Eine Annotation von Eberhard Fromm


Huizing, Klaas:

Das Ding an sich

Eine unerhörte Begebenheit aus dem Leben Immanuel Kants.

Albrecht Knaus Verlag, München 1998, 237 S.

Was ist das: Es kommt mit dem Äußeren eines Sachbuches, betont ein biographisches Element, deklariert sich als Roman - und erzählt etwas ganz anderes, als der Titel verspricht?

Das ist eine der amüsantesten und zugleich nachdenklichsten Geschichten, die einem interessierten Leser derzeit über die Zeit der europäischen Aufklärung angeboten werden. Amüsant, weil hier reale Personen, die man in der Wissenschaftsgeschichte wiederfinden kann, auf sehr individuelle, ja skurrile Weise denkend und handelnd vorgeführt werden; nachdenklich, weil einem deutlich wird, wie dünn die rationale Decke der Aufklärung wirklich war.

Die Fabel des Buches ist schnell erzählt: Der Philosoph Johann Georg Hamann (1730-1788) erhält unter mysteriösen Umständen eine Scherbe mit dem Abdruck einer menschlichen Hand, wobei ihm berichtet wird, der Abdruck zeige Adams Hand, mit der er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen habe. Hamann zeigt dieses Stück seinem Freund-Feind Immanuel Kant (1724-1804), und man beschließt, sie zu untersuchen. Die Scherbe widersetzt sich jedoch ersten Versuchen, ihr Material zu erkunden. So wird denn der Diener Kants, Martin Lampe, zu verschiedenen Koryphäen der Zeit entsandt - zu dem Naturforscher Prokop Divisch (1696-1765), der mit Elektrizität experimentiert, zu den Physikern Denis Papin ( 1647-1712) und Tiberio Cavallo, die sich mit Hitze und Dampf bzw. Kälte und Eis befassen, und schließlich zu dem Mediziner Franz Anton Mesmer (1734-1815), dem Begründer der Lehre vom tierischen Magnetismus. Aber alle scheitern daran, das Geheimnis der Scherbe zu enthüllen; sie bleibt unzerstörbar und wird Kant bei seinem Tode mit ins Grab gegeben.

Legt man das Buch aus der Hand, hat man mit Lampe viele Erlebnisse gehabt - er ist die einzige wirklich handelnde Person. Mit Hamann hat man Gedanken gewälzt und Gefühle durchlebt - er ist die einzige reflektierende Person. Und Kant? Er hat dem Buch den Titel gegeben, ansonsten bleibt er eine recht äußerliche Figur, eigentlich nur Stichwortgeber für das Handeln Lampes und das Denken Hamanns. Man hat deshalb Verständnis mit dem Autor, wenn er behauptet, daß er wohl nicht Kantianer, sondern „Lampianer“ geworden wäre, wenn sein Lampe die eigenen Experimente mit der Scherbe erfolgreich beendet und publiziert hätte.

Klaas Huizing stellt sich in seinem Prolog die Frage, warum Kant diese Scherbe mit ins Grab genommen habe. „Darf man hier Reste eines lebenslang verschwiegenen Aberglaubens vermuten? Vielleicht einen Hinweis auf eine heimlich ausgeübte Religionspraxis? Oder war diese Scherbe schlicht Kants Seligkeitsding?“ (S. 16) Die Antwort erwartet der Autor mit einem Augenzwinkern vielleicht im nächsten Jahrtausend.

Mit Augenzwinkern muß jeder Satz des Buches verfaßt worden sein, denn man kommt beim Lesen aus dem stillen Schmunzeln nicht heraus.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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