Eine Rezension von Irene Knoll


Heitere Erinnerungen an eine Kindheit

Kathrin Aehnlich:

Wenn ich groß bin, flieg ich zu den Sternen

G. Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1998, 160 S.

Der Titel ist gut gewählt, er spricht alle an, in denen noch ein bißchen Kindheitstraum und Abenteuerlust lebendig sind. Es ist der Titel eines Pionierliedes aus den 60er Jahren, der ebendiesen ewigen Kinderwunsch auf die seit Gagarins Weltraumflug realistische Möglichkeit, zu den Sternen zu fliegen, projiziert. Außerdem darf man ihn für eine Ich-Aussage der Autorin nehmen, in der schon etwas Charakteristisches über sie mitgeteilt ist. Und die Erzählung, wie sie als Neunjährige, von dem Wunsch getrieben, Kosmonaut zu werden und es der Welt zu beweisen, heimlich zum Kosmonautentest ins Pionierhaus geht, während die Eltern sie bei frommen Unterweisungen im Gemeindehaus wähnen, und wie ihr bei einem Test in einem finsteren, engen Kasten unter schrillen Tönen und Blitzlichtern dann als rettender Strohhalm nur das Vaterunser einfällt, gibt denn auch die Dimension dieses autobiographischen Buches an.

Es besticht durch die Heiterkeit der Betrachtung, die sich nicht selten aus einer Naivität nach zitterbackeschem Vorbild nährt. Kathrin Aehnlich stellt gern solche Gegensätze wie den oben beschriebenen aus und gewinnt daraus nicht nur Pointen, sondern macht auch Denkweisen, Milieu, ja Zeitgeist sichtbar, wobei Zeitgeist sehr eingeschränkt zu verstehen ist, eigentlich nur als der mögliche Bezug, den der Leser von den Episoden aus zu Erscheinungen des Lebens in der DDR herstellt. Beispielsweise zum Charakter der Maidemonstrationen, oder zum Sportfanatismus des kleinen Landes. Dieser „Zeitgeist“ erscheint in kursiv gedruckten Zitaten oder Redewendungen, nicht anders als Liedzeilen oder Aussprüche der Eltern oder Lehrer oder andere Zitate auch, die als Schwergewichte in der Erinnerung lagern. Denn die größte Stärke dieses Buches ist, daß es nicht tendenziös ist, es erzählt von einer Kindheit, von den Beobachtungen, die ein Kind macht, um sich in der Welt zu orientieren, von mehr oder weniger wichtigen Konflikten und von Listen. Man liest es gern, es ist ein Abbild von Freuden, Sorgen und Bewährungssituationen, wie sie jede Kindheit und wahrscheinlich zu allen Zeiten beschert. Man gewinnt ein erheiterndes Bild von der jungen Heldin und ihrer Pfiffigkeit, mit der sie die kleinlichen und kleinbürgerlichen Verhältnisse in der Familie unbeschadet durchlebt. Diese Kindheit wurde in der DDR erlebt, in Leipzig. Und das unmittelbare Milieu der familiären Beziehungen, der Hausgemeinschaft, der Umgebung, prägt sie mehr als etwa der Pionierverband oder die Schule. Und die Teilung des Landes wird denn auch in angemessener Weise in den Reflexen auf das Leben in diesem Umkreis gespiegelt. Die Autorin hat Sinn für Details und ihre Aussagekraft, die Situationen geben ihren Witz durch geschickte Anordnung her.

Kathrin Aehnlichs Buch ist ein Erinnerungsbuch, kein Entwicklungsroman. Es nimmt so eine Stellung zwischen Dokumentation und Erzählung ein, und in dieser Form von Authentizität liegt sein Reiz. Andere haben andere Erinnerungen, das ist sicher, und darauf wollen wir auch bestehen, damit die monolithische Betrachtungsweise vom Leben in der DDR, wie sie Leute, die gar nicht in der DDR gelebt haben, so gern behaupten, mal glaubhaft korrigiert wird.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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