Eine Rezension von Kathrin Georg


Münchhausen zur See?

Norbert von Frankenstein:

„Seeteufel“ Felix Graf Luckner

Wahrheit und Legende.

DSV-Verlag, Hamburg 1997, 264 S.

In einem der Tischgespräche Adolf Hitlers soll die Rede auch auf Graf Luckner gekommen sein, berichtet Henry Picker. Hitler habe Luckner als hervorragenden Erzähler eingestuft, dem auch er einmal ganz ergriffen zuhörte. Als ihm dann eines Tages irgend jemand erzählt hätte, daß die und die Behauptungen Luckners nicht der Wahrheit entsprächen, sei er über den Betreffenden genauso verärgert gewesen, als wenn einem Kinde von irgend jemandem ein Christbaum abgeräumt werde.

Ähnlich muß es wohl auch Norbert von Frankenstein ergangen sein. Von der spannenden Lektüre des legendären Luckner-Buches Seeteufel schwer beeindruckt, findet er in jahrelangen Forschungen heraus, daß Graf Luckner das Seemannsgarn wohl nicht erfunden, aber im Spinnen von diesem ohne Zweifel ein Meister war. Jahrzehntelang war Felix Graf Luckner als Held des Ersten Weltkrieges ein Liebling der Massen, doch heute kennen viele nicht einmal den Namen dieses Originals.

Luckner, 1881 in Dresden geboren, hatte einen Werdegang, wie man ihn sich bei einem waschechten Seemann nicht besser vorstellen könnte. Er verläßt früh die Schule und das begüterte Elternhaus, um zuerst als Schiffsjunge und später als Matrose auf den verschiedensten Schiffen zu fahren. Trotz seiner nur dürftigen Schulbildung besucht er die Seemannsschule und erhält ein Steuermannspatent. Seine große Stunde schlägt dann im Laufe des Ersten Weltkrieges. Mittlerweile Kapitänleutnant, erhält er das Kommando, mit dem er in die Geschichte eingeht: Luckner soll den Hilfskreuzer S.M.S. „Seeadler“ befehligen. Die deutsche Marine, ihren Gegnern um ein vielfaches unterlegen, läßt im Handelskrieg feindliche Handelsschiffe kapern und deren Ladung vernichten. Eine Maßnahme, die vom Völkerrecht gedeckt ist, sofern bestimmte Regeln dabei eingehalten werden. In dem Kaperbefehl mit dem Stempel „Ganz Geheim“ wird als Tätigkeitsgebiet der „Seeadler“ der Segelschiffahrtsweg im südlichen Atlantischen Ozean, später auch im Stillen Ozean vorgegeben: „Auf Unterstützung aus der Heimat und dem neutralen Ausland kann nicht gerechnet werden.“

Beinahe wäre jedoch Luckner sein Kommando noch vor der ersten Fahrt wieder losgeworden, kommt der Marineleitung doch über Denunziantenberichte zu Ohren, daß Luckner es mit der Verschwiegenheit betreffs seiner geheimen Mission nicht so genau nimmt. Dennoch wird im Dezember 1916 in See gestochen, und es beginnt eine Kaperfahrt, die rund acht Monate dauern wird. Die „Seeadler“ war das einzige Segelschiff der Welt, das im Ersten Weltkrieg den Kreuzerkrieg führte. Eine Tatsache, die wohl nicht unwesentlich zu ihrem späteren Nimbus beitrug. Verlieh es doch der ganzen Operation einen Hauch von Seeräuberromantik der vorigen Jahrhunderte. Schließlich hatte auch der Ablauf des Unternehmens so gar nichts gemein mit dem Weltkriegsalltag auf den Schlachtfeldern bei Verdun oder Ypern: Die „Seeadler“ verändert ihren Namen und segelt unter falscher Flagge. Mit zusätzlichen Motoren ausgestattet, verfügt sie zudem über getarnte Geschütze. Wenn dann ein feindliches Handelsschiff auftaucht, hat es kaum eine Chance. Durch Signalaustausch wird festgestellt, wen man da vor sich hat. Dann geht alles ganz schnell. Die „Seeadler“ setzt die Reichskriegsflagge und gleichzeitig das internationale Signal: „Stoppen Sie Sofort“. Ein Warnschuß wird abgefeuert, manchmal auch mehrere. Das feindliche Schiff stoppt, und nachdem seine Besatzung mit ihren Privatsachen auf die „Seeadler“ gewechselt ist, Proviant und Papiere ebenfalls von Bord geschafft sind, wird es versenkt. Während der gesamten Kaperfahrt gibt es lediglich ein Menschenleben zu beklagen. Ein Umstand, den Luckner bei seinen späteren Vortragsreisen wohl nicht ganz zu Unrecht stets herausstellte. Auch wenn in seinen Erzählungen aus „ein“ schließlich „kein“ wurde.

