Eine Rezension von Ursula Reinhold


Wissenswertes über Unterhaltendes

Fritz Henneberg : „Es muß was Wunderbares sein ...“ Ralph Benatzky
Zwischen „Weißem Rößl“ und Hollywood.

Paul Zsolnay Verlag, München 1998, 294 S.

Will Tremper: Große Klappe
Meine Filmjahre.

Rütten & Loening, Berlin 1998, 272 S.

Beide Bücher geben Einblicke in verschiedene Jahrzehnte deutscher Kulturgeschichte. Während der Filmemacher Tremper autobiographisch bezogene Streiflichter aus dem bundesrepublikanischen Filmbetrieb der 60er Jahre vermittelt, liegt mit Hennebergs Buch über Ralph Benatzky die erste umfassende Monographie über den vielseitigen Komponisten und Liberettisten der leichten Muse vor, dessen Lieder überaus populär wurden, während über seine Lebens- und Arbeitsprobleme wenig bekannt geworden ist. Tremper, auch als Illustriertenautor bei „Quick“, „Stern“, „Revue“ und „Jasmin“ gut im Geschäft, wurde mit Filmen wie „Flucht nach Berlin,“ (1960), „Die endlose Nacht“ (1963), „Playgirl“ (1966) und dem Hollywood Streifen „Mir hat es immer Spaß gemacht“ (1969) bekannt. Für „Flucht nach Berlin“ bekam er einen Bundesfilmpreis, fand aber wenig Zuschauer, während er mit anderen Produktionen auf der Sex-Welle schwamm und beim Publikum erfolgreicher wurde. Tremper berichtet mit der sprichwörtlichen „großen Klappe“ und vermittelt dem Leser Eindrücke übers Filmgeschäft zwischen Einfall und Kommerz. Der Autor, „der überall dabei war, wo was los war“, („Bild am Sonntag“) stellt sich als Verfechter unbedingter Improvisation dar, der seine Filme aus dem Einfall einer mehr oder weniger tragenden Idee entwickelte und ohne Drehbuch bzw. gedankliches Gerüst, aus der Gegenwärtigkeit schauspielerischer Möglichkeiten realisierte. Berichtet wird von reiseintensiven Lebensjahren, von Dreharbeiten und Partys, von Treffen und Arbeit mit den Bekannten und Berühmten der Branche. Man erfährt von Lebenstragödien und Liebesaffären bekannter Stars, von den Automarken, die sie fuhren, und von den Schwierigkeiten der Geldbeschaffung im Filmgeschäft. Als ostdeutsch sozialisierter Leser kenne ich die Filme von Tremper nicht, aber nach seinen Auslassungen über seine Arbeit ist mein Interesse nicht geweckt worden. Meine Verwunderung galt dem renommierten Rütten & Loening Verlag, dem ich ein Buch von so durchschlagender Trivialität nicht zugetraut hätte.

