Eine Rezension von Kathrin Chod


Verbündete, Verlierer, Verräter

Martin Ros:

Schakale des Dritten Reiches

Untergang der Kollaborateure 1944-1945

Aus dem Niederländischen von Christiane Kuby und Herbert Post.

Verlag Günther Neske, Stuttgart 1997, 358 S.

Maurice Papon konnte gelassen seiner Verurteilung entgegensehen, würde er doch kraft Gerichtsbeschlusses, ob seines hohen Alters von 87 Jahren und seiner angegriffenen Gesundheit eine Haftstrafe niemals antreten. Nicht ganz so gelassen betrachtete die französische Öffentlichkeit den Prozeß, der wegen der Anklage „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ geführt wurde. Papon, in den siebziger Jahren immerhin Budgetminister, hatte als Generalsekretär der Präfektur Bordeaux zwischen 1942 und 1944 bei der Festnahme und Deportation von 1500 Juden „aktive Beihilfe“ geleistet. Mehr als den Angeklagten erregte der Prozeß ganz Frankreich und schien es zu spalten. „Assez, assez, assez!“ („Genug! Genug! Genug!“) titelte der Chef der Neogaullisten Philippe Seguin einen Beitrag im „Le Figaro“, und Lionel Jospin antwortete im Parlament mit einem dreimaligen „Nie wieder!“. Die glanzvolle Geschichte einer Siegermacht des Zweiten Weltkrieges offenbarte plötzlich lang verdeckte Flecken. Im Anschluß an die kurze, teilweise blutige Abrechnung nach dem Krieg wollte die Grande Nation gar nicht mehr wissen, wie eng viele ihrer Landsleute mit den Deutschen zusammenwirkten. „Die Republik hat nie aufgehört zu existieren. Vichy ist null und nichtig“, hatte de Gaulle erklärt, der im August 1944 von einer begeisterten Masse in Paris begrüßt wurde. Nur ganze vier Monate vorher hatte diese Masse dem greisen Präsidenten Marschall Petain zugejubelt. Und Frankreich war beileibe keine Ausnahme.

Das Ausmaß der Zusammenarbeit mit den Deutschen im Zweiten Weltkrieg - wie es Martin Ros in seinem ersten Buch zu dieser Problematik, ein zweites soll folgen - darstellt, wird viele Leser überraschen. Dabei versucht der Autor vor allem herauszustellen, wie verschiedenartig die Akteure und ihre Motive waren: weltbekannte Schriftsteller wie Ezra Pound und Knut Hamsun, der indische Freiheitskämpfer Bose, der russische General Wlassow oder der Großmufti von Jerusalem.

Eines der bizarrsten Kapitel der Kollaboration schrieb wohl die rumänische Legion des Erzengels Michael (Eiserne Garde), der die Deutschen erst im September 1944 gestatteten, ein Nationalkomitee zur Befreiung Rumäniens zu gründen. Bis dahin hatte Berlin, auf die Sicherung der rumänischen Erdölfelder bedacht, eine weniger extreme Regierung in Bukarest bevorzugt. Mitglieder der „wahrscheinlich radikalsten faschistischen Gruppierung außerhalb Deutschlands“ saßen deshalb sogar in deutschen Konzentrationslagern, andere waren, wie Ros vermerkt, in Strafbataillonen an der Ostfront, wo sie überall in Rußland Pogrome anzettelten, „denen mindestens hunderttausend Juden zum Opfer fallen, allein in Odessa sind es fünfzehntausend“.

Was veranlaßte allerdings Türken, Niederländer, Belgier, Dänen, Schweden, Norweger, Schweizer, Ukrainer, Bosnier, Kroaten, Russen, Briten, Ungarn, Franzosen und andere zur Kollaboration? Bei allen Unterschieden sind es meist der gemeinsame Kampf gegen den Kommunismus oder das Judentum, in vielen Fällen auch beides, die zu einer Parteinahme für das Dritte Reich führten.

Die deutschen Nationalsozialisten fanden aber auch Verbündete, die in Kernfragen völlig andere Meinungen hatten. Beispiel hierfür ist der Führer der indischen Befreiungsbewegung Subhas Chandra Bose. Er schrieb 1934: „Ich bedauere zutiefst, mit der Überzeugung nach Indien zurückkehren zu müssen, daß der Nationalismus heute in Deutschland nicht nur beschränkt und egoistisch ist, sondern auch ausgesprochen überheblich.“ Trotz dieser Einschätzung initiierte Bose die Bildung einer indischen Legion in der Deutschen Wehrmacht, die den Kampf gegen die britische Kolonialmacht führen sollte, frei nach dem Motto: „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Die dreitausend Soldaten, darunter Moslems und Hindus, Tamilen und Sikhs, wurden erst in Holland, dann in Frankreich stationiert und nahmen erst zum Ende des Krieges an Kampfhandlungen teil. Eine interessante Episode aus der Geschichte der Legion enthält der Autor in diesem Zusammenhang seinen Lesern vor: Als indische Soldaten gemeinsam mit einigen Deutschen zu den Franzosen überliefen, wurden die Deutschen in Gefangenenlager verbracht, die Inder hingegen umgehend öffentlich erschossen. In Indien wird die Zusammenarbeit Boses mit dem Dritten Reich mittlerweile weit weniger kritisch beurteilt, schließlich hatte er versucht, eine Chance für die Freiheit Indiens von der britischen Kolonialmacht zu nutzen.

Wenn Ros sich bemüht, die Vielfalt der Kollaboration mit dem Dritten Reich darzustellen, schießt er allerdings hin und wieder über das Ziel hinaus. So bei den Geschichten über die russischen Faschisten Vonsjackji und Rodzaevskij, mit denen Deutschland, da es kein eigenständiges faschistisches Rußland wünschte, auch nie zusammengearbeitet hatte. Ebenso erscheint die schaurige Geschichte des Dr. Petiots in diesem Buch etwas deplaziert. Der Pariser Arzt brachte in seinem Haus wahrscheinlich bis zu 70 Menschen um, die er unter dem Vorwand, ihnen zur Flucht zu verhelfen, dorthin gelockt hatte. Zwar konnte er seine Morde unter den speziellen Bedingungen im besetzten Teil Frankreichs begehen, exemplarisch als ein Aspekt der Kollaboration erscheint der Fall jedoch nicht.

Ros schrieb sein Buch in einer leicht verständlichen Art, dafür muß der Leser allerdings auf Quellenangaben verzichten. Belege für einzelne Aussagen wären dem Werk vorteilhaft bekommen, ob es die Anhängerschaft von Vichy betrifft (Ros spricht von 40 Millionen Franzosen) oder den Anteil von Ausländern in der Waffen-SS (lt. Autor in der Schlußphase rund 50%). Ebenso gibt es einige Ungenauigkeiten. So war Ernst Jünger auch im Ersten Weltkrieg kein einfacher Frontsoldat, sondern Offizier. Auch driftet der Autor in seiner manchmal etwas märchenhaften Sprache hin und wieder ins rein Spekulative ab, so wenn behauptet wird, daß sich der Großmufti in Deutschland „zweifellos auch die Effektivität der Gaskammern demonstrieren lassen“ hat.

Im Original lautet der Titel des Buches übrigens ganz sachlich: Der Untergang der Kollabo’s 1944-1945, für den deutschen Markt war mit Die Schakale des Dritten Reiches offenbar ein reißerischerer Titel nötig.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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