Eine Rezension von Gerhard Keiderling


Berlins Verwaltung nach der Einheit

Ernst R. Zivier: Verfassung und Verwaltung von Berlin

Berlin Verlag Arno Spitz, Berlin 1998, 3. neubearb. Aufl., 532 S.

Seit seinem erstmaligen Erscheinen im Jahr 1990 hat dieser Grundriß vielen Juristen, Verwaltungspraktikern, Historikern, Politikern und Studenten geholfen, sich in der wechselvollen Verwaltungsgeschichte Berlins und noch mehr im Gestrüpp verfassungs- und verwaltungspolitischer Gesetze, Bestimmungen und Ordnungen der Gegenwart zurechtzufinden. Der namhafte Berliner Staats- und Verwaltungsrechtler Ernst R. Zivier, der schon 1973 im gleichen Verlag eine Untersuchung zum „Rechtsstatus des Landes Berlin“ vorlegte, hat die Entwicklungen seit der Wiederherstellung der städtischen Einheit im Jahre 1990 in dieser Neuauflage registriert und eingearbeitet, so daß sich der Umfang um gut 200 Seiten erweiterte.

Der Teil I beinhaltet einen verwaltungsgeschichtlichen Überblick in drei Kapiteln: von der Steinschen Städteordnung 1808 bis zum Zusammenbruch des NS-Reiches, vom Neubeginn unter alliiertem Dach 1945 bis zur Wiederherstellung der städtischen Einheit 1990 und schließlich die Entwicklungen seither. Auch wenn es für die aktuelle Verfassungs- und Verwaltungspraxis höchstens noch einen historischen Bezug hat, so wird der Zeitraum 1945-1989/90 recht knapp abgehandelt. Die zwangsläufige Folge sind einige mißdeutbare Kommentare und eklatante Fehler. Was den jahrzehntelang strapazierten „Viermächtestatus Berlins“ eigentlich ausmachte, erfährt der Benutzer höchst unvollständig. Natürlich gehörte zu den „Grundlagen des Besatzungsrechts“ auch das Alliierte Kontrollratsabkommen vom 14. November 1944, wie es in der Erstauflage noch Erwähnung fand. Schließlich war die Alliierte Kommandantur der Stadt Berlin eine Art Unterorgan des Alliierten Kontrollrats. Die administrative Spaltung der Stadt wird einseitig als Resultat des Rückzugs der Sowjetunion aus Kontrollrat und Kommandantur gewertet, wo doch Historiker mit Blick auf den Währungskonflikt zu ausgewogeneren Urteilen gekommen sind.

Leider sind einige krasse Fehler der Erstauflage nicht korrigiert worden. So wurden nach Kriegsende sämtliche 20 Bezirksverwaltungen schon bis Mitte Mai 1945 gebildet, später gab es lediglich Umbesetzungen (S. 27). Der erste sowjetische Stadtkommandant gab seinen Befehl Nr. 1 am 28. April 1945 und nicht am 24. August 1945 bekannt (S. 29). Als die Alliierte Kommandantur ihre Vorläufige Verfassung herausgab, existierten noch gar keine „gewählten deutschen Stellen“ (S. 31). Die SED-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung bestand aus 26 und nicht 23 Mitgliedern (S. 34). Die Stadtverordnetenversammlung verlegte am 6. September und nicht am 6. Juli 1948 (in der Erstauflage sogar 6. Juni) ihren Sitz in die Westsektoren (S. 33). Verwirrend auch der Satz: „Erst nachdem es im Dezember 1948 zur administrativen Spaltung der Stadt gekommen war [...], wurden im November 1948 die Arbeiten an der [Berliner] Verfassung wieder aufgenommen.“ (S. 35)

