Eine Rezension von Grace Maier


Eine schmutzige Geschichte

Donna Leon: Vendetta

Commissario Brunettis vierter Fall.

Roman. Aus dem Amerikanischen von Monika Elwenspoek.

Diogenes Verlag, Zürich 1997, 352 S.

England hat Sherlock Holmes, Frankreich Kommissar Maigret und Italien seit neuestem Commissario Brunetti, einen Gesetzeshüter von überzeugender literarischer Originalität, der auf dem besten Wege ist, in der Gunst des Leserpublikums mit seinen Verbrechensaufklärerkollegen gleichzuziehen. Aus der Taufe gehoben wurde Brunetti - anders als die genannten klassischen Meisterdetektive - von einer Frau. Die 1942 in New Jersey geborene und heute in Venedig lebende Donna Leon beweist einmal mehr, daß Frauen kriminelle Phantasie und psychologisches Einfühlungsvermögen, umfassende Sachkenntnis und erzählerisches Talent ebenso spannend zu kombinieren verstehen wie ihre männlichen Konkurrenten. In ihren anspruchsvollen Kriminalromanen erzählt sie nicht nur brillant und perfekt konstruiert von Morden und deren Aufklärung, sondern zeichnet dabei schillernde soziale Porträts der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Italien und blickt in die Untiefen menschlicher Gefühle.

Vendetta. Commissario Brunettis vierter Fall (der sich wie auch sein fünfter, Acqua alta, und der jüngst erschienene sechste Fall, Sanft entschlafen, in kürzester Zeit einen Spitzenplatz in den Bestsellerlisten erobert hat) ist ein überaus spannender, fein vernetzter Kriminalroman über ein Thema von permanenter Aktualität: Es geht um das internationale Geschäft mit der Prostitution, aber auch um den Vertrieb von schockierenden Gewaltvideos und in der Folge um Wut, Grauen und eiskalten Rachedurst.

Angesiedelt ist das brisante Geschehen - wie alle Brunetti-Fälle - in Venedig, der betörenden Lagunenstadt, Anziehungsort für Künstler, Gelehrte und Dichter. Doch hinter der malerischen Fassade lauern Abgründe mit Korruption, Intrigen und Mord und mit mafiosen Verstrickungen bis in höchste politische Kreise. Niemand weiß das besser als Commissario Guido Brunetti, der hier lebt und seinen Dienst versieht, immer öfter jedoch bedrängt von der trostlosen Überlegung, daß alles, was er tut, sinnlos ist: „Warum sich die Mühe machen, den Jungen, der in ein Haus einbrach, ins Gefängnis zu stecken, wenn der Mann, der Milliarden aus dem Gesundheitssystem abzweigte, zum Botschafter des Landes ernannt wurde, in das er die Gelder seit Jahren transferierte? ... Warum jemanden wegen Mordes verhaften ..., wenn der Mann, der jahrzehntelang der höchste Politiker des Landes gewesen war, unter der Anklage stand, die Morde an den wenigen ehrlichen Staatsanwälten befohlen zu haben, die den Mut hatten, gegen die Mafia zu ermitteln?“

Illusionslos zwar, aber unbeirrt kämpft der Commissario auch in dieser Geschichte gegen die marode Moral der Reichen und Mächtigen. Der Tod zweier Männer, eines venezianischen Anwalts und eines Steuerberaters aus Padua, ist aufzuklären. Die beiden sind binnen einer Woche ermordet worden, und Brunetti wittert, daß es zwischen ihnen eine Verbindung gab. In ihren Adreßbüchern findet sich die Telefonnummer einer anrüchigen Bar. Jemand hat von dort mit Osteuropa, Ecuador und Thailand telefoniert, und der Commissario möchte zu gerne wissen, wer das wohl gewesen sein mag. Die Spur führt tief ins Milieu und von dort zu einflußreichen Bankern und Industriellen - die in schmutzige Geschäfte verwickelt sind, wie Brunetti herausfinden wird, nicht ohne Hilfe seiner weitverzweigten Connection, einer bunten Truppe, zu der die amüsante Sekretärin seines Chefs und ein ihm wohlgesinnter Richter ebenso gehören wie seine quirlige, fürwitzige Tochter und, nicht zu vergessen, seine belesene Frau. Die nämlich erinnert sich an die Zeitungsmeldung über einen Unfall, bei dem mehrere rumänische Frauen verunglückt sind, die nach Italien eingeschleust werden sollten. Und das hilft Brunetti mächtig auf die Sprünge...

Donna Leon hat die herausragende Begabung, sich in die Gedankenwelt und Seelenlage eines Mannes hineinversetzen zu können, und mit Commissario Brunetti eine Kunstfigur geschaffen, die ganz und gar glaubwürdig ist und einen von Anfang an für sich einnimmt. Mit seiner kriminalistischen Kompetenz und moralischen Integrität, seinem sozialen Engagement, seiner Menschlichkeit und nicht zuletzt seinem wunderbaren Sinn für Humor ist der Commissario ein absoluter Sympathieträger, ein Ritter für Recht und Gerechtigkeit, dabei nicht ohne Fehl und Tadel, der hoffentlich noch oft von sich reden machen wird.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite