Eine Rezension von Hans-Rainer John


Insider-Berichte über die Geisha-Welt

Geisha

Vom Leben jenseits der Weidenbrücke.

Aus dem Japanischen übertragen von Michael Stein.

Insel Verlag Frankfurt a. M./Leipzig 1998, 312 S.

Dieses Buch erschien in der wohlrenommierten und gut ausgestatteten Reihe „Japanische Bibliothek“ des Insel Verlags, die inzwischen weit mehr als zwanzig Bände umfaßt. Es hat sich vorgenommen, durch zwei Insider-Berichte, die unterschiedlicher nach Zeit und Ort, Verfasser und Blickpunkt nicht hätten sein können, authentisch und fern aller künstlichen Exotik mit der Geisha-Welt bekannt zu machen. Michael Stein ist auf jeden Fall für die einfühlsame Übersetzung und ein kenntnisreiches Nachwort mit wertvollen Informationen zu danken, möglicherweise auch für ein phantastisches Glossar und überhaupt für die Entdeckung der beiden kulturhistorisch wertvollen Texte.

Auf knapp hundert Seiten schildert, preist, besingt da zunächst Narushima Ryuhoku (1837-1884), ein hochgebildeter Samurai-Sproß, Journalist und Verleger, das berühmte Tokioter Amüsierviertel Yanagibashi, in dem er wohl ein ziemliches Vermögen verjubelt haben muß. Seine „Notizen“, die Erfahrungen eines Lebemannes, veröffentlichte er teils 1860, teil 1874, und sie sind voller Hochachtung für die Geishas, die damals noch hohes Ansehen als Künstlerinnen genossen, die Dichtung, Gesang, Instrumente und Gesang beherrschten, die zwar auch Gesellschafterinnen in Vergnügungsetablissements waren, aber keinesfalls verpflichtet, mit Gästen das Kissen zu teilen. Eine Geisha zum Beischlaf zu bewegen, dazu gehörten neben Geld auf jeden Fall Charme und Liebenswürdigkeit, Bildung und Eleganz, Sympathie und Zuneigung sowie Genußfähigkeit für erlesene Speisen und edle Getränke, und immer blieb die Entscheidung über ihren Körper Sache der Geisha. Die Aufzählung aller Stätten des Amüsiergewerbes und der Namen aller Geishas sind freilich heute wohl eher kurios als von aktuellem Interesse, die Beschreibungen der Örtlichkeiten, Sitten und Gepflogenheiten, wie sie ein Stammgast zusammenzufassen vermag, dagegen immerhin von informativem Wert.

Wesentlicher, spannender und berührender sind die folgenden 160 Seiten, auf denen Masuda Sayo, geboren 1925 als uneheliches Kind auf dem Dorfe, ungebildet, des Lesens und Schreibens unkundig bis ins vorgerückte Alter, mit erstaunlicher Lebendigkeit und Anschaulichkeit ihr Leben beschreibt. Dieser Text ist 1957 in Japan veröffentlicht worden und verrät ein erstaunliches schriftstellerisches Naturtalent (nur die letzten Seiten gleiten moralisierend etwas ins Triviale ab).

Masuda war mit zwölf Jahren an ein Geisha-Haus in einer elenden Provinzstadt verkauft worden. Mit unglaublicher Brutalität wurde ihre Ausbildung vorangetrieben, und dann wurde sie in Dienst gestellt. Zu diesem Zeitpunkt waren Kunstfertigkeiten wie Instrumentenspiel, Gesang und Tanz schon nicht viel mehr als Vorwand für pure Prostitution, zu der die Inhaberin des Hauses die Geishas mit allen Mitteln, einschließlich Folter, zwang. Systematisch wurde den Lehr-Geishas jedes sittliche Empfinden, Tugend und Moral ausgetrieben. Sie wurden - meist in Übereinstimmung mit den Eltern - pure Ausbeutungsobjekte, die Geld einzubringen und abzuliefern hatten, solange Jugend, Schönheit und Gesundheit sie dazu befähigten; dann wurden sie einem ungewissen Schicksal überlassen. Die Schikanen waren unendlich, und Solidarität unter den Geishas gab es nicht. Die bedrückenden Lebensverhältnisse ließen im Gegenteil die niederträchtigsten Charakterzüge zutage treten, die aufreibende Rivalität zeugte Mißgunst, Haß, Neid und Konkurrenzgebaren. Selbstmorde waren an der Tagesordnung, schienen sie doch einziger Ausweg aus einem trost- und aussichtslosen Dasein. Krankheiten rafften viele junge Mädchen ohnehin vorzeitig dahin.

Das größte Unglück aber, das eine Geisha ereilen konnte, war das Erlebnis wahrer Liebe. Ekel gegenüber dem täglich Gebräuchlichen ließ dann das Dasein unerträglich werden. Als Masuda dieses Schicksal ereilte, suchte sie der Geisha-Welt zu entfliehen (die Stationen auf der Suche nach einem Ausweg, nach einem normalen Leben machen den größeren Teil der Lebensbeichte aus). Aber da zeigte sich die ganze Unmenschlichkeit der Gesellschaft, die schuldlos zu Fall gekommene Mädchen nicht wieder aufzunehmen bereit ist und sie von Stufe zu Stufe sinken und schließlich verkommen läßt.

Was Masuda formuliert, ist die wütende Anklage einer verkauften, verletzten und verhöhnten Frau, die so lange eingeschüchtert und terrorisiert wird, bis sie alle Menschen fürchtet und sich selbst verachtet. Die sachliche, fast emotionslose Wiedergabe der Fakten wirkt eindringlicher, als es jeder emotionelle Aufschrei vermocht hätte.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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