Eine Rezension von Grace Maier


Das Böse ist immer und überall

Ann Granger: Warte nur, balde ruhest du auch

Ein Fall für Mitchell & Markby.

Roman. Aus dem Englischen von Edith Walter.

Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 1998, 400 S.

Titel und Titelbild des Buches - eine friedliche dörfliche Landschaft mit einer kleinen Kirche im Hintergrund, man meint fast die Glocken läuten zu hören - lassen einen „Landhauskrimi“ erwarten, wie ihn Agatha Christie mit der unsterblichen Miss Marple in der Hauptrolle so wunderbar beschaulich, hintergründig und spannend in Szene gesetzt hat. Und der Roman hält sogar, was sein malerisches Outfit verspricht. Die englische Autorin Ann Granger präsentiert sich als eine hervorragende moderne Vertreterin des klassischen Kriminalromans.

Gegeben ist ein Rätsel, gesucht wird die Lösung - erzählt wird die Geschichte der Aufklärung eines Verbrechens, in der der Detektiv als Held dominiert. Nach dem bewährten Muster also hat Ann Granger ihre Story um das liebenswert-exzentrische Detektivpaar Mitchell und Markby fabuliert - mit bemerkenswerter Eleganz, Phantasie und kriminalistischer Raffinesse. Diese Art Krimi setzt Freude am Kombinieren voraus. Nicht der Stoff, das Verbrechen, sondern die Methode, der Beweis, ist das Besondere dieser literarischen Gattung. Um das Rätsel zu lösen, werden alle Indizien kombiniert, bis sämtliche Spuren und Hinweise zueinander passen. Es ist ein geistiger Kampf, der ausgefochten wird und an dem der Leser mittels seiner kleinen grauen Zellen selbst teilnehmen kann - und das mit großem Vergnügen in diesem Fall, dem dritten von Mitchell und Markby übrigens schon; Serienhelden haben mittlerweile nicht nur im Fernsehen Hochkonjunktur.

Daß man Meredith Mitchell, einer emanzipierten, aber mitnichten blaustrümpfigen Lady im diplomatischen Dienst, und ihres langjährigen Verehrers, Chief Inspector Alan Markby, der sie mit seinen Heiratsanträgen immer aufs neue erschreckt, nicht überdrüssig wird, hat seinen guten Grund: Die Geschichten um die beiden sind ein überzeugender Beweis, daß das Genre auch im klassischen Gewand viel Spieglung von Wirklichkeit und das literarische Spiel mit ihr aushält und trotz des Schemas, das natürlich bedient sein will, Vergnügen über die Spannung hinaus und - wie jede Sorte sogenannter E-Literatur - Erweiterung von Menschen- und Welterkenntnis bewirken kann.

Ann Grangers Figuren sind Menschen, die im Großbritannien der 90er Jahre leben, deren Existenz gezeichnet ist von den Zügen einer hektischen, materiell orientierten, mitleidarmen Gesellschaft, in der die zwischenmenschlichen Beziehungen zusehends verkümmern und der Graben zwischen oben und unten immer tiefer wird. Daß man bei der Lektüre von Warte nur, balde ruhest du auch dennoch von einem viktorianischen Hauch angeweht wird, ist der stimmungsvollen, atmosphärisch dichten Erzählweise geschuldet, mit der die Autorin die seelischen, sozialen und Naturpanoramen anschaulich verbindet.

Und wenn eine Geschichte so „very british“ ist wie diese, dann ist es nur konsequent, daß sie mitten in London ihren Anfang nimmt. Hier lebt, arbeitet und leidet Meredith Mitchell. Sie hat die Nase voll - von ihrem Chef, der sie mit kleinkarierten Bosheiten nervt, von den Abenden in einer engen Wohnung, die nicht mal ihre eigene ist, und von dieser schrecklich lauten, staubigen Stadt. Welch eine Seligkeit, „dem Ort des Schreckens“ entfliehen zu können. Eine Einladung ihres alten Freundes Markby, im romantisch-ländlichen Bamford das Haus seiner Schwester zu hüten, macht’s möglich. Kaum angekommen, erweist sich die Idylle als trügerisch: Bagger und Bulldozer lärmen auf ehemaligem Farmerland, und in einer frisch ausgehobenen Baugrube liegt eine Leiche ... Das Böse ist eben immer und überall! Wieder einmal hat niemand etwas gesehen. Die Farmer auf den umliegenden Höfen jedenfalls hüllen sich beharrlich in Schweigen. Und schon bald gibt es neue unheilvolle Entwicklungen ...

„Zwei unaufgeklärte Morde, eine verlorengegangene Schiffsladung Heroin, eine Gang, ein Mörder, der frei herumläuft, ein geheimnisvoller Autofahrer, der einen Totschläger bei sich hat und ihn auch benutzt ...“, halten den Chief Inspector mächtig auf Trab und den Leser in Atem, auch wenn der zumindest die halbe Wahrheit der scheinbar unlösbaren Rätsel zu ahnen vermag. Da bleibt Miss Mitchell natürlich keine Muße, sich auf das Osterfest vorzubereiten. Denn Mord ist ihr Hobby. (Es ist erlaubt, sich an die gleichnamige amerikanische Fernsehserie mit der charmanten Amateurdetektivin Jessica Fletcher alias Angela Lansbury zu erinnern. Womöglich sind gewisse Ähnlichkeiten der beiden neugierigen Damen ja nicht nur Zufall!?) Mit Charme, Ausdauer und Diplomatie und dem sicheren Gespür für die Abgründe der menschlichen Seele stößt Meredith nach etlichen Umwegen schlußendlich auf eine hinlänglich bekannte, doch nicht selten übersehene Wahrheit: „Die Zeiten ändern sich, aber in so mancher Beziehung ändert sich die Haltung der Menschen nicht mit ihnen.“ „Eine Perversion guter Absichten“ ist in diesem Fall die tragische Folge.

Warte nur, balde ruhest du auch bietet alles, was man von einem guten Krimi erwartet: Er ist rätselhaft, spannend und immer glaubwürdig und bevölkert von originellen Charakteren - eine gelungene Mischung aus feiner Psycho- und tragischer Sozialstory. Ein anspruchsvoll unterhaltsamer Roman, der in seiner facettenreichen Beschreibung von Personen, Begebenheiten und Landschaften auf einfühlsame und kritische Weise und - nicht zu vergessen - mit leisem Humor das Schicksal von Menschen erhellt, die in selbstzerstörerischer Manier die Werte und Traditionen ihrer Ahnen verteidigen.

Ob es für den Chief Inspector und seine angebetete Meredith, die zur Zeit noch außerordentlich bindungsunwillig ist, vielleicht doch ein Happy-End geben wird, steht in den Sternen - oder auch schon in Ann Grangers nächstem Fall für Mitchell & Markby.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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