Eine Rezension von Jan Eik


Er geht seinen Gang

Sabine Brandt: Vom Schwarzmarkt nach St. Nikolai

Erich Loest und seine Romane.

Linden-Verlag, Leipzig 1998, 192 S.

Erscheinen die Werke eines Autors im Selbstverlag, ist üblicherweise Vorsicht angesagt - wird im gleichen Verlag auch noch eine Hommage auf diesen (den einzigen) Verlags-Autor publiziert, mag sich das Mißtrauen verstärken. Im Fall von Erich Loest, der seine Bücher seit 1989 im familieneigenen Linden-Verlag zuerst in Künzelsau und ab 1990 endlich wieder in Leipzig verlegt, ist beides unangebracht.

Sabine Brandt, ehemalige Ost-Berlinerin, spätere Literaturkritikerin der Frankfurter Allgemeinen und Redakteurin der Deutschen Welle, hat im Linden-Verlag ein sehr nüchternes und unaufwendiges Buch über Erich Loest vorgelegt, jenen deutschen Schriftsteller, der mit seinem Leben und Werk mehr als die meisten anderen die Nachkriegsentwicklung in beiden Teilen Deutschlands repräsentiert. Es ging seinen Gang hieß die Festschrift zu Loests 70. Geburtstag, und sie hätte auch heißen können: Er ging seinen Gang. Er, Erich Loest, 1926 im zentralsächsischen Mittweida geboren - eine Stadt, bekannt geworden durch ihr renommiertes Technikum und als zeitweiliger Haftort Karl Mays -, HJler, Kriegsfreiwilliger, beinahe SS-Mann und Werwolf, nach kurzer amerikanischer Gefangenschaft verhinderter Landwirtschaftsstudent und kurzentschlossener Journalist, schrieb als 23jähriger seinen ersten Roman, erntete erste Parteikritik und wurde dennoch freier Schriftsteller. Bis 1957 erschienen zahlreiche Erzählungen und zwei weitere Romane, von denen Die Westmark fällt weiter der Partei besser ins Konzept paßte als wenig später der Autor selbst, der, inzwischen zum Vorsitzenden der Leipziger Schriftsteller avanciert, in Ungnade fiel und verhaftet wurde.

Auch als Erich Loest 1964 nach sieben Jahren Haft aus dem berüchtigten Stasi-Knast Bautzen II entlassen wurde, fiel keineswegs die Gnadensonne der DDR-Oberen auf ihn, der sich kaum in ihrem Sinne gewandelt hatte, wie sie zurecht befürchteten. Loest verhielt sich still, schrieb vorerst eine bittere Satire auf die Nazizeit, dazu humoristische Kurzgeschichten, Kriminal- und Abenteuerromane, auf die in der DDR ein großes Publikum wartete. Erst 1968 erschien mit Der Abhang wieder ein Roman, der an das Erstlingswerk Jungen die übrig blieben von 1950 anknüpfte. 1969 und 1973 folgten der Sportler-Roman Der elfte Mann und Schattenboxen, ein Buch, dessen Stoff der Autor aus Bautzen mitgebracht hatte. Erich Loest war endgültig in der DDR-Gegenwart angekommen.

Sein nächstes Buch, der letzte Roman mit DDR-Thematik, der in seinem Ursprungsland erscheinen durfte, brachte Loest „über den Rubikon“, wie Sabine Brandt sich ausdrückt. Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene, im Frühjahr 1978 gleichzeitig in beiden Teilen Deutschlands veröffentlicht und in der DDR ein Jahr später in einer kleinen Rechtfertigungs-Auflage einmalig wiederaufgelegt, überforderte die zu Beginn der Honecker-Ära vorgetäuschte Toleranz der Zensurbehörde denn doch beträchtlich. Zwar folgte mit dem Karl-May-Roman Swallow, mein wackerer Mustang eine allerletzte DDR-Veröffentlichung, im März 1981 aber wich der Autor dem nach Biermann-Ausbürgerung und Schriftsteller-Protest stetig wachsenden Druck und reiste in den Westen aus, die Vorarbeiten für den nächsten Roman im Gepäck.

Mit Völkerschlachtdenkmal (1984), Zwiebelmuster (1985), Froschkonzert (1987) und Fallhöhe (1989) legte Loest in seiner neuen, ihm immer noch fremden Heimat in schneller Folge seine nächsten Romane vor, nachdem er sich in Durch die Erde ein Riß. Ein Lebenslauf bereits 1981 den gröbsten Frust gegen die Machthaber in der scheinbar verlorenen wirklichen Heimat von der Seele geschrieben hatte.

Anfang 1990 saß Erich Loest, der sich im Westen zum Ärger der Funktionäre des DDR-Schriftstellerverbandes im VS (Verband deutscher Schriftsteller in der IG Medien) engagiert hatte, im Plenum des außerordentlichen und letzten Kongresses der DDR-Schriftsteller, und es war klar, daß der “bekennende Sachse“ bald nach Leipzig zurückkehren würde. Dazu kam es endgültig erst 1998, denn von 1993 bis 1997 wählte ihn der nunmehr gesamtdeutsche VS zum Vorsitzenden - ein keineswegs sonderlich dankbares Amt, das Loest wie kein anderer in dieser Zeit nachträglicher, nachtragender und neuer Konflikte auszufüllen vermochte und dabei als gewohnt harter Arbeiter dennoch Zeit für seinen großen Leipziger Roman Nikolaikirche (1995) fand. Zuvor war neben Loest’s Abrechnung mit seinen Stasi-Überwachern 1992 sein Wende-Roman Katerfrühstück erschienen.

Wie es der Titel verspricht, handelt Sabine Brandt in neunzehn knappen Kapiteln Loests Leben und Werk anhand seiner elf „ernstzunehmenden“ Romane ab; deutscher Germanistentradition entsprechend bleiben die (zumeist unter Pseudonym verfaßten) Kriminal- und Abenteuerromane außen vor, wohingegen der Karl-May-Roman - auch als ein Schlüsselroman zu Loests eigenen Hafterlebnissen - ungewohnte Gnade findet.

Wer sich über Loests Hauptwerk und die wichtigsten Stationen seines Lebens informieren will, ist mit Sabine Brandts schmalem Band gut beraten. Sie neigt nirgendwo zu übertriebenen Urteilen, bekennt mitunter zurückhaltend das Unvermögen zur Einschätzung aller Nebenumstände in der verworrenen Verlags- und Zensurlandschaft der DDR, denen Loest so stark unterlag wie viele andere DDR-Autoren. „Was Loest zu erzählen weiß, ist aus seinem Leben und daher aus unser aller Jahrhundert gegriffen“, schreibt die Autorin in ihrem Schlußkapitel „Erich Loest - ein deutscher Erzähler“: „Genau genommen sind dem Deutschen Erich Loest alle wesentlichen Malaisen zuteil geworden, die unsere Ära für Deutsche bereit hielt. Und was immer ihm geschah, er hat, indem er es aufschrieb, immer allen alles erzählt. Wenn man seine Bücher gelesen hat, weiß man eine Menge von unserer nationalen Geschichte in diesem Jahrhundert ...“

Das ist viel mehr, als man über das Werk vieler anderer Schriftsteller sagen kann.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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