Eine Rezension von Karl-Heinz Arnold


Ein undeutliches Signal

Heribert Prantl: Sind wir noch zu retten?

Anstiftung zum Widerstand gegen eine gefährliche Politik.

Carl Hanser, München 1998, 281 S.

Im US-Amerikanischen gibt es den anschaulichen, besser: anhörlichen Begriff „uncertain trompet“. Was Heribert Prantl, Jahrgang 1953, Jurist und seit 1995 Innenpolitiker bei der „Süddeutschen Zeitung“, in diesem Buch schreibt, ist ein engagierter Beitrag zur Diskussion über den gegenwärtigen Zustand und die künftige Entwicklung von Politik und Gesellschaft in Deutschland - aber es ist ein undeutliches Signal.

Trotz dieser notwendigen Einschränkung liegt hier eine höchst bemerkenswerte Bestandsaufnahme vor, die - vor der Bundestagswahl erschienen - als Plädoyer für die Abwahl Kohls und der von ihm dominierten Koalitionsregierung zu lesen war, wenn auch keineswegs nur zu diesem anerkennenswerten Zweck geschrieben. Schützenhilfe für die SPD und namentlich für Schröder wurde nicht geleistet. Dessen Kür zum Kanzlerkandidaten ist verbal noch berücksichtigt worden, eine Auseinandersetzung mit seinem oder Kohls Wahlprogramm konnte - irgendwann hat jedes Buch Redaktionsschluß - nicht mehr stattfinden, war offenbar auch nicht Prantls Anliegen. Er schont weder CDU noch SPD, wohl aber die CSU, was dem Hauptverbreitungsgebiet der „Süddeutschen“ geschuldet sein dürfte, der Genius loci verlangt Rücksichtnahme. Man könnte aber auch darauf verweisen, daß die CSU nur eine Regionalpartei ist ...

Aktuell angelegte Publikationen befinden sich stets in der Gefahr, als verderbliche Ware an ein Verfallsdatum zu kommen. In der Hauptsache ist dies hier vermieden worden, weil die Bestandsaufnahme das Buch trägt und es für die angebotenen Schlußfolgerungen wenig ausschlaggebend ist, ob der neue Kanzler Schröder, Kohl oder Schäuble oder Müller heißt (ein Wahlausgang beeinflußt ja das politisch ausschlaggebende sozialökonomische Machtgefüge kaum oder gar nicht).

Prantl leitet aus dem vielfältigen Versagen des 16 Jahre geherrscht habenden „Ancien régime“ (Prantl) die Notwendigkeit einer anderen Politik ab, wobei er sich keineswegs zur SPD bekennt, der er sachpolitische Ziellosigkeit und strategische Planlosigkeit vorwirft. Er plädiert auch nicht für eine große Koalition, weil sie, wie er schlußfolgert, die „große Lähmung“ brächte, und schon gar nicht für ein wie immer auch geartetes Zusammengehen von SPD, Grünen und PDS, was „einen Doppel-Selbstmord von SPD und Grünen“ bedeutete. Was also will der Autor, was ist seine Botschaft, sein Signal?

„Deutschland braucht keinen Regierungswechsel, der nur Regierungswechsel ist, aber sonst nichts. Deutschland braucht keine große Koalition der Parteien. Deutschland braucht einen echten Politikwechsel. Und den gibt es nur, wenn es eine große Koalition der Bürgerinnen und Bürger gibt, die Widerstand leisten - Widerstand gegen eine forcierte Politik der Entdemokratisierung und Entsolidarisierung.“ Aber Prantl stellt zugleich klar: „Der Widerstand, von dem hier die Rede ist, hat mit Gewalt nichts zu tun.“ Er habe „wenig mit Revolution, aber viel mit Evolution zu tun“, sei „eine Geisteshaltung“, zeige „den Weg zwischen Aufruhr und blindem Gehorsam“.