Henneberg hat seine Darstellung auf der Grundlage umfassender Studien am musikalischen und textlichen Material erarbeitet, hat die Tagebücher Benatzkys, die der bis zu seinem Tode 1957 schrieb, ausgewertet und kann so interessante Einblicke in die Pläne und Intentionen des Komponisten, in die Widerstände und Kompromisse des Theatermannes und in sein Selbstverständnis geben. Der Autor, durch Arbeiten über Hanns Eisler und Paul Dessau bekannt und als Chefdramaturg des Gewandhausorchesters und der Oper Leipzig bestens im musikalischen Metier bewandert, hat mit seiner Monographie über Benatzky (1884-1957) einen vielseitigen Komponisten der Unterhaltungsmusik unseres Jahrhunderts in seiner Komplexität entdeckt. Er vermittelt das Bild einer widerspruchsvollen Persönlichkeit zwischen künstlerischem Eigensinn und Erfolgssuche, der zeit seines Lebens mit bekannten Zeitgenossen in Kontakt blieb und ein Kenner und Liebhaber ernster Musik war. Der Autor zeichnet den Weg dieses vielseitigen Künstlers nach, stellt dessen Weg vom Kabarett zum Chanson dar und beschreibt die mehr oder weniger erfolgreichen Versuche, sich unter den zeitgenössischen Operetten-Komponisten einen eigenen Platz zu verschaffen, sich nicht nur der Möglichkeiten der Operette zu bedienen, sondern ihr gleichzeitig neue Ausdrucksformen hinzuzufügen. Er stellt Benatzky mit seinen gefeierten, vielfältigen Revuen in Berlin und Wien vor, die der zusammen mit Erik Charell auf die Bühne brachte, und legt dar, welches Maß an Kompromißfähigkeit sie dem Komponisten abverlangten. Damit beleuchtet er zugleich Eigenarten der Entwicklung des Theaters in den zwanziger Jahren. Auch Benatzkys Versuche, zwischen Operette und Revue eigene Ausdrucksformen zu erproben, werden bis zur Erfolgsgeschichte des „Weißen Rößl“ nachgezeichnet. Mit seinem Erfolgsstück ist Benatzky zum Wegbereiter des modernen Musicals geworden, es zeigt seine Fähigkeit, die Sentimentalität trivialer Unterhaltung mit parodistischen und witzigen Einfällen zu kontern. Benatzky, der schon zu Beginn der dreißiger Jahre in die Schweiz gegangen war, hatte im deutschen Kulturbetrieb der NS-Zeit keine Chance mehr, schuf aber in einigen Fällen Filmmusiken für Ufa-Filme. Obwohl er schon vor 1933 für Hollywood Filmmusiken komponierte, gelingt es ihm nicht, in seinem Exil in den USA Fuß zu fassen. Er bleibt bezahlter Beschäftigungsloser wie so viele Emigranten. Auch nach seiner Rückkehr nach Europa bleibt ihm mit seinen Bemühungen um eine musikalische Adaption des „Revisor“ der Erfolg versagt. Es gelingt ihm in dieser Zeit nur begrenzt, mit neuen Werken öffentlich zu werden, die Triumphe früherer Jahrzehnte ließen sich nicht mehr wiederholen. Henneberg macht in seiner Darstellung deutlich, in welchem Maße unterhaltendes Theater eine gemeinschaftliche Leistung von Komponisten, Librettisten, Tänzern, Ausstattern, Kostümbildnern und Arrangeuren ist und wie Unterhaltung und Kommerz zusammenwirken. Es gelingt dem Autor, die kompositorische Vielfalt von B. greifbar werden zu lassen, wobei er besonders die Singspiele in ihrer Einheit von textlichem und musikalischem Anliegen als innovativ für den vielseitigen Komponisten wertet. Dem Autor gelingt es, für das Genre der unterhaltenden Musik Kriterien zu entwickeln und zu handhaben, die eine historisch begründete Wertung gestatten. Er belegt die Spezifik von Benatzkys Musikalität, in der Elemente von wienerischem Lied, Folklore, Chanson, Operette, Jazz- Rhythmen und modernem Kunstlied zusammenwirken, und zeigt dessen Fähigkeit, der Musik dramaturgische Funktionen zu geben und so über die reine illustrative Nummernproduktion hinauszukommen. Die Durcharbeitung des Lebenswerkes legt die lohnende Wiederentdeckung eines Teils des Benatzkyschen Werkes nahe. Zugleich entsteht durch die Einbeziehung von Theater- und Aufführungspraxis und die Analyse von Wirkungen und Erfolglosigkeiten auch ein Stück Theatergeschichte. Mit dem gut geschriebenen und reich illustrierten Buch ist auf eindrucksvolle Weise ein Stück Kulturgeschichte der leichten Muse vom Beginn unserers Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges entstanden. Sie erscheint hier in ihrem Zusammenhang von Zeitgeschmack und Kommerz, mit ihren Verwicklungen in die sozialen und politischen Probleme der Zeit, die von ihren Schöpfern meist nur begrenzt wahrgenommen wurden und werden.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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