Im Juli 1917 findet die Fahrt der „Seeadler“ dann ihr unfreiwilliges Ende. An der kleinen Südseeinsel Mopelia läßt Luckner ankern. Das Schiff schlägt an einem Korallenriff leck und muß aufgegeben werden. Luckner versucht daraufhin vergeblich, mit einigen Leuten in einem Beiboot ein größeres Schiff zu kapern. Nach einer Reise von ungefähr 2300 Seemeilen geraten sie völlig erschöpft in britische Gefangenschaft. Fakten, die an sich schon abenteuerlich genug sind. Der gräfliche Seebär, mit einem begnadeten Erzähltalent ausgestattet, schmückte sie in seinen Büchern und bei seinen Vorträgen in Europa, Australien und Amerika zudem noch weidlich aus. So gab er einmal an, auch unter Piratenflagge gesegelt zu sein, ein andermal hatte er völlig ohne Waffen und nur durch Bluffen ein feindliches Schiff zur Aufgabe bewegt, dann wieder deutete er versteckte Schätze auf Mopelia an. Wie schon der Name „Seemannsgarn“ besagt, ein unter Seeleuten nicht eben seltener Brauch. Bei Luckner will Norbert von Fankenstein aber diese Entschuldigung nicht gelten lassen: „Wenn sie aber wie beim ,Seeteufel‘ mit dem scheinbaren Anspruch auf Wahrheit über alle Kontinente verbreitet werden, sollte eine andere Meßlatte angelegt werden.“ So stellt er akribisch die Ergebnisse seiner Recherchen in deutschen, amerikanischen und neuseeländischen Archiven - nach der Auswertung von mehr als 3000 Zeitungs- und Zeitschriftenaufsätzen - den Angaben im Buch „Seeteufel“ sowie Aussagen von Luckner gegenüber.

Das fängt dann mit dem Vorwurf an, daß „Seeteufel - Abenteuer aus meinem Leben“ nicht ausschließlich von Luckner stammt. Wie Luckner sind zwei weitere Kapitäne zu je einem Sechstel an dem Buch beteiligt. Für eine Beteiligung von drei Sechsteln schrieb ein Universitätsprofessor Kern das Werk. Nun ist die Benutzung von „Ghostwritern“ wohl nicht so selten, nur werden sie in der Regel nicht zur Hälfte am Buch beteiligt, wie das im vorliegenden Fall geschah. Der Autor korrigiert natürlich auch offensichtliche Irrtümer Luckners, wenn er zum Beispiel angibt, daß ein Dampfer nicht „Gladys Royal“ sondern „Gladys Royle“ hieß. Etwas kleinkariert scheint es aber schon, wenn er vermerkt, daß jemand in der Gefangenschaft nicht an „gebrochenem Herzen wegen des verlorenen Krieges“ starb, sondern lediglich an „Herzversagen“.

Ein zwiespältiges Gefühl entsteht zudem, wenn in aller Ausführlichkeit und nur spärlich kommentiert offensichtliche Denunziantenberichte zitiert werden, die Luckner unter anderem vorhalten, im Ausland nur Propaganda für sich selbst und nicht so sehr für Deutschland betrieben zu haben. Immerhin stellte selbst der Untersuchungsführer des Sonderehrengerichts des Führers zu diesen Elaboraten fest: „Sicher scheint, daß die bis jetzt gegen den Grafen v. Luckner eingereichten Beschuldigungen einseitig abgefaßt sind und von Personen ausgehen, die sich mit dem Grafen überworfen haben.“ Vor das genannte Gericht wurde Felix Graf Luckner wegen verschiedener Vorwürfe, unter anderem der Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge, gestellt. Natürlich wußten die Nationalsozialisten, wie bekannt und beliebt Luckner im In- und Ausland war - er besaß beispielsweise die Ehrenbürgerschaft einiger Städte in den USA-, deshalb sollte ein aufsehenerregendes Verfahren vor einem „ordentlichen“ Gericht vermieden werden. Das Ehrengericht beschloß, daß Luckner sich jedem öffentlichen Auftreten zu enthalten habe. Gleichzeitig durfte sein Name nicht mehr in der Presse erwähnt werden, seine Bücher wurden verboten. Norbert von Frankenstein schätzt ein, daß die Beteiligten an der Verhandlung „sehr vorsichtig, manchmal sogar nachsichtig mit Luckner und den ermittelten Ergebnissen umgingen“. Dieser Eindruck entstehe beispielsweise beim Vergleich mit der Fritsch-Blomberg-Affäre. Hier hätte der Au tor jedoch berücksichtigen müssen, daß die genannte Affäre doch eine etwas andere Dimension hatte, schließlich ging es hier um den Oberbefehl über die Wehrmacht.

Graf Luckner, der sich stets bei seinen weltweiten Vortragsreisen als Botschafter für den Frieden unter den Völkern verstand, kommt zum Ende des Zweiten Weltkrieges noch zu einer ganz besonderen Mission. Bürger von Halle bitten ihn, Verhandlungen mit den Amerikanern zur Übergabe der Saalestadt aufzunehmen. Von Frankenstein weiß hier nur zu bemerken, daß derartige Gespräche natürlich nicht von Luckner allein geführt werden konnten (tatsächlich war auch ein Major Huhold beteiligt). Eine derartig lebensgefährliche Aktion zeigte immerhin auch einen beträchtlichen Mut des alten Seehelden. Eine Eigenschaft, die ihm der Autor nicht zubilligt, dafür aber Habgier und Opportunismus und Renommiersucht.

Norbert von Frankenstein schreibt in seinem Vorwort, daß es bei Felix Graf von Luckner kein Schwarz und kein Weiß gäbe. Zahlreiche Zwischentöne würden das Dasein dieses Mannes bestimmen. Es wäre schön, wenn der Autor etwas weniger Schwarz und dafür genau diese Zwischentöne berücksichtigt hätte.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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