Eine Rezension von Kathrin Bosien


Auf Distanz zum nationalen Erbe?

Barbara Jakubeit/Barbara Hoidn (Hrsg.): Schloß - Palast - Haus Vaterland

Gedanken zu Form, Inhalt und Geist von Wiederaufbau und Neugestaltung.

Birkhäuser Verlag, Basel 1998, 164 S.

Wenn Diskussionsveranstaltungen dokumentiert werden und dann nach Monaten im Buchformat erscheinen, kann es leicht passieren, daß die Zeit schon längst über die heiß disputierten Fragen hinweggegangen ist. Im vorliegenden Fall müssen die Herausgeber das nicht befürchten, ist doch die Neugestaltung der Stadtmitte des vereinten Berlins nach wie vor umstritten und teilweise immer noch unbestimmt.

Der vorliegende Band dokumentiert eine Veranstaltungsreihe, zu der die Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr von April bis September 1997 in das Staatsratsgebäude am Schloßplatz geladen hatte. Ausgehend von der offenen Gestaltung des Schloßplatzes, debattierten mehr als dreißig Künstler, Historiker, Politiker, Denkmalpfleger und Architekten aus dem In- und Ausland über einen zeitgemäßen Umgang mit architektonischer Tradition.

Pavel Kohout formulierte in seiner Rede, was man von derartigen Foren erwarten kann: „... ich weiß, daß Veranstaltungen dieser Art am wenigsten von den Teilnehmern selbst ernst genommen werden, die meisten kommen mit ihrer festgelegten, allen längst geläufigen Meinung und gehen mit dieser auch wieder weg. Noch nie habe ich bei einem solchen Anlaß erlebt, daß jemand, ergriffen durch einen Vortrag, in Jubel oder in einen Weinkrampf ausgebrochen wäre oder sich gar, von der Überlegenheit eines Kontrahenten erdrückt, auf der Toilette erschossen hätte.“

Die Themen, zu denen nun die vorgefaßten Meinungen ausgetauscht wurden, waren: Partitur und Phantasie - Zum Wesen des Originals in der Kunst; Allegorie des Patrimoniums; Ist Rekonstruktion erlaubt? - Die Debatte in Deutschland seit 1945; Ökonomie und Öffentlichkeit - Der öffentliche Raum in Berlin-Mitte nach dem Untergang des Sozialismus; Auf Distanz zum nationalen Erbe? - Die Sprachlosigkeit der Intellektuellen und das Desinteresse der Jugend und Gibt es einen Vertreter für den Staat als Bauherrn?

In seiner Einführung verkündet Jürgen Kleemann seine recht hochgesteckten Erwartungen zur Bebauung des „Herzstücks“ Berlins, der „Mitte der Mitte“, des Schloßplatzes. Er verlangt dabei „nach einer gesellschaftlichen Antwort auf unser zukünftiges Verständnis von ,Civitas‘ in dieser Stadt ... Gewinn für die Bestimmung der Identität von Stadt und Gemeinwesen ... ein gemeinsames neues Stück Berlin, ... das die Wünsche und Aufgaben des geeinten Berlin repräsentiert, ... ein Geschenk an Berlin“.

Politisch am hochkarätigsten besetzt die Runde zum nationalen Erbe. Wolfgang Schäuble beklagt die in derartigen Diskussionen häufige Neigung zum Apodiktischen und vertritt seine Auffassung, wonach Geschichte unteilbar ist. Was in Deutschland allerdings auch niemand, der ernst genommen werden will, in Frage stellen wird. Insgesamt tritt hier wieder die erstaunliche Fähigkeit des CDU-Politikers hervor, sich nahezu jedem Auditorium anzupassen und auch vor ihm zu bestehen. Vor dem Berliner Publikum schlägt er also alles andere als nationalkonservative Töne an und stützt sich in seiner mit 14 Zitaten gespickten Rede u. a. auf Cesare Pavese, Richard von Weizsäcker und Bertolt Brecht. Ungewohnt frisch und ironisch setzt sich Lothar de Maizière mit den Befürwortern des Palastabrisses auseinander: „Ich denke, wäre eine für die alte Bundesrepublik ähnlich bedeutsame Entscheidung (Beschluß zur Herstellung der deutschen Einheit - Anm. des Verf.) getroffen worden, würden längst Schilder in Messing und Marmor daran hängen.“ Daß in derartigen Diskussionen immer auch Allgemeinplätze als besonders wichtige Erkenntnisse verkündet werden, liegt offenbar in der Natur der Sache, hier u.a. von Michel Friedman: „Ich halte Identität für unverzichtbar für Menschen - individuell wie gesellschaftlich.“

Deutlich wird bei der Lektüre der Beiträge wieder einmal, daß mit dem ehemaligen Bundesbauminister Klaus Töpfer ein kompetenter Politiker der Stadt den Rücken gekehrt hat. Wenn Verfechter eines Neubaus des Stadtschlosses an einen Investor mit ausgeprägtem Hang zum Mäzenatentum glauben, heißt es von Töpfer dazu lakonisch: „Ich hätte auch größte Bedenken, wenn jemand käme und sagen würde, er wolle Mäzen sein. Meistens wird mir das am Ende zu teuer.“


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite