Wiedergelesen von Wolfgang Mittmann


Friedhelm Werremeier: Trimmel macht ein Fass auf

Wilhelm Heyne Verlag, München 1984, 188 S.

Die Werbetexter eines großen Verlages haben ihn den „deutschen Maigret“ genannt. Ich meine - der Hamburger Kriminalhauptkommissar Paul Trimmel ist mehr. Simenons Maigret, zu dessen Fans ich mich nach wie vor zähle, hat in einer anderen Zeit gelebt. Nahezu ein halbes Jahrhundert trennen die beiden Kommissare.

Maigret, der dickliche und ewig pfeiferauchende Polizist vom Quai des Orfevres in Paris, versenkt sich in die Menschen, deren Wege er kreuzt; sein Wissen, wie sich Menschen in bestimmten Situationen verhalten, ist das Geheimnis seines Erfolges bei der Aufklärung menschlicher Tragödien, die nicht selten so banal wie alltäglich erscheinen.

Der bärbeißige Hamburger Paul Trimmel hingegen stöbert in einem genau gezeichneten Milieu. An seiner Zigarre nuckelnd, setzt er sich im knurrigen Verdruß mit glaubwürdigen Charakteren auseinander und klärt Verbrechen, die einen realen Bezug zur bundesrepublikanischen Gesellschaft der 60er und 70er Jahre haben.

1968 hatte ein Giftmüllskandal die Menschen im westlichen Deutschland aufhorchen lassen. Friedhelm Werremeier, Jahrgang 1930, Reporter und Krimiautor mit einer Leidenschaft für komplizierte Kriminalfälle, gestaltete als erster deutscher Autor dieses brisante Thema in seinem Roman Trimmel macht ein Fass auf.

Auf einer Müllkippe im Norden Hamburgs wird ein Toter gefunden. Der Mann ist erschossen worden. Zwischen zwei verbeulten Blechfässern liegt er, die mit Totenkopf und gekreuzten Gebeinen gekennzeichnet sind. Als Tatwaffe kommt ein Colt Automatic, Kaliber 45, in Betracht. Zyanidhaltiges Härtesalz finden die Mordkommissare in den Fässern. Tonnenweise Gift und ein Toter mittenmang - da kriegt es auch der Hauptkommissar Trimmel mit der Angst zu tun.

Strengstes Stillschweigen! verlangt ein Regierungsrat der gleichfalls alarmierten Umweltschutzbehörde. Nicht auszudenken, wenn da was in die Presse gelangt! - Schon vor Monaten war auf einer Bürgerversammlung der Verdacht geäußert worden, auf ebenjener Kippe würden verbotenerweise Giftstoffe gelagert; keiner hatte die Sache so recht ernst genommen. Firlefanz, für den die Polizei keine Minute Zeit verschwendete!

Erste Spuren führen in eine Giftmüllverbrennungsanlage, deren Kapazität längst nicht mehr ausreicht. Hauptlieferant der Fässer ist die Kieler Firma METALLIN. Und dann wird da an der B 4 zwischen Hamburg und Kiel ein weiterer Toter aufgefunden. Ein Kraftfahrer der besagten Firma aus Kiel. Neben der Leiche liegt eine Waffe - ein Colt Automatic, Kaliber 45!

Das Geschehen kulminiert, als der Tote auf der Müllkippe, der mit dem Colt Automatic erschossen wurde, identifiziert werden kann. Ein Privatdetektiv aus Hannover, mit guten Beziehungen zur Stahlindustrie ...

Daß Trimmel und seine Mannschaft nun auch den Mörder finden, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Es gehört zu den Spielregeln eines guten Kriminalromans.

Den Mörder des Duisburger Fuhrunternehmers Klingbeil, der 1968 in den Giftmüllskandal auf der Kippe bei Övelgönne involviert war, fand die Kripo meines Wissens nie.

Friedhelm Werremeier erzählt vorwiegend aus der Sicht des Paul Trimmel. Er setzt den Präsenz ohne stilistische Schnörkel ein. Seine Texte sind von einer gewissen Lakonie geprägt. Der Autor scheint in allen Trimmel-Romanen nicht mehr, als der objektive Berichterstatter zu sein, er belehrt nie und spricht gerade deshalb das Gewissen der Leser an. Ob Bundesligaskandale, Computer- und Wirtschaftskriminalität, die Gutachtertätigkeit vor Gericht oder die Umweltverschmutzung - Friedhelm Werremeier hatte sie als Themen für seine Romane aufgegriffen. Die meisten sind zu Beginn der siebziger Jahre im Rowohlt Verlag erschienen und wurden von der ARD für die Reihe „Tatort“ verfilmt. Mitte der achtziger Jahre legte der Heyne Verlag die Bücher in einer vom Autor überarbeiteten Fassung in der gefälligen Ausstattung der Reihe „Blaue Krimis“ vor. Und auch heute noch, Ende der neunziger Jahre, erweisen sie sich als zeitnah und hochaktuell. Mir ist, als hätte ich erst kürzlich von einem neuerlichen Giftmüllskandal gelesen? Ein Blick ins Pressearchiv: Giftverseuchte Munitionskisten aus NATO-Beständen, so berichtet „Focus“, wurden in einem Oderländer Kompostierbetrieb entsorgt. Im April 1996 stand ein Unternehmen aus Xanten vor dem Landgericht Frankfurt/Oder, weil er an neun verschiedenen Orten im Land Brandenburg Klärschlamm, der mit giftigen Industrieabfällen vermischt war, auf Felder und Wiesen abgekippt hatte. 1995 schlugen Naturschützer im sächsischen Hoyerswerda Alarm, weil Bauschuttdeponien den Bestand des Dubringers Moores gefährdeten.

Solche Nachrichten ließen sich mühelos auch zu den anderen Romanthemen finden. Friedhelm Werremeiers Bücher sind ausnahmslos brisant. Eigentlich schade, daß der Autor seinen Protagonisten schon vor Jahren in den Pensionärsstand versetzte. Auch im wiedervereinten Deutschland hätte Trimmel noch genug zu tun. Die Stichworte Herzklappenskandal, Ausländerhaß oder Menschenschmuggel mögen genügen. Und während ich diese Zeilen schreibe, bekomme ich direkt Lust, mir auch die anderen Romane Werremeiers noch einmal vorzunehmen. Denn sie sind, wie Martin Compart einst bemerkte, „als Gesamtwerk betrachtet, längst zur Skandalchronik unseres Staates geworden“.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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