Eine Rezension von Siegfried Wollgast


Jud Süß - Aufstieg und Fall

Hellmut G. Haasis:

Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß

Financier, Freidenker, Justizopfer.

Rowohlt Verlag, Reinbek 1998, 479 S.

In unserer scheinbar universell aufgearbeiteten Welt gibt es doch immer wieder noch nicht aufgearbeitete Bereiche. Zu J. Süß Oppenheimer gibt es z. B. zwar viel Literatur von „rechts bis links“, aber H. G. Haasis (geb. 1942) hat erstmalig die Stuttgarter Prozeßakten für die vorliegende Biographie vollständig ausgewertet. Zudem die bislang nicht beachteten Kurpfälzer Akten in Karlsruhe, den Nachlaß in Frankfurt und die Münzakten in Darmstadt.

Die flüssig geschriebene Biographie widmet sich gerade dem Menschen Süß Oppenheimer, erst nach Erwürgen (nicht Erhängen) am höchsten Galgen des deutschen Reiches 12 m über dem Erdboden am 4. Februar 1738 durchgängig als „Jud Süß“ verunglimpft. Haasis schildert zunächst Familie, Geschwister und Jugend des im Februar bzw. März 1698 in Heidelberg Geborenen, und sein Umfeld. Beigegeben sind 12 Abbildungen, zumeist nach zeitgenössischen Stichen, drei Faksimile-Unterschriften sowie eine abgelichtete Seite aus dem letzten Brief des Delinquenten an seinen Verteidiger vom 5. 1. 1738. Etwa ab 1722 wirkte J. Süß Oppenheimer in Mannheim. Hier stieg er „langsam vom Kleinhandel über alle möglichen Aufträge zum Pächter eines staatlichen Monopols auf“ (S. 51), des kurpfälzischen Steuerpapiers. Damit war er „nicht mehr der jüdische Händler, sondern eher ein autodidaktischer Verwaltungsexperte, der einen enormen Schriftverkehr mit ausgeklügelten Darstellungen zu bewältigen hatte“ (S. 61). Die Zahlungspflichtigen rebellierten und wandelten ihre Zahlungsunwilligkeit gegenüber dem Kurfürsten in Judenhaß um. Dieser Judenhaß sollte Jud Süß auch in den Tod treiben. Leider ist dieser Gedanke bei Haasis nicht tragend, er wird vielfach nur einzelnen zugeschrieben. Wie ist es möglich, daß „plötzlich“ ein so ungeheurer Judenhaß in Württemberg tragbar wird, wie er sich am 20.3.1737 bei J. Süß Oppenheimers Verhaftung äußert (S. 320) oder bei seinem Transport zum Hinrichtungsort Stuttgart am 30.1.1738 (S. 415)? Wie ist dieser Haß generell erklärbar? Mate-rial gibt es dazu wahrlich genug. Haasis grenzt sich von Instrumentalisierungen dieses Hasses, wie sie Veit Harlans NS-Film von 1940 bezeichnet, ebenso ab wie von diesem Haß selbst. Er schildert Oppenheimers Leben im Detail, zeigt dabei, daß ihn keine Schuld trifft. Doch eingebettet ist seine Schilderung höchstens in die regionalen Verhältnisse. Sie erklären aber nicht den ganzen Antisemitismus in Deutschland.

Ab 1732 pendelt Süß Oppenheimer zwischen Darmstadt, Frankfurt/Main und Württemberg. Zum Darmstädter Landgrafen Ernst Ludwig unterhält er seit 1730 Beziehungen und schlägt ihm die Münzherstellung vor. 1732 lernt er auch den designierten Württemberger Thronfolger kennen. Dieser, der Katholik Carl Alexander, besteigt am 16.12.1733 den Thron im völlig protestantischen Württemberg. Süß Oppenheimer beeindruckt ihn und andere Auftraggeber durch seinen typischen Arbeitsstil, der durch „Unerschrockenheit, Selbstbewußtsein und Pragmatismus“ gekennzeichnet war (S. 33). Diese Eigenschaften, mit Erfolgen verbunden, trugen ihm auch viele Gegner ein. Ab 1733 wohnte Süß in Frankfurt, hier wurde er württembergischer Resident. Später wurde er als enger Vertrauter des Herzogs sogar u. a. „Geheimer Finanzrat“.

Es liest sich bei Haasis wirklich überzeugend, wie umfassende Geschäftsbeziehungen und finanztechnisches Geschick sich bei dem für seine Zeit mit modernen Methoden operierenden Süß Oppenheimer auch dahingehend auswirken, daß er als solider und ideenreicher Financier einer adligen Klientel erscheint. Das Privatleben des Financiers kommt dabei nicht zu kurz: die Mutter, Frauen und Liebschaften, Heiratspläne, sein Verhältnis zu seiner christlichen Lebensgefährtin Luciana Fischer, seine Freigiebigkeit u. a.

