Eine Rezension von Herbert Mayer


Ein interessantes Kapitel der FDJ-Geschichte

Michael Herms/Karla Popp: Westarbeit der FDJ. 1946 bis 1989.

Herausgegeben vom Institut für zeitgeschichtliche Jugendforschung, Bd. 6.

Metropol Verlag, Berlin 1997, 540 S.

Der Band ist Teil einer Reihe von Dokumentationen zur Geschichte der FDJ, die am Institut für zeitgeschichtliche Forschung in Berlin entsteht. Die Westarbeit der FDJ - d. h. ihre „Arbeit“ in der Bundesrepublik - war ein integraler Bestandteil der Deutschlandpolitik der SED, die, wie die Herausgeber betonen, mehrere Ebenen umfaßte: die wirtschaftliche, diplomatische, geheimdienstliche sowie die ideologische (warum eigentlich nicht die politische?). Diese Westarbeit hat in der gesamten Geschichte der FDJ einen wichtigen Platz eingenommen.

Etwa 100 Dokumente, bisher fast alle unveröffentlicht, zeigen die Geschichte der „Westarbeit“ der FDJ in über 40 Jahren ihrer Existenz. Sie entstammen zumeist dem Zentralarchiv der FDJ (vor allem der Zentralratsablage) und entsprechenden SED-Beständen in der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO) beim Bundesarchiv in Berlin. Eine Einführung macht mit Thematik, Forschungsstand und Editionsprinzipien bekannt. Gegliedert ist der Hauptteil, der Dokumententeil, in sechs der Chronologie folgende Kapitel. Sie umfassen die Jahre 1945-1948, 1949-1953, 1954-1960, 1961-1969, 1970-1978, 1979-1989. Dem Dokumententeil ist in den Kapiteln jeweils eine knappe, aber ausreichende inhaltliche Einführung vorangestellt. Die Dokumente beinhalten Resolutionen bzw. Protokolle einschlägiger Gremien zur Westarbeit (FDJ, SED, auch KPD), deutsch-deutscher Gesprächsrunden, Aufrufe, Berichte, Einschätzungen, Briefe, Arbeitsordnungen, Konzeptionen, Pläne und Schulungsmaterialien (genannt sei nur die erste offizielle Vereinbarung zwischen FDJ und Deutschem Bundesjugendring vom 27. Januar 1978). Ergänzt wird der Band durch 29 Kurzbiographien von Funktionären, die für die Westarbeit über einen längeren Zeitraum eine größere Rolle spielten (leider scheint die Auswahl dennoch etwas sporadisch und unsystematisch geraten zu sein), einen Überblick zum „personellen und finanziellen Hintergrund“ der Westarbeit der FDJ sowie eine Übersicht zu bundesdeutschen Jugendorganisationen, zu denen die FDJ 1989 Beziehungen unterhielt (u. a. Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend, Deutsche Jungdemokraten, Deutsche Schreberjugend (!), Junge Liberale). Zu den Selbstverständlichkeiten zählen Quellen- und Literaturverzeichnis sowie Personenregister nebst Abkürzungsverzeichnis.

Aus den Dokumenten und Einführungstexten wird deutlich, daß die Westarbeit der FDJ von der weltpolitischen Situation und den jeweiligen politischen Zielen der SED/DDR-Führung abhängig war. Die FDJ-Arbeit wurde orientiert und geführt durch Vorgaben der SED, die auch Form und Inhalt der Arbeit bestimmte. Das spezifische Feld der FDJ bildeten die Jugendbeziehungen und die Kontakte der Jugendverbände beider deutscher Staaten. Die Dokumente sind teilweise gekürzt abgedruckt, wobei die Authentizität des Gesamttextes gewahrt sein soll. Da die Originalüberschriften der Dokumente irreführend bzw. nichtssagend sind, haben die Herausgeber sinnvollerweise eigenständig Überschriften gebildet, die im Sinne von Regesten eine Orientierung über den tatsächlichen Textinhalt ermöglichen. Die Anmerkungen sind insgesamt knapp gehalten, aber für die Benutzung des Bandes völlig ausreichend.

Dem Leser vermittelt werden Ergebnisse, Ziele, Inhalte, Methoden, Formen und Strukturen der FDJ-Westarbeit. Herausgestellt wird als Ziel der FDJ-Westarbeit die Verbreitung und Propagierung der aktuellen politischen Positionen der SED und ihrer Ideologie, die Unterstützung der FDJ der Bundesrepublik bzw. der Jugendarbeit der KPD und DKP, Kontakte zu Jugend- und Studentenorganisationen, Verbindungen zu Zeitschriften der Bundesrepublik sowie Schulungsarbeit. Durchgeführt wurde die FDJ-Westarbeit durch die Westabteilung des Zentralrats. Für sie war in der Regel ein Sekretär des Zentralrats verantwortlich. Diese Funktion nahmen im Laufe der Jahre u. a. Heinz Lippmann, Werner Lamberz, Gunter Rettner und Hans Joachim Willerding ein. In das Ressort des Westsekretärs fielen vor allem die Westabteilung, die Reisekader, (seit 1972) die Abteilung Reisestelle, die Westarbeit der FDJ-Bezirksleitungen, die Jugendtouristik, Lehrgänge ausländischer Teilnehmer an der Jugendhochschule, die Arbeit mit Redaktionen (der für die Bundesrepublik bestimmten Pressepublikationen), auch die Vorbereitung bzw. Teilnahme an internationalen Kongressen und Veranstaltungen.

Die finanziellen, materiellen und auch personellen Ressourcen für die FDJ-Westarbeit waren recht umfangreich. Die Westabteilung selbst war 1949 als „Abteilung Westdeutschland“ entstanden, trug dann verschiedene Bezeichnungen, so hieß sie z. B. zeitweilig „Abteilung Ge samtdeutsche Arbeit“ oder „Zentrale Arbeitsgruppe“. Ihre Bedeutung und ihr Umfang innerhalb des FDJ- Apparats änderten sich entsprechend der politischen Großwetterlage. Das Aufstocken und Abbauen des Mitarbeiterstabes, auch der finanziellen und materiellen Mittel, war typisch für den gesamten Zeitraum.

Ziel der Herausgeber war es, mit dem Band „ein Basismaterial vorzulegen, das weitergehende Untersuchungen anregen bzw. unterstützen kann“. Dem kann resümierend zugestimmt werden. Anregungen bringt der Band allemal. Für Arbeiten zu Themen, die die Geschichte der FDJ oder Gesamtaspekte der West-Politik der SED/DDR tangieren, dürfte er unverzichtbar sein. Natürlich ist dennoch für künftige Forschungen zu dieser Thematik ein eigenständiger Zugang zu weiteren Originalquellen erforderlich. Insgesamt