Was den Rechtsstatus West-Berlins zwischen 1948 und 1990 angeht, so verweist der Verfasser zwar auf den inzwischen obsolet gewordenen Theorienstreit zwischen der Rechtsauffassung der Westmächte und der „deutschen herrschenden Rechtslehre“ (S.43). Dennoch wäre eine Klarstellung dessen, was „Berlin“ in seiner Teilungsperiode darstellte, wünschenswert gewesen. Immerhin hat der Hamburger Völkerrechtler Ingo von Münch unlängst in einem Rechtsgutachten eingeräumt, die Formel „Groß-Berlin“ im Grundgesetz und somit auch die amtliche Bezeichnung „Land Berlin“ sei nie mehr als ein Synonym für „West-Berlin“ gewesen. Die im Buch verwendete Unterscheidung zwischen „Berliner Westsektoren“ und „Berliner Ostsektor“ geht wohl an den damaligen Realitäten vorbei. Hervorhebenswert ist der Abschnitt über die verfassungs- und staatsrechtliche Entwicklung Ostberlins zwischen 1948 und 1990, die erstmals in das Werk aufgenommen wurde. Er läßt zugleich die Notwendigkeit erkennen, dieses Thema forschungsmäßig zu vertiefen.

Die Übergangszeit zwischen 1990 und 1995, also von der Wiederherstellung der städtischen Einheit bis zur Annahme einer neuen Verfassung, findet eine gründliche Behandlung. Der Benutzer weiß es zu würdigen, die tiefgreifenden verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Veränderungen in dieser schnellebigen Zeit im Überblick vorzufinden.

Der Teil II ist der Berliner Verfassung vom 23. November 1995 gewidmet. Detailliert werden die das ganze Werk tragenden Grundsätze, die Grundrechte und Staatszielbestimmungen, die Volksvertretung (Abgeordnetenhaus) und die Gesetzgebung, die Landesregierung (Senat) sowie die Grundsätze der Verwaltung, Rechtspflege und Finanzen kommentiert. Verweise auf die Landesverfassung vor 1990 und auf Übergangsbestimmungen sowie die Hervorhebung der Neuregelungen verdeutlichen das langjährige Ringen um eine moderne Verfassung Berlins, die der parlamentarischen Demokratie und ihrer staatlichen Praxis neue Impulse verleiht. In gebührender Weise wird der Umstand gewürdigt, daß diese Verfassung erstmals in einer Volksabstimmung vom 22. Oktober 1995 von der Berliner Bevölkerung gutgeheißen wurde. Nunmehr gehören auch in Berlin Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid zum verfassungsrechtlichen Instrumentarium des Willensbildungs- und Gesetzgebungsverfahrens. Daß die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg in der Volksabstimmung vom 5. Mai 1996 noch keine Mehrheit fand, ist keineswegs ein Mißtrauen gegen plebiszitäre Verfahren einer unmittelbaren Demokratie.

Der Teil III beschäftigt sich eingehend mit dem Aufbau, der Zuständigkeit und der Arbeitsweise der Berliner Verwaltung auf ihren beiden Ebenen (Landes- oder Hauptverwaltung und Bezirksverwaltung). Auch hier wird der neueste Stand registriert und auf noch schwebende Regelungen wie die Bezirks- oder Gebietsreform hingewiesen. Im umfangreichen Anhang befinden sich die Verfassung von Berlin vom 23. November 1995 in der Fassung des 2. Änderungsgesetzes vom 3. April 1998, weitere wichtige Verwaltungsgesetze jüngsten Datums, der „Hauptstadtvertrag“ zwischen dem Bund und dem Land Berlin vom 25. August 1992 sowie eine Übersicht über die zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg geschlossenen Staatsverträge und Verwaltungsvereinbarungen.

Dem Wunsch des Autors, daß die vorliegende Neufassung „noch eine Zeit über die Jahrtausendwende hinaus Bestand haben wird“ (S. 5), steht nichts im Wege, denn es gibt nichts Vergleichbares. Für alle, die sich im (landes-) politischen Raum bewegen, ist dieses Werk ein unentbehrlicher Ratgeber, ein absolutes Muß. Darüber hinaus bleibt zu wünschen, daß sich viele - vor allem junge - Berliner mit ihrer Verfassung beschäftigen und sie kreativ nutzen.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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