Eigentlich ist der Prozeß das Kernstück, auf das der Autor hinsteuert. Als Herzog Carl Alex ander überraschend am 12.3.1737 stirbt, geht die geballte Wut dieses „evangelischen Kirchenstaates mit den Prälaten und den durch das ganze Land versippten Patriziern“ (S.105) auf J. Süß Oppenheimer nieder. In Württemberg hatten der Herzog und die Landstände bzw. der Geheime Rat die Macht. Diese betrachteten jede geringste Änderung im Staate als Attentat auf ihre Rechte. Der patrizische Kastengeist, getränkt mit Judenfeindlichkeit, stellte sich gegen den jüdischen Financier Süß Oppenheimer, den wirtschaftlichen Berater des Herzogs. Man verschleppte Entscheidungen oder boykottierte sie, zur Empörung gerade auch des Herzogs. Gegen ihn und gerade auch gegen seinen Ratgeber Süß Oppenheimer kam es zur „konservativen Revolte“ (S. 300). Nach dem Tode des Herzogs muß Süß Oppenheimer für die Entscheidungen des katholischen Herzogs im bigotten protestantischen und hochverschuldeten Württemberg büßen. Im Auftrage des (ungeliebten) katholischen Herzogs hatte er auch die Entwicklung zum modernen Finanzwesen vorangetrieben. Das störte die Herrschenden, die sich an den Herzog nicht herangetraut hatten. Dabei hatte Süß Oppenheimer sich keineswegs an den Herzog bzw. seine Position in Württemberg geklammert, er wollte immer wieder weg: Er „war in Stuttgart ein Sklave in goldenen Ketten, kein freier Mensch“ (S. 189). Im Prozeß, der bis zum Hochverratsprozeß aufgebläht wird, kommt es zu 1365 Seiten Akten mit 1075 Fragen. „Viele Fragen erscheinen regelrecht dumm. Zu Gericht sitzen Leute, die nichts von dem verstehen, worüber sie schon lange das Todesurteil gefällt haben ... Hier sitzt eine eitle gekränkte Bürokratie auf dem Richterstuhl gegen einen geistesgegenwärtigen Außenseiter, der argumentativ nicht zu Fall zu bringen ist.“ (S. 345)

J. Süß Oppenheimer bewahrte während des ganzen Prozesses eine sehr souveräne Haltung. Er gab nichts zu, weil nichts zuzugeben war. Stets verlangte er zu erfahren, was man ihm denn nun im einzelnen vorwerfe. Bis zu seinem Ende erhielt er dazu keine richtige Antwort. Er bekommt nur einen Pflichtverteidiger, der aber bewußt nichts für ihn tut. „Bis zu seinem Schluß fordert Süß ständig unparteiische Richter, einen landesfremden Rechtsbeistand und einen öffentlichen Prozeß. Sein Schicksal gewinnt prophetische Größe für eine unabhängige Rechtsprechung.“ (S. 372) - Und: Bis 1918 blieben die Prozeßakten - dazu gehören 344 Fragen der Verteidigung und mehrere längere Erklärungen des Angeklagten, insgesamt 167 Seiten - Geheimmaterial, „ausgenommen für wenige obrigkeitstreue Historiker, die sich auf die Kunst der unterwürfigen Selbstbeschränkung verstanden“ (S. 381). Süß Oppenheimers Verteidigungsschrift blieb vor Gericht ungelesen. Der ganze Geheimprozeß fand ohne den Angeklagten statt, dieser war auf der Festung Hohenneuffen bzw. auf der Festung Hohenasperg. Man konstruierte Vorwürfe bis hin zum Landesverrat und Majestätsverbrechen sowie Münzfälschung, auch um den Herzog und seine christlichen Ratgeber zu entlasten. Fast „modern“ mutet das Wühlen der Ankläger im Sexualleben des Angeklagten an! „Männlicher Sexualneid tritt in den Verhörprotokollen unverhüllt auf.“ (S. 213) Zwei Welten prallten aufeinander: der Herzog und seine Ratgeber setzten auf Geld und Zinsen dabei, das Patriziat, dann die Ankläger von Süß Oppenheimer auf Naturalwirtschaft. J. Süß Oppenheimer war in seiner Weltanschauung Aufklärer, auch in seinen religiösen Auffassungen. Sein philosophisches Denken wurde wohl durch Christian Thomasius entscheidend geprägt. Dies ist bei Haasis nur angedeutet (z.B. S. 281), es lohnt sich wohl weitere Arbeit dazu. Jedenfalls stirbt er bewußt als Jude.

Haasis stellt vornehmlich aus den Gerichtsakten, gegen Legenden und Verzerrungen, die wirkliche Lebensgeschichte des J. Süß Oppenheimer dar. Aus den Akten auch wird bewiesen: „Joseph Süß Oppenheimer starb in der Selbstgewißheit eines deutschen Juden - Opfer eines christlichen Justizmordes.“ (S. 404) Zudem: „Das Urteil nennt keine Straftaten und verweigert eine Begründung ... läuft auf eine faustdicke Lüge hinaus.“ (S. 436f.) Bei aller Trefflichkeit der Arbeit: Haasis beschränkt sich zu sehr auf Württemberg! Übergreifende Literatur zur Judenfrage in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert fehlt ganz, ausgewertet wurde lediglich Material zu badisch-württembergischen Juden! Hingegen wird der lokalhistorische Aspekt sehr betont: Wie eine Straße, ein Platz heute heißen, wird immer wieder gesagt (z.B. S. 175f., 227, 244, 264, 305, 416). Die ökonomischen Prozesse hätte ich mir mehr unter heutigem Aspekt dargestellt und erhellt gewünscht. Sechs Jahre hing der Erwürgte Joseph Süß Oppenheimer am Stuttgarter Galgen. Den Täuferführern zu Münster war 1535 ähnliches widerfahren. Doch beide leben fort - auch in der Literatur. Daher ist erstaunlich, daß Haasis Wilhelm Hauffs Jud-Süß-Novelle nicht erwähnt, vor allem nicht Lion Feuchtwangers Jud Süß. Einige Präzisierungen hätten dem Werk und damit der Sache gutgetan. Zum Beispiel: Wer war Salomon Schächter, der den Delinquenten bis zum Tode begleitete und dessen letzte Lebensstunden beschrieb? Und hätte nicht die Dissertation von Barbara Gerber „Jud Süß - Aufstieg und Fall im frühen 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur historischen Antisemitismus- und Rezeptionsforschung“ (Hamburg 1990) mit ihren 754 Seiten zumindest Erwähnung verdient?


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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