Eine Rezension von Horst Wagner


Ein Lehrstück des Kalten Krieges

Gerhard Keiderling: Rosinenbomber über Berlin

Währungsreform, Blockade, Luftbrücke, Teilung.

Dietz Verlag Berlin, 1998, 320 S.

Rosinenbomber-Flugschau in Tempelhof, Dankkonzert auf dem Gendarmenmarkt, Eröffnung des Alliierten-Museums in der Clay-Allee, vielteilige Fernsehdokumentation auf „B1“ - der 50.Jahrestag der Luftbrücke stellte, was Umfang der Veranstaltungen und Breite des Medienechos betrifft, alle anderen Gedenktage dieses Jahres, leider auch den 150. Jahrestag der Märzrevolution von 1848, bei weitem in den Schatten. Allerdings blieben dabei oft die historischen Zusammenhänge außen vor. Zweifellos war die westalliierte Luftbrücke der Jahre 1948/49 eine hervorragende technische und menschliche Leistung. Der Einsatz der Piloten, ihre Hilfe für die Westberliner Bevölkerung, bleibt unbestritten. Aber manchmal fühlte man sich angesichts des Rummels und der Einseitigkeit der Darstellung doch unangenehm an DDR-Kampagnen zu bestimmten historischen Ereignissen erinnert. Nur daß diesmal die Vorzeichen umgekehrt waren. Um so erfreulicher, daß der bekannte Berlin-Historiker Gerhard Keiderling das Luftbrückenjubiläum zum Anlaß genommen hat, das Geschehen von damals in einen breiteren historischen Kontext zu stellen und ein Werk vorzulegen, das sich durch fundierte Detailkenntnisse, gründliche Recherche und Objektivität der Darstellung auszeichnet.

In den zehn Kapiteln des Buches werden der Weg, der von den gemeinsamen Beschlüssen von Potsdam weg zur Blockade der Sowjets und zum „AirLift“ als Antwort des Westens führte, ebenso behandelt wie die vordergründig geführte Propagandaschlacht und die Bemühungen beider Seiten im Hintergrund um einen friedlichen Ausweg. Eine besonders gründliche Darstellung erfahren die separaten Währungsreformen, die Einführung der West-, der Ost- und der B-Mark sowie der damit verbundene Zerfall Berlins in eine West- und eine Ost-Stadt. Anhand zahlreicher Details werden die Wege zur Bildung des Ebert-Magistrats auf der einen Seite und des von Oberbürgermeister Reuter geführten späteren Senats andererseits beschrieben. Im Kapitel über den Alltag in der belagerten Stadt finden die lebenswichtige Kohleversorgung aus der Luft ebenso Würdigung wie die „Fallschirmschokolade für die Blockadekinder“, die Hamsterfahrten der Westberliner ins offen gebliebene ostzonale Umland wie die Hilfe der „Ossis“ für ihre Westberliner Verwandten und die Versorgungsangebote der Sowjets bzw. der Ostberliner Behörden.

Deutlich werden die Motive, die hinter den Handlungen beider Seiten standen. Einerseits das Bestreben der Sowjets und ihrer deutschen Verbündeten bzw. Ableger in Gestalt von KPD und SED, Deutschland als Ganzes wenn schon nicht zu sowjetisieren, dann doch auf den Weg einer „antifaschistisch-demokratischen Ordnung“ im Sinne einer vorwiegend antikapitalistischen Auslegung des Potsdamer Abkommens zu führen. Wobei sich schon bald herausstellte, daß sich dafür keine parlamentarischen Mehrheiten finden ließen. Auf der anderen Seite die Bemühungen der West-Alliierten und der von ihnen beeinflußten deutschen Politiker, wenn schon nicht Deutschland als Ganzes, dann wenigstens seinen größeren und wirtschaftlich bedeutsameren Teil der kapitalistischen Ordnung und dem westlichen, bürgerlich-demokratischen Wertesystem zu erhalten. Insofern ist Keiderlings Buch auch ein prononcierter Beitrag zur länger anhaltenden Diskussion um Hintergründe und Ziele der Deutschlandpolitik der UdSSR in den ersten Nachkriegsjahren.

