Eine Rezension von Christel Berger


Nachdenkliche Prosa eines Lyrikers

Uwe Kolbe:

Renegatentermine

30 Versuche, die eigene Erfahrung zu behaupten.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1998, 228 S.

Uwe Kolbe, 1957 geboren, ist ein Autor, der bei Lyrik-Fans, Germanisten und Preisrednern einen guten Ruf hat. Ein breites Publikum jedoch hat er wohl nie gesucht und gefunden. Er schreibt Gedichte, die Wohlklang nicht gänzlich meiden und die die Kenntnis des Autors von Hölderlin und Jandl verraten, grammatische Strukturen akzeptieren, zornige, nachdenkliche Gedichte - ein eigener „Kolbe-Ton“, was auch heißt, von Moden und Trends ließ er sich nicht vereinnahmen.

Kolbe stammt aus Ostberlin. Hier erlebte er Kindheit und Jugend, ging zur Schule, wurde als junger Lyriker gefördert und gegängelt. Einer seiner Förderer hieß Franz Fühmann. Da hatte er Glück: Gedichte, die Verlagslektoren wegen politischer Brisanz und fehlender Angepaßtheit schon abgelehnt hatten, setzte das Akademiemitglied Fühmann als Publikation in „Sinn und Form“ durch und schrieb einen Begleittext, der den jungen Dichter feierte und ihm das Recht anderen Weltempfindens zusprach. Nicht immer wollte und konnte Franz Fühmann Kolbe schützen. 1981 war der „junge Wilde“ zu sehr aufgefallen und hatte die DDR-Obrigkeit arg getroffen. Hatte er doch in einem Buch des Mitteldeutschen Verlags, das junge Autoren mit biographischen Angaben und einem kurzen Text vorstellte, ein Gedicht versteckt, dessen Zeilenanfänge eine wüste Beschimpfung auf die Funktionäre enthielt. „Wir lachen sie kaputt“ - war durchaus Programm, wurde natürlich ein Skandal, und das Büchlein mußte mit einem anderen Text noch einmal gedruckt werden. Damals war bereits im renommierten Aufbau-Verlag Kolbes erster Gedichtband Hineingeboren (1980) erschienen. Gedichte, die - wie Fachleute meinten - das Lebensgefühl einer damals neuen Generation junger Lyriker artikulierten: hineingeboren zu sein in eine Welt, die andere eingerichtet hatten und für die diese Erbauer keine Veränderungen und Kritiken zulassen wollten. Diese Welt, dieses Land wurde den Jungen nie ihr eigenes, es blieb „fremd“, „eng“, eine „Stacheldrahtlandschaft“.

Je genauer und schärfer diese Position formuliert wurde, um so schwieriger wurde die Publikation, obwohl der Autor doch als begabt galt und „gefördert“ - erzogen, eingegliedert gezähmt - werden sollte. Dafür gab es Konzepte, deshalb wurde beobachtet und berichtet. Es erschienen weitere Bände des jungen Autors (1981 Abschiede und andere Liebesgedichte, 1986 Bornholm II), der zwar keine Skandale mehr auslöste, aber zu den Herausgebern von Untergrundzeitschriften und den Veranstaltern von Zimmerlesungen im Prenzlauer Berg gehörte.

Er gehörte dazu und war doch - wie er bekennt - auch dabei der Außenseiter, Fremde, der Einzelgänger. Nicht nur seine Gedichte und sein ästhetisches Credo waren anders. Außerdem - auch das war wohl Teil des Konzepts der Herrschenden - war Kolbe als „Reisekader“ privilegiert. Er durfte in den Westen reisen, seine Gedichtbücher erschienen auch hier, und als 1984 nach einem Brief an den Kulturminister die Spannungen übermächtig wurden, wurde der Autor Gast und Stipendiat und mehrfacher Preisträger mit DDR-Paß im Westen, bis er 1988 ganz nach Hamburg zog. 1989 hatte er eine Gastdozentur an der Universität von Texas und erlebte den Mauerfall im Fernsehen. 1990 erschien bei Suhrkamp ein neuer Gedichtband: Vaterlandskanal, Ein Fahrtenbuch, 1994 ein weiterer: Nicht wirklich platonisch. Seit 1993 wohnt er wieder in Berlin-Mitte, aber - unter anderem zieht sich das durch den hier zu besprechenden Essay-Band - „Heimat“ ist ihm auch heute eher fremd. Er macht es sich schwer damit.

Renegatentermine ist eine Sammlung von Reden, Aufsätzen, Vorträgen und Artikeln Uwe Kolbes. Der früheste Text ist aus dem Jahre 1984 - die Rede am Grabe Franz Fühmanns, die erstmals 1985 in der Untergrundzeitschrift „Mikado“ gedruckt wurde. Die anderen Arbeiten sind später entstanden; Texte kurz vor und vor allem nach der Wende, erschienen in verschiedenen Zeitungen, Almanachen und Büchern. Daß es sie nun gesammelt gibt, ist gut, denn es sind allesamt sehr nachdenkliche, fundierte und originelle Stücke, die zum einen der eigenen Entwicklung kritisch nachspüren und damit auch Details aus Geschichte und Gesellschaft der untergegangenen DDR belichten, um immer genauer zu ergründen, wie es wirklich war, warum es so war.

Uwe Kolbe ist kein sturer Rechthaber. Opfer- oder Ankläger-Attitüden sind ihm fremd, Beschimpfungen und Skandale sind seine Sache schon lange nicht mehr (bezeichnend: Trotz vieler Rückblicke auf die eigene Vergangenheit, spielt der „Skandal“ keine Rolle). Am besten trifft der Untertitel des Buches: „30 Versuche, die eigene Erfahrung zu behaupten“. Nicht mehr und nicht weniger, das aber genau, manchmal langsam, fast zögerlich, aber dann konsequent. Kritisch und dennoch verständnisvoll betrachtet er nicht nur die eigenen Entscheidungen, auch die Freunde und Mitstreiter werden so gesehen, auch die „Beschützer“ von der Stasi erhalten neben Verachtung eine Portion Nachdenklichkeit. Auch Franz Fühmann, der verehrte Lehrer, ist von dieser eigenständigen kritischen Begleitung nicht ausgenommen, und so widmet Uwe Kolbe 1992 ihm erneut einen Text, in dem die Fühmannsche Klage, gescheitert zu sein, ernstgenommen und nicht - wie bisher in der Fühmann-Literatur üblich - widerlegt oder als rhetorische Floskel abgetan wird.

Zu einer solchen Position braucht es wahrlich eigene Maßstäbe, eigene Weltsicht und Kenntnisse. Kolbe hat sich diese souverän erarbeitet, er bewegt sich, wenn er beispielsweise über Deutschland spricht - gewagt zwischen „rechts“ und „links“, und wenn es um Literatur geht, ist er eher aufklärerisch/konservativ als postmodern.

Renegatentermine - der Aufsatz, der dem Buch den Titel gab - ist zweifellos von den 30 Texten der interessanteste, die tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Verlust der sozialistischen Utopie. Wieder geht Kolbe dabei vor allem von sich aus, schließt aber hier die geschichtlichen Erfahrungen anderer aus diesem Jahrhundert kenntnisreich und differenziert ein. Selten habe ich bei diesem Thema Gelassenheit und Toleranz vorgefunden. Kolbe hat sie. Sein Abschied vom Traum Sozialismus ist frei von Haß, auch Selbsthaß, Wut und Schuldzuweisung. Man muß ihm nicht folgen, aber ernstzunehmen und zu respektieren ist diese Erfahrung unbedingt.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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