Eine Rezension von Eberhard Fromm


Die politische Dimension der christlichen Botschaft

Heiner Geißler:

Das nicht gehaltene Versprechen

Politik im Namen Gottes.

Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1997, 298 S.

Beim ersten Hinsehen ist man gewillt, das Buch schnell wieder aus der Hand zu legen, weil man aus Erfahrung meint: Noch eines der vielen Politiker-Bücher, in denen Aufwertung der eigenen Person, politisches Geschwätz und parteipolitische Reklame ein wenig interessantes und kaum lesbares Gemisch bilden! - Doch schon ein Satz in dem mit „Das Versprechen“ überschriebenen Vorwort läßt etwas anderes ahnen: „Es geht in diesem Buch um die politische Dimension des Evangeliums ...“ (S. 12) Wenn es also nicht um den Politiker Heiner Geißler, den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU im Bundestag geht, wenn nicht Erinnerungen an die Zeiten als Bundesminister oder als Generalsekretär seiner Partei erzählt werden, wenn nicht einmal die CDU und ihre Politik propagiert werden - was ist dann das generelle Anliegen dieses Buches?

Tatsächlich geht Heiner Geißler - ohne Augenzwinkern und ohne Augenwischerei, sondern mit einer gewissen moralischen Rigorosität - von dem Fundament der christlichen Botschaft aus. Die politische Dimension dieser Botschaft besteht für ihn in der Aufgabe, eine neue Welt durch die Veränderung der bestehenden Welt zu schaffen, was eben auch das Austragen vieler Konflikte bedeute. Danach muß man von einer modernen Politik verlangen, daß sie die mit ihr zusammenhängenden ethischen Fragen beantwortet. „Es ist eine Konsequenz des kategorischen Imperativs, immer wieder zu versuchen, eine Renaissance der politischen Ethik zu schaffen, die Moral und Politik, Geist und Macht zusammenbringt.“ (S. 54) Letztlich holt sich der Autor die heutige Politik auf den Prüfstand seiner Ansprüche, wobei ihn natürlich besonders jene Politik interessiert, die mit einem christlichen Anspruch auftritt.

In fünf Bereichen testet Geißler die Politik: Staat, Wirtschaft, Soziales, Frauen und Ausländer sind jene Gebiete, die hier mit Sachkenntnis befragt werden. Probleme des Staates (S.57-134) nehmen dabei einen großen Raum ein. Ausgehend vom christlichen Menschenbild und der Unteilbarkeit der Menschenrechte, werden Außenpolitik, aufkommender Nationalismus und Rechtsradikalismus untersucht. Angesichts der internationalen Entwicklungen fordert der Autor, daß die weltweite Durchsetzung der Menschenrechte nicht auf dem Altar von Diplomatie und Profit geopfert werden dürfe, sondern daß es eine Mobilisierung der Ideen und der Medien in diesen Fragen geben muß. Unmißverständlich heißt es: „Außenpolitische Feigheit, das Prinzip der Nichteinmischung mit der faulen Ausrede der stillen Hilfe, widerspricht dem Geist des Evangeliums.“ (S. 108 f.) Auch in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus wird erhöhte geistige Bereitschaft verlangt; Tendenzen am rechten und neoliberalen Rand der CDU werden in erster Linie als Ergebnisse von Gedankenfaulheit und Zukunftsangst gewertet.

Im Bereich der Wirtschaft (S. 135-164) spricht Geißler von einer amoralischen Wirtschaftsordnung, hält Kommunismus und Kapitalismus für gleichermaßen falsche Antworten auf die Herausforderungen der Zeit und fordert in diesem Zusammenhang zur Verteidigung der Sozialen Marktwirtschaft gegen zunehmenden Egoismus und „Turbokapitalismus“ auf, weil für ihn die Soziale Marktwirtschaft ein „moralisches Bündnis von Marktwirtschaft und sozialer Gerechtigkeit“ darstellt, eine „angewandte Aufklärung“ (S. 150).

So knapp der Bereich Soziales (S. 165-179) auch behandelt wird, so wird die Brisanz der Probleme an den wenigen ausgewählten Fragen mit Schärfe angesprochen, ist hier der Widerspruch zur christlichen Botschaft doch besonders deutlich. Geißler spricht von Ellenbogenegoismus und Catch-as-catch-can-Mentalität, von Entsolidarisierung und diskriminierten Minderheiten in Deutschland. Selbst im Bundestag würden hartherzige Reden über nicht mehr leistungsfähige Menschen gehalten, „daß man tief ins soziale Fleisch schneiden müsse, als wäre die Bundesrepublik Deutschland eine Metzgerei, und daß der Mensch auf einen Standort- und Kostenfaktor reduziert wird“ (S. 166).

Noch härter werden die Probleme im Bereich Frauen (S. 181-214) aufgeführt, da die Verletzung der Menschenrechte der Frauen dramatisch sei und eher noch zu-, denn abnehme. - Schließlich kommt der Bereich Ausländer (S. 215-271) zur Sprache, in dem sich der Autor für eine multikulturelle Gesellschaft einsetzt (S. 224 f.).

Die Sprache Heiner Geißlers in diesem Buch ist mehr als deutlich. In allen angeführten Bereichen - die er als fünf Tests zu seinem Grundproblem einer christlichen Dimension des Politischen versteht - häufen sich klare Aussagen zu Versäumnissen und korrekturbedürftigen Entwicklungen. Am Ende dieses Buches liest man den Titel so: Politik im Namen Gottes = Das nicht gehaltene Versprechen.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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