Eine Rezension von Bertram G. Bock


Ambitioniert, wenn auch (etwas) kompliziert

Christiane Krause: S wie Beethoven

Roman.

Rotbuch Verlag Hamburg, 1998, 166 S.

Minona von Stackelberg ist, für die heutige Zeit, wirklich ein etwas eigenartiger Name. Daß er mit Ironie und Witz von anderen kommentiert wird ist verständlich. Sagen tut dieser Name dem Literaturliebhaber erst mal weniger - es wird wohl eine Figur aus dem Buch sein, stimmt. Der Musikliebhaber - genauer, der Beethovenliebhaber - wird dagegen, wenn er mit der Biographie des Musikers vertraut ist, die Brauen leicht hochziehen. Minona von Stackelberg ist die jüngste Tochter von Josephine von Brunsvik, die dem unverheirateten Beethoven eine Zeit lang sehr nahe stand. Man darf spekulieren, ob Minonas Vater nun Christoph von Stackelberg, mit dem die ungarische Gräfin Josephine verheiratet war, oder eben Ludwig van Beethoven hieß, der neun Monate vor Minonas Geburt den Brief an die ,Unsterblich Geliebte‘ schrieb. Wiederum fraglich, ob die unsterblich Geliebte Josephine war, es hätte auch Giulietta Guicciardi oder Bettina Brentano sein können. Man weiß es nicht. Aber die Familienverhältnisse bei Beethovens waren noch etwas komplizierter. Gab es doch noch Karl van Beethoven, der Sohn von Beethovens früh verstorbenem Bruder Kasper Karl. Um dessen Sorgerecht stritt Ludwig van Beethoven erbittert gegen Karls Mutter. Ausreichender Romanstoff für eine Art Familiensaga der besonderen Art allemal. Doch die 1947 geborene Autorin Christiane Krause verkompliziert dies in zweierlei Hinsicht. Zum einen setzt sie die handelnden Personen, und das sind Minona von Stackelberg und Karl van Beethoven, in die Jetztzeit und läßt auch Beethovens Leben z.T. um die 150 Jahre später stattfinden, nicht konsequent zwar, was die Sache nicht vereinfacht. Zum anderen wechseln die Perspektiven zwischen Minonas Berichten und Schilderungen sowie den z.T. neu aufgefundenen Tagebucheintragungen der Mutter Josephine hin und her, werden zusätzlich mit Zitaten aus Werken von Thomas Bernhard angereichert - Ruhe und Stringenz kann da nicht aufkommen.

So aufwendig der kompositorische Rahmen auch ist, so vielschichtig ist im Grunde auch der Inhalt des eher kurzen Romans. Er beginnt recht bald mit dem Geständnis von Minona gegenüber Karl, daß sie nach Wien gekommen sei, um hier herauszufinden, ob Beethoven ihr Vater ist. Karl hilft ihr mit den Tagebüchern der Mutter aus, auch mit Gesprächen und Fahrten in die Umgebung, es kommt sogar zu einer zwischenmenschlichen Annäherung. Sie sucht die Orte auf, von denen sie weiß, daß auch Beethoven dort gewesen ist. Genauso oft sitzt sie an Orten, die Beethoven nie gesehen hat - dem Campingplatz z.B. Egal wo Minona ist, sie denkt, überlegt, versucht zu begründen, ob es hier Beethoven auch gefallen hätte. „Beethoven, auch er hätte das Zelten genossen, wenn er es gekannt hätte“, läßt sie sich beispielsweise vernehmen und denkt aber auch daran, daß die Unbequemlichkeiten beim Campen ihm „leicht eine zweite Pastorale“ hätten eingegeben können. Eine Vorstellung, die ein leichtes Grinsen hervorrufen kann - aber noch lange nicht muß. Die Verquickung der Jetztzeit und deren Möglichkeiten mit der Biographie Beethovens ist ein netter Versuch, scheitert aber letztlich doch an der fehlenden Konsequenz. Ein Komponist wie Beethoven hätte sich, wären ihm damals die heutigen medizinischen und therapeutischen Möglichkeiten offen gewesen, nicht unwillig nur ein einzelnes Hörgerät verpassen lassen, welches er dann auch noch irgendwo liegen läßt (was eine Geschichte von Thomas Bernhard hätte sein können). Da bauen sich ganz andere Vorstellungen und Möglichkeiten vor einem auf. Doch wäre Krause konsequent gewesen, hätte sie diesen Realitätssprung realistisch gestaltet, es hätte die Schwerhörigkeit, die Taubheit in dem Roman nicht mehr gegeben - und gerade die ist für den Roman konstituierend und das eigentliche Thema.

„Er hat vieles und viele seiner wichtigsten Werke in Es-Dur geschrieben“ sinniert Minona. „Und da denke ich mir mal, Es gleich Buchstabe S gleich schwerhörig.“ Karl widerspricht dieser These zwar - aber sie steht trotzdem da. Minona, die Beethovens Musik gerne laut über ihre Kopfhörer hört, sinniert über diese Krankheit in Hinsicht auf das Künstlertum genauso ausführlich, wie Josephine in ihren Tagebüchern ausführlich schildert, welche Probleme mit einem stark schwerhörigen Menschen im Alltag auftauchen. Da gibt es eben keine leise geflüsterten Liebeleien, alles muß schriftlich fixiert werden, Gespräche zu dritt gestalten sich schwierig etc. Reichhaltig, variantenreich wird dies alles von verschiedenen Seiten beleuchtet. Zitate aus Thomas Bernhards Die Billigesser und anderen seiner Werke eröffnen noch eine zusätzlich Perspektive, reflektieren das alte Thema vom Leiden des Künstlers. Ironie oder Konsequenz, daß Minona gegen Ende des Bandes selber schwerhörig wird? „Ich bin Beethovens Tochter. Weil alle Schwerhörigen Beethovens Söhne und Töchter sind. Weil man immer Verwandtschaft sucht in dem, was verbindet.“ Das ist das Fazit von Krause, die Schwerhörigkeit zu beschreiben weiß, die alle Seiten dieser Erkrankung kennt, ist sie doch selbst, wie im Klappentext angegeben, mit etwa 30 Jahren schwerhörig geworden.

Das erklärt die Motivation, das erklärt Personen und Stoff. Es darf vermutet werden, daß S wie Beethoven kein Buch aus der Riege der „Betroffenheitsbücher“ werden sollte und es auch nicht geworden ist. Daher wohl der komplizierte Aufbau, die Verschachtelungen, das anfängliche Verstecken des Themas. Ein passabler Ansatz ist das allemal, Schwerhörigkeit in der Literatur zu verankern, wenn auch hier und da Unstimmigkeiten zu verzeichnen sind und auch Karls sprachliche Überzeichnung auf die Dauer stört. Diesem ist es anscheinend nicht möglich, „normal“ zu reden, so daß Sätze wie „Sprochest du von Liebe?“ oder „Vielleicht hat sie sich als brave Gattin die Worte ihres Gatterich zu Herzen genommen“ zuhauf vorkommen und mit der Zeit jede Witzigkeit verlieren. Und Minonas Ausfall ist daher auf die Dauer leider zuzustimmen, wenn sie ihn anfährt: „Du sonderst Sätze ab wie andere Leute Mundgeruch.“ Vielleicht ist für den einen oder anderen die Auflösung auch nicht gerade spannend, aber das tut diesem ambitionierten Buch keinen Abbruch, wenn man sich auf die Schwerhörigkeit einläßt.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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