Eine Annotation von Christa Niemann


Naish, Nora:

Wunsch meines Herzens

Roman.

Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 1998, 319 S.

Wunsch meines Herzens ist der dritte in Deutschland erschienene Roman von Nora Naish, einer in Indien geborenen, seit ihrer Kindheit in England lebenden Autorin. Er handelt in einem kleinen englischen Ort und erzählt die Geschichte Mary Chicons, einer gütigen tatkräftigen Frau um die Vierzig. Sie verwaltet die Familienfarm und führt ihrem Vater Colly den Haushalt. Im Dorf hat sie Verantwortung bei der Gestaltung des öffentlichen Lebens übernommen. Als erster weiblicher Friedensrichter im örtlichen Magistrat engagiert sie sich auch sozial in vielfältiger Weise.

Näher beleuchtet wird eine interessante Vater-Tochter-Beziehung. Über die Mutter Flora, die vor Jahren, während Colly im Krieg diente, die Tochter wegen eines leichtfertigen Sängers und Schauspielers verließ, wird nicht gesprochen. Sie ist aus dem Leben der Familie verbannt und existiert praktisch nicht mehr. Der Vater, verdienstvoller Kriegsveteran, sehr belesen und hart in seinem Urteil gegen andere Menschen, erscheint zunächst untadelig in seiner Lebensauffassung und -führung. Bis er die Geschicke der Farm in Marys Hände legte, herrschte er dort despotisch. So hat er auch den Lebensweg der Tochter geleitet, um nicht zu sagen bestimmt, und erreicht, daß beide ein scheinbar ruhiges, zufriedenes Leben nebeneinander führen. Mary hat ihre Entwicklung akzeptiert und verwunden, daß Colly ihre erste und einzige Romanze mit einem jungen Mann im Keim erstickt hat, da ihm dieser nicht standesgemäß erschien.

Ihre Sicht auf den Vater und das gemeinsame Leben beginnt zu bröckeln, als sie mitbekommt, weshalb Haushaltsgehilfinnen unter fadenscheinigen Gründen oft kurzfristig die Farm verlassen. Auch Hannah, ein entwurzeltes junges Mädchen, das sie bei sich aufgenommen hat und die ihr so etwas wie eine Ersatztochter geworden ist, verläßt wegen sexueller Belästigungen, denen sie durch den Farmer ausgesetzt ist, fluchtartig die Familie.

Als sie bei einem Wiedersehen mit der inzwischen alternden, kranken Flora erfährt, daß es Colly war, der die Mutter durch sein Verhalten tief verletzt und aus dem Haus getrieben hat, ist sie geschockt und desillusioniert angesichts seiner offenbar gewordenen Lebenslüge. Indem sie gegen bisherige Überzeugungen und ihren alten Glauben kämpft, macht sie eine Metamorphose durch. In einem schmerzlichen Prozeß gelangt sie schließlich zu einem neuen Verständnis von der Wahrheit. Es fügt sich gut, daß gerade in dieser schwierigen Zeit die Jugendliebe David wieder ihren Weg kreuzt. Ausgestattet mit einem neuen Selbstbewußtsein und einem höheren Glücksanspruch an das Leben, verzichtet sie auf die alten, sicheren und angenehmen Gewohnheiten und geht mutig das Risiko einer „späten“ Liebesbeziehung ein.

Daß Nora Naish die Hauptgeschehnisse alle irgendwie glücklich enden läßt und dies teilweise auch noch im Stil pubertärer Romantik, verleiht dem Roman einen Hauch von Kitsch. Lesenswert ist die unterhaltsame und spannende Familiensaga vor allem, weil neben den Chicons andere unterschiedliche und interessante Personen, ihre Charaktere und Lebensumstände beschrieben werden, die durch die Erzählkunst der Autorin Gestalt und Glaubwürdigkeit erlangen.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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