Man könnte diesen Kern der Aussage des Buches durchaus als Signal für einen dritten Weg verstehen, den Prantl sich vorstellt: mindestens einfordern, was im Grundgesetz der Bundesrepublik an Demokratie und sozialer Gerechtigkeit verbrieft ist, aber bitte ohne den Druck der Straße. „Es müssen nicht unbedingt Zehntausende sein.“ Der Autor erwähnt die friedliche Revolution von 1989 in der DDR, aber - dem schwarzen Zeitgeist entsprechend- beileibe nicht als diskutables Modell. Wie allerdings der Gesetzgeber, sprich Bundestag, und der Verordnungsgeber, sprich Bundesregierung, dazu gebracht werden sollen, die seit Jahren systematisch und ganz legal vorgenommenen oder geduldeten Demontagen des Sozialstaates rückgängig zu machen, wird nirgends dargelegt.

Glaubt Prantl, daß es möglich wäre, die - ganz legal und durchaus systemkonform erfolgte- ungleiche Verteilung der Vermögen und die Pervertierung der Steuergerechtigkeit zu stoppen oder sogar rückgängig zu machen? Er äußert sich dazu nicht. Indirekt bekennt er sich zum ökumenischen Wort der beiden Kirchen vom 22. Februar 1997 mit deren Forderung, den Reichtum zum Gegenstand der politischen Debatte zu machen, eine gerechte Verteilung von Reichtum und Arbeit zu erreichen. Aber er wirft den Kirchen vor, daß sie die Erklärung scheuen, „mit welchen Bündnispartnern sie ihre Ziele durchsetzen wollen“. Eben dies sagt Prantl zwar für den Widerstand, den er fordert: Er müsse „von vielen Menschen, von vielen Bewegungen initiiert, organisiert, getragen und begleitet werden“ (also sollen es vielleicht doch Zehntausende sein), und er zählt ein Dutzend Beispiele potientieller Teilnehmer auf. Aber wie diese große Koalition der Bürger zustande kommen und aktiv werden soll, bleibt sein Geheimnis.

Nun, man sollte Prantl nicht verübeln, daß er keinen Katalog für Aktionen aufstellt, daß er Ziel und Prozedere mehr andeutet als fixiert. Er ist gelernter Jurist, kein Widerständler, und von einem bilanzierenden Sachbuch ist kaum Anleitung zum politischen Handeln zu erwarten. Der eigentliche Wert dieser offenherzigen Studie für eine Erhaltung, Wiederherstellung und vielleicht sogar Erweiterung der Demokratie per behutsames Handeln liegt darin, daß der Begriff des Widerstands relativ breit ventiliert, wenn auch nicht in seiner gesamten Dimension untersucht wird. Der Autor verweist auf die Notwendigkeit, Geduld und langen Atem zu haben, grenzt sich gegen Radikalität ab. Andererseits bezieht er sich auf Deutschland 1848 und die DDR 1989: „In den kurzen Zeiten, in denen die Bürgerinnen und Bürger nicht brav waren, haben sie Taten vollbracht, die mehr wert waren und mehr wert sind als alle Bravheiten.“ Also wäre ein wenig Radikalität vielleicht doch gut, damit Widerstand wirklich Widerstand werden kann?

Prantl reflektiert Ratlosigkeit und Ängste eines Teils des Bürgertums, Ängste vor der Fortsetzung einer manchesterisierten Politik und Ökonomie und vor ihren langfristigen Folgen. Er zeigt Ratlosigkeit angesichts der Frage, ob denn nun der Mund nur gespitzt oder ob gepfiffen werden soll und nötigenfalls welche Melodie. Mancher gutbetuchte Unzufriedene im Lande wird sich allerdings schon fragen, was denn Prantls Postulat bedeuten könnte, Basisdemokratie gegen Parteidemokratie zu setzen. Das Signal dieses Buches bleibt undeutlich, was Ziel, Art, Schärfe des Widerstands betrifft. Ihn zu fordern und damit eine dringend notwendige Diskussion zu befruchten, zu beleben, ist aller Ehren wert.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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