Eine Rezension von Angela Fischel


„Vielleicht ist auch das Nichtsein individuell?“

Norbert Niemann:

Wie man’s nimmt

Roman.

Carl Hanser, München 1998, 432 S.

Irgend etwas stimmt nicht mit dieser Generation. Irgend etwas fehlt ihr, etwas funktioniert nicht. Oder will nicht funktionieren. Der erste Roman Wie man’s nimmt des Autors Norbert Niemann entwickelt in fünf Figuren das Bild einer Generation, die (wie es scheint) das Scheitern zum Lebensstil gemacht hat. „Vielleicht ist auch das Nichtsein individuell?“ Dieses Zitat aus Imre Kertész’ Galeerentagebuch stellte Niemann seinem Erstlingswerk als Motto voran.

Alles scheint perfekt - viel zu perfekt - im Leben des Restaurators Peter Schönlein: Er hat seinen beruflichen Weg gemacht, ist glücklich verheiratet, hat zwei Kinder und wohnt in einem eigenhändig restaurierten Haus. Doch die Idylle hat keinen Bestand, sie ist im doppelten Sinne eine Fiktion. Peter Schönlein führt ein unwirkliches Leben, dessen Sinn ihm längst abhanden gekommen ist. So führt der erste Schritt, der aus dem geschützten Areal linksliberaler Bürgerlichkeit führt, zu einer selbstzerstörerischen Kettenreaktion. Peter Schönlein steigt aus und geht unter.

Ebenso markant wie übersteigert zeichnet Niemann den zweiten Charakter des Romans: den Intellektuellen Mattias Boker, der in asketischer Verweigerung sein Talent als Volkshochschullehrer vergeudet und ganz in der Auseinandersetzung mit dem Werk Lessings aufgeht. Der unangepaßte Boker verweigert sich, stellt Fragen und stochert in Schönleins Idylle. Immer wieder stellt er die unmögliche Frage nach dem Sinn, hält sich an seiner Weltfremdheit aufrecht und spielt nicht mit. Verweigerung als Überlebensstrategie. Bizarr, aber logisch konsequent klingt Bokers Lebensphilosophie: Wenn Lessing als der erste freie Autor überhaupt das neue Berufs- und Selbstverständnis des Intellektuellen schuf, wenn „Denken als Handeln“ zur Maxime wird, dann führt Boker dieses Vermächtnis fort. „Zum Glück“, sagt Boker, „kehren nicht nur die Zombies wieder. Ich bin Lessing.“ (S. 182)

Der Autor Norbert Niemann hat seinen Romanfiguren überscharfe Konturen gegeben. Überspitzt bis zur Karikatur, dennoch glaubwürdig und nicht minder verzweifelt, ringen sie mit ihren eigenen Ansprüchen - hoffnungslose Idealisten ohne Ideal. Sie erinnern sich nur zu gut an ihr jugendliches Aufbegehren. Die Wut, die sie damals trieb, ist nicht verraucht und immer noch gegenwärtig. Lebendig bleibt dieses Aufbegehren in der Figur des Malers Kreiner, der als Erinnerung durch die Gedanken seiner ehemaligen Freunde spukt. Jeder der Protagonisten arbeitet sich an dieser abwesenden Gestalt ab, spiegelt sich in ihr und überträgt die eigenen verlorenen rebellischen (Alp-)Träume auf sie. Die Vergangenheit ist gegenwärtig, doch der Zorn von damals scheint sich nun gegen die Erinnernden selbst zu wenden. Aus hochfliegenden Träumen wird nagender Zweifel, denn mit der Gewalt des Alltags, in den Träume schließlich eingehen, hat niemand gerechnet.

Merkwürdig blaß inmitten dieses Konflikts bleiben die Gestalten der Frauen: Christa Schönlein, die Schöne, Stilvolle, Kluge, erscheint so unwirklich wie Peter Schönleins Tagtraum. Sie verkörpert ihn geradezu. Dieser Eindruck entsteht, weil diese Figur den Konflikt, der Schönlein zum Fallen bringt, aushält und scheinbar mit ihm zu leben weiß. Fester orientiert an der Realität, und deshalb weniger tragisch, und wesentlich pragmatischer als ihr männliches Pendant erscheint auch die zweite Frauengestalt des Romans: Lisa. Wie alle Figuren des Romans sind auch diese beiden antipodisch und komplementär zueinander angelegt. Die Figur der spröden Lisa - schlaksig, stark geschminkt, rauchend und selbstvergessen tanzend - ist ebenso prägnant wie klischeehaft. Beide Frauenbilder scheinen eher aus der Phantasie der männlichen Protagonisten zu entstehen, als daß sie eine eigene Kontur und Dynamik besitzen. Diese Perspektive erfaßt das Klischee eines Klischees - letzlich ist auch dieser Blickwinkel aufschlußreich.

Der Autor Norbert Niemann ist 37 Jahre alt. Er beschreibt eine Generation, die er sehr genau kennt. Mit ironischer Distanz und mit voller Anteilnahme an der verzweifelten Donquichotterie seiner Protagonisten schildert Niemann den schier unlösbaren Konflikt dieser Charaktere, die nicht erwachsen werden können. Bei aller Überspitzung der Konstellationen - seine Helden sind so unwahrscheinlich wie das Leben selbst. Niemanns spröder Stil fixiert nicht nur die Ausdrucks- und Gedankenwelt einer Generation, sondern hält den Leser auch auf Distanz. Identifikationen schließen sich von selbst aus - ein große Leistung des Autors. Denn ohne Zweifel ist dieses Gesellschaftsporträt auch ein Widerschein der eigenen Erfahrung. Norbert Niemann, der Literatur, Musikwissenschaften und Geschichte studierte, lebt in Chieming. Er arbeitet als Musiklehrer und Autor. Für seinen ersten Roman erhielt Norbert Niemann den Ingeborg-Bachmann-Preis.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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