Eine Rezension von Heinrich Buchholzer


Meisterlich verdichtet

David Goodis: Schießen Sie auf den Pianisten

Aus dem Englischen von Iris und Rolf Foerster.

Unionsverlag, Zürich 1998, 191 S.

Die Originalausgabe dieses amerikanischen Krimi-Klassikers ist in den USA 1956 erschienen. David Goodis, Jahrgang 1917, kann in einem Atemzug mit dem der Auflage nach deutlich erfolgreicheren Mickey Spillane, Jahrgang 1918, genannt werden. Beide gehören ebenso wie Chester Himes (1909-1984, aktuell mit zwei Titeln im Unionsverlag vertreten) zu den Vätern der Hardboiled-Krimis, wobei ihre Handschriften durchaus verschieden sind und bei Himes die antirassistische Anklage hervortritt.

Alle drei haben eine treue Anhängerschaft und - wegen des Ausbreitens hartgesottener Brutalitäten, speziell bei Spillane - eine erklärte Gegnerschaft. Allerdings darf bezweifelt werden, daß die drastische Darstellung von Mord und Totschlag sowie exzessiver körperlicher Mißhandlung in Unterhaltungsliteratur die Kriminalität deutlich fördert - einschlägige oder potentielle Täter pflegen kaum Bücher zu kaufen und zu lesen. Leider gilt dies auch für einen zunehmenden Teil der jungen Leute zumindest in West- und Mitteleuropa. Sie sind durch die tägliche Brutalität im Fernsehen gefährdet, nicht durch Kriminalromane. Das mag allerdings eine strittige Ansicht sein.

Der vorliegende Goodis, nach der deutschen Erstausgabe (1980 bei Goldmann) jetzt von Reinhard Rohn neu bearbeitet, ist ein Beispiel für die Unverwüstlichkeit dieser Art amerikanischer Kriminalliteratur: Die Jahre haben den Titeln aus den Fünfzigern nichts oder kaum etwas anhaben können. Wahrgenommen werden allenfalls als Zeichen der damaligen Zeit einige - verglichen mit heute - Primitivitäten des Alltags, die man übrigens in den Provinznestern der USA nach wie vor findet, ganz zu schweigen von den Slums. Bemerkenswert für die Fünfziger sind auch die niedrigen Preise für Speis und Trank in den Kneipen; ob das Leben deswegen besser war, sei dahingestellt. Dergleichen Authentisches stört nicht, macht einen Goodis von damals eher zu einem authentischen Bericht. Geweckt werden beim älteren deutschen Leser vielleicht nostalgische Gefühle in Erinnerung an die Jahre in der jungen Bundesrepublik, da ein Bier und ein Korn zusammen eine Mark kosteten, oder an das allzeit moderate Preisniveau der volkstümlichen Gastronomie in der DDR, deren Merkmal ja keineswegs darin bestand, daß man zu warten hatte, bis man „plaziert“ wurde, wie eine einseitige Alltagsgeschichtsbetrachtung dem Unkundigen heute suggerieren möchte.

In diesem Buch sind die bescheidenen Lebensumstände der handelnden Menschen eine feste, unabänderlich erscheinende Größe. Die Hauptperson, von der berichtet wird, ein begabter, vorzüglich ausgebildeter, einst erfolgreicher Konzertpianist, ist in einer Arbeiterkaschemme gestrandet, ohne Willen zum Comeback, wie erstarrt nach einem schicksalhaft erscheinenden persönlichen Desaster. Dennoch kommt er - aus einer Fluchtdistanz - mit seiner kleinen Umwelt zurecht. Dem Anspruchslosen in seinem Schneckenhaus geht es soweit gut, bis er plötzlich von Verbrechern bedroht wird, die von seinen beiden kriminellen Brüdern gelinkt worden sind und nun deren Aufenthalt wissen wollen. Instinktiv flieht der Pianist, auf den geschossen werden soll. Bewußt aber setzt er den Rest menschliche Wärme und Hilfsbereitschaft, den er sich bewahrt hat, zum Schutz einer Kellnerin der Kneipe ein, die in Bedrängnis kommt, und er setzt damit seine ganze schäbige Existenz, Gesundheit und Leben aufs Spiel.

Das Faszinierende an dem Buch ist die einfache, auf eine Person zugeschnittene und meisterlich verdichtete Handlung. Indem man liest, denkt man an einen Holzschnitt. Die Geschichte beginnt und endet am Klavier, in der verräucherten Bierkneipe, wo sich der Mann seinen Lebensunterhalt verdient. Wir erfahren nur, was in wenigen Stunden geschieht. Wir erfahren nicht, ob der Mann sich wieder aufrappeln wird, sondern erleben, wie er noch einmal davonkommt.

Das ist kein Roman, sondern ein Holzschnitt. Ein Krimi, dessen Handlung sich in einem so kleinen, engen Kreis entfaltet und zum Ausgangspunkt zurückkehrt, gehört zu den Raritäten. Vergleichbares findet man am ehesten in den klassischen Short Stories des 19. und 20.Jahrhunderts, die (nicht nur) der amerikanischen Literatur große und bleibende Impulse gegeben haben. Zu erinnern ist anhand dieses Buches von Goodis auch daran, daß die heutigen opulenten, mit einer breitgefächerten Handlung aufwartenden oder prunkenden Kriminalromane in den Vereinigten Staaten mit ihrem Hang zum gehobenen Gesellschaftsmilieu sich grundlegend von den vor und bald nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen eher schmalen Krimis unterscheiden. Man darf hinzufügen: Ein üppiges, dickes Buch ist nicht wegen seines Umfangs prädestiniert, bemerkenswerte Literatur zu sein, die über Jahr und Tag hinaus Bestand hat. Jedenfalls ist es zu begrüßen, wenn interessante Bücher, deren Erscheinen mehr als vier Jahrzehnte zurückliegt, neu aufgelegt werden. Die Pianistengeschichte von Goodis gehört zum maßstabsetzenden Grundstock der Kriminalliteratur und ist alles andere als antiquiert.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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