Das Buch beginnt mit einer dramatischen Schilderung der Nacht vom 31. März zum 1. April 1948, in der zum erstenmal ein britischer Militärzug in Marienborn festgehalten wurde, um schließlich nach 20stündigem Aufenthalt zurückgeschickt zu werden: Beginn einer Kette von Maßnahmen, mit denen die Sowjetunion, wie Keiderling schildert, nicht zuletzt auf den Abbruch der Londoner Außenministerkonferenz und die ersten Schritte zur Bildung eines westdeutschen Staates reagierte. Einen Tag zuvor, am 30. März 1948, hatte, wie vom Autor an anderer Stelle dokumentiert, der nationale Sicherheitsrat der USA das Memorandum Nr. 7 beschlossen, in dem es hieß: „Die Niederschlagung der Kräfte des sowjetisch gelenkten Weltkommunismus ist für die Sicherheit der Vereinigten Staaten lebenswichtig. Dieses Ziel kann durch eine defensive Politik nicht erreicht werden. Die Vereinigten Staaten sollten daher die Führung bei der Organisation einer weltweiten Gegenoffensive... zur Untergrabung der Stärke der kommunistischen Kräfte der sowjetischen Welt übernehmen.“ (S.161) Die Lektüre des Keiderlingschen Buches legt den Schluß nahe, daß „Big Lift“ ein erster und in seiner Auswirkung höchst erfolgreicher Schritt in dieser Gegenoffensive war.

An den Schluß des Buches setzt Keiderling ein „Legende oder Lehrstück?“ überschriebenes Kapitel, in dem er thesenartig Antworten auf heutige Fragen zum Geschehen von damals gibt. Herausgestellt ist dabei die Schlußfolgerung, daß „die Berlin-Krise von 1948/49 ein Lehrstück des kalten Krieges par excellence“ war. Es ging bei ihr „nicht um währungs- oder verkehrstechnische Details, sondern um die Gesamtheit der Ost-West-Beziehungen“. Typisch war dabei der Einsatz militärischer Mittel zu politischen Zwecken, wobei beide Seiten eine militärische Konfrontation vermieden, „weil sie zum einen nicht darauf vorbereitet waren und weil ein Waffengang höchstwahrscheinlich nicht kontrollierbar gewesen wäre“. (S.302ff.) Jedenfalls seien die Ereignisse von damals „der Schlußstrich unter die Kriegsallianz der Großen Vier“ gewesen und führten - gewollt oder nicht - „zur Vollendung der Teilung Berlins, Deutschlands und auch Europas“. (S.307) Keiderling kommt auch auf die von einigen Historikern gestellte Frage zurück, ob die erfolgreiche Luftbrücke, global gesehen, nicht ein „Pyrrhussieg“ war. „Während der Westen wie gebannt auf den Konfliktherd Berlin geblickt hätte, wo ein kleiner Terraingewinn der Sowjets vereitelt werden konnte, wäre dem Kommunismus in Fernost durch Mao Tse-tungs Volksbefreiungsarmee ein geostrategischer Durchbruch gelungen.“ (S.303) Der Autor zeigt, daß die Blockade zunächst mit einem politischen Kompromiß endete: Im New Yorker Abkommen vom 4. Mai 1949 erklärte sich die UdSSR zur Aufhebung der von ihr getroffenen „Beschränkungen“ bereit, die Westmächte stimmten der von Stalin vorgeschlagenen „neuen Außenministerkonferenz über Deutschland als Ganzes“ zu. Längerfristig gesehen hat die Luftbrücke aber, vor allem durch ihre propagandistische und psychologische Ausstrahlung, ganz wesentlich zur schließlichen Niederlage des „real existierenden Sozialismus“ in der Systemauseinandersetzung beigetragen. Interessant in diesem Zusammenhang eine von Keiderling zitierte Äußerung des britischen Militärgouverneurs Robertson vom Juli 1948: „Jetzt, glaube ich, ist der Zeitpunkt gekommen, diese antikommunistische Welle, die Deutschland von der Oder bis an den Rhein überschwemmt, zu nutzen und Kapital daraus zu schlagen.“ (S.306)

Ein interessanter Bildteil, grafische Zeitzeugnisse, eine Auswahlbibliographie sowie ein Personenverzeichnis erhöhen den informatorischen und wissenschaftlichen Wert des Buches, das über den aktuellen Anlaß hinaus eine aufschlußreiche zeitgeschichtliche Studie über das wohl dramatischste Stück Berliner Nachkriegsgeschichte darstellt.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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