Eine Rezension von Siegfried Lehmann


Polizeigeschichte aus persönlichem Blickwinkel

Klaus Hübner: Einsatz

Erinnerungen des Berliner Polizeipräsidenten 1969-1987.

Mit einem Vorwort von Bundeskanzler a. D. Helmut Schmidt.

Jaron Verlag, Berlin 1997, 440 S.

„Eine Straßenschlacht, die die Polizei gewinnt, hat die Demokratie verloren!“ (S. 54) Mit dieser Maxime trat der 44jährige Klaus Hübner am 1. Januar 1969 das Amt des Polizeipräsidenten von Berlin (West) an. Der damalige SPD-Sicherheitsexperte im Bundestag kam zurück in seine Vaterstadt, wo er Anfang der 50er Jahre auf dem Wedding schon einmal die blaue Uniform eines Stumm-Polizisten getragen hatte. Aber die Frontstadtidylle von damals war inzwischen aus dem Gleichgewicht geraten. Der Aufschwung der Ost-West-Entspannung und der Aufstand der jungen Generation bliesen einen frischen Wind in die isolierte Stadt, dem sich auch die Polizei nicht entziehen konnte. Die damalige Polizeiführung unter Polizeipräsident Erich Duensing, der seit seinem Amtsantritt 1951 eine Vorliebe für die Einstellung von früheren Wehrmachts- und SS-Offizieren entwickelt hatte, war „in einer Festungsmentalität erstarrt“ und darauf fixiert, „daß der ,Feind‘ nur aus dem Ostsektor der Stadt kommen könne und dorthin zurückgedrängt werden müsse“ (S. 49 f.). Die Studentenrebellion, die nach dem Tod Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 und während der Osterunruhen 1968 ihrem Höhepunkt zusteuerte, irritierte und schockierte die Polizei, die nun gegen die eigenen Bürger vorgehen mußte. Klaus Hübner, den der damalige Innensenator Kurt Neubauer (SPD) ins Amt geholt hatte, wartete mit einer Strategie der Deeskalation der Gewalt durch moderate polizeiliche Einsatzmethoden auf, die während des Nixon-Besuchs im Februar 1969 ihre erste Bewährungsprobe bestand.

Den manchmal bürgerkriegsähnlichen Zuständen auf den Straßen während der Zeit der außerparlamentarischen Opposition (APO) und des „Häuserkampfes“ suchte der neue Polizeipräsident mit einem neuen Rollenverständnis der Polizei zu begegnen. Die Demokratisierung der Gesellschaft dürfe nicht vor der Polizei selbst haltmachen. Die Demonstranten (der Autor spricht oft von „wildgewordenen Bürgersöhnchen“) hätten als Bürger zu gelten, die ihre Grundrechte wahrnehmen; man müsse ihnen aber klarmachen, daß sie dabei zu falschen, oft ungesetzlichen Methoden griffen. Eine Polizei, die nur mit Gewalt „Ordnung und Sicherheit“ durchsetzen wolle, trüge zur Eskalation bei. Hübners Konzept lief auf „Nichtannahme der Provokation“ hinaus - „Strategie der Gewaltabschöpfung mit den Mitteln der Sprache“ (S. 134). Zu dem von ihm entwickelten Instrumentarium zählten u. a. Sondereinsatzkommandos, „Diskussionspolizisten“ und Kennzeichnung der Polizeibeamten. Die Umsetzung dieser Strategie, die in konservativen Kreisen sofort auf Ablehnung stieß, schildert Hübner unter Verwendung persönlicher Aufzeichnungen und zeitgenössischer Presseberichte auf minutiöse Weise, so daß das Ganze sich streckenweise wie ein polizeitaktisches Lehrbuch liest. In chronologischer Abfolge wird nichts ausgelassen, was damals Schlagzeilen machte: die Studenten-Demos mit Rudi Dutschke, der Zerfall der APO in anarchistische und terroristische Gruppen, die Umtriebe der „Bewegung 2. Juni“ und der „Baader-Meinhof-Bande“, das Attentat auf den Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann 1974, die Entführung des Präsidenten des Abgeordnetenhauses Peter Lorenz 1975, die diversen US-Präsidentenbesuche, die Hausbesetzungen Anfang der 80er Jahre und der Anschlag auf die Diskothek „La Belle“ 1986. Am friedlichen Ausgang des „Häuserkampfes“ wurde die Effizienz der von Politik und Polizei entwickelten „Berliner Linie“ sichtbar.

Breiten Raum im Buche nimmt auch die Große Polizeireform von 1974 ein, die Hübner von der Führungsebene herab bis in die Bereiche der Schutz- und Kriminalpolizei betrieb. Dazu zählte auch der unpopuläre Alkoholerlaß, der dem Polizeibeamten jedes „kleine Schlückchen“ im Dienst strikt verbot. Dem Bürger trat die Reform mit der Einführung des „Kontaktbereichsbeamten“ und der „Politessen“, aber auch mit der martialisch anmutenden neuen Schutzausrüstung (bestehend aus Helm, Knüppel und Schutzschild) entgegen. In diesem Kontext sind die knappen Bemerkungen zur Funktion der Alliierten Kommandantur und ihrer Public-Safety-Officers aufschlußreich. Vieles von dem, wie die drei Westmächte von ihrer obersten Gewalt gegenüber dem Polizeiapparat Gebrauch machten, blieb dem Auge der Öffentlichkeit verborgen.

Der Regierungswechsel von 1981, als die SPD die Senatsführung an die CDU abtreten mußte, führte schließlich zur Entlassung Hübners im Februar 1987. Die Gegensätze zwischen seiner moderaten Linie und den nach Härte polizeilicher Gewaltmittel rufenden konservativen Kräften in der Polizei und im CDU-Senat waren unüberbrückbar geworden. Klaus Hübner, der 37. Polizeipräsident Berlins seit der Gründung des Polizeipräsidiums im Jahre 1809, hatte es mit 18 Dienstjahren auf die bislang längste Amtszeit gebracht. Seine Erinnerungen sind daher ein Stück Polizei- und Verwaltungsgeschichte der Stadt. Dem Leser drängt sich nach der Lektüre die Frage auf, was von seinem Entwurf eines neuen Berufsbildes für Polizeibeamte, nämlich einer Kombination aus Schutzmann und Sozialarbeiter, in dem seither verflossenen Zeitraum geblieben ist.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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