Eine Rezension von Horst Koch


Heiße Lektüre im Kalten Krieg

Walter Schulz-Heidorf: Preis unbezahlbar - Die „Tarantel“: Heiße Lektüre im Kalten Krieg

Anita Tykve Verlag, Berlin 1997, 295 S., mehrere Abb.

Wer sich als Bewohner der DDR beziehungsweise Ostberlins in den fünfziger und frühen sechziger Jahren von der Volkspolizei oder der Stasi mit der „Tarantel“ im Gepäck erwischen ließ, wurde wegen Boykotthetze zu mehreren Jahren Zuchthaus verurteilt oder hatte andere Repressalien zu erwarten. Die 1950 in Westberlin gegründete „Satirische Monatsschrift der Sowjetzone“, an die ihr stellvertretender Chefredakteur Walter Schulz-Heidorf erinnert, war ungeachtet aller Unterdrückungsversuche der Staatssicherheitsorgane in der DDR weit verbreitet. Die drastischen Karikaturen über Stalin und Chruschtschow und seine „Pankower“ Handlanger, allen voran „Spitzbart“ Ulbricht und Wilhelm „III.“ Pieck, über die Unterdrückung des Aufstands vom 17. Juni 1953, die Zwangskollektivierung, leere Läden und rote Schulen kamen offenbar an. Wurde das Westberliner Tageszeitungen beigelegte beziehungsweise an dortigen Kiosken kostenlos abgegebene, vor allem aber mit der Post in den Osten verschickte und über andere Kanäle verbreitete Blatt pflichtgemäß beim Geheimdienst abgeliefert, und das war wenig genug, zeigten die bunten Hefte deutliche Lesespuren.

Chef und Motor des Satireblattes beziehungsweise der 1956, im Jahr des Ungarn-Aufstandes, gegründeten Bild- und Wortagentur „tarantelpress“ war Heinz Wenzel, der sich Heinrich Bär nannte, sein Stellvertreter Schulz-Heidorf hatte sich das Pseudonym Wolfram Wolf zugelegt. Konspiration war das A und O in der Arbeit an der handlichen Monatsschrift und an vielen Sonderausgaben der „Tarantel“, in der als Urheber der nicht existierende „Freiheitsverlag Leipzig“ angegeben wurde. Selbstverständlich blieben diese Tarnung und Teile des „Innenlebens“ der Tarantel den Sicherheitsorganen der DDR nicht verborgen. Ein kleines Heer von Agenten bis hin zur Putzfrau war auf die Redaktion in der Mommsenstraße beziehungsweise in der Stresemannstraße angesetzt. Das MfS startete mit mäßigem Erfolg immer wieder Versuche, die Arbeit der Texter und Zeichner zu sabotieren. Als 1968 der Verlag aufgelöst wurde, weil die Tarantel ihre eigentliche Zielgruppe, die Leser in der DDR und Ostberlin, wegen des Baus der Mauer nicht mehr erreichte und der durch Machenschaften der Stasi ins Schlingern geratene Pressedienst Probleme hatte, seine Beiträge vor allem über die Dritte Welt abzusetzen, wurden brisante Unterlagen über die festangestellten und die freien Mitarbeiter vernichtet. Die Daten sollten nicht in Mielkes Hände fallen. Schulz-Heidorf hat einiges Material behalten, aus dem er für seine Erinnerungen geschöpft hat. Dazu nutzt der lange beim Axel Springer-Verlag tätige Journalist und Buchautor sein gutes Gedächtnis. Nach dem Ende der DDR fand er in den Stasiunterlagen der Gauck-Behörde aufschlußreiches, oft auch belustigendes Material über den „Heinrich-Bär-Verlag“ und seine Erzeugnisse , die er, einschließlich der mühsam von Spitzeln gesammelten Angaben über das An- und Ausknipsen von Lichtern in Büroräumen, für seinen Bericht ausgewertet hat.

Die Erinnerungen sind gespickt mit Fakten und Namen, mit Anekdoten und Daten, mit Zahlen über Auflagen der „Tarantel“ und über die vielen Sonderausgaben (auch Fälschungen des SED-Zentralorgans „Neues Deutschland“). Man bekommt im zweiten Teil ein Bild über die sehr rege Bild- und Artikelagentur, „tarantelpress - tp“, über Dienstreisen und Gesprächspartner des Autors auf internationalen Konferenzen. Ein bienenfleißig arbeitender Chefredakteur mit einem aus seiner Verfolgung durch den sowjetischen Geheimdienst resultierenden unbezähmbaren Haß auf alles, was nach Kommunismus aussieht, wird lebendig, ein Mann mit den in solchen Positionen wohl üblichen Macken und Ticks und einem Hang zum Alkohol. Ein unter starkem Leistungsdruck und in ständiger Furcht vor Angriffen und Entführungsversuchen der Stasi und der Sowjets stehendes Team von Schreibern und Karikaturisten gerät ins Bild. Das ist alles korrekt mit Namen und Adressen wiedergegeben, doch kommt trotzdem beim Leser nicht der rechte Spaß auf, denn die überlangen Aufzählungen atmen wenig vom Geist jener Zeit, von den politischen und ideologischen Auseinandersetzungen im Kalten Krieg, als man hüben und drüben bei der Herstellung von Fälschungen und Verbreitung von Lügen nicht zimperlich war und beiderseits des Eisernen Vorhangs (der bis 1961 ja noch durchlässig war) eher mit der Keule zuschlug als mit spitzer Feder arbeitete. Denn die „Tarantel“ war nicht das einzige Satireorgan, das sich mit der „Ostzone“ befaßte, daneben erreichte etwa das Kabarett „Die Insulaner“ über den Sender RIAS zahllose Hörer, und spätestens hier hätte der Autor eine kritische Würdigung der satirischen Mühen um die „Brüder und Schwestern im Osten“ abgeben müssen. Zudem gab es mit dem „Frischen Wind“ beziehungsweise dem „Eulenspiegel“ ein Ostberliner Witzblatt, das sich als Vergleichsorgan für die „Tarantel“ geeignet hätte. Zwar beschwert sich der Autor über kritische Fragen ausgerechnet von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ an die Adresse des Tarantel-Verlags, dem nachlässige politische Kommentare und plumpe Witze angekreidet werden. Die 1960 ausgesprochenen Unterstellungen werden nicht widerlegt und bleiben im Raum stehen. Eine nach 40 Jahren mögliche kritische, wenigstens augenzwinkernde Würdigung der im Bär-Verlag praktizierten Nachrichtenfälschung und Irreführung zum Zwecke politischer Destabilisierung des Ostens geschieht ebenfalls nicht. Vielleicht finden sich Autoren, die sich mit der Frage, ob der propagandistische Zweck immer die Mittel heiligen muß und ob man nicht anders, eben subtiler und seriöser hätte vorgehen sollen, unbelastet von persönlichen Eindrücken und Rücksichtnahmen, qualifiziert auseinandersetzen. Unbeantwortet bleibt übrigens auch die Frage, wie sich das in hoher Auflage hergestellte und verbreitete Satireblatt finanzierte. Der Verfasser beläßt es bei Andeutungen über „anonyme amerikanische Geldgeber“ und „unsere Freunde“. Nur der Verlagschef und seine Frau hätten genau Bescheid gewußt.

Enttäuschend ist die ausgesprochen dürftige Illustrierung des Erinnerungsbuches. Da die „Tarantel“ hohe Auflagen erreichte und wenigstens im Westen von „zuständigen Stellen“ in Bonner Ministerien archiviert worden sein dürfte, hätte es doch ein leichtes sein können, die ausufernden, vielfach unnötigen Schilderungen über Örtlichkeiten, Befindlichkeiten und Persönlichkeiten durch prägnante Beispiele und Auszügen aus Textbeiträgen einzelner „Tarantel“-Hefte zu ersetzen. Daß auf die Wiedergabe verzichtet wurde, setzt Quellenwert und Anschaulichkeit des Buches über die „Heiße Lektüre im Kalten Krieg“ erheblich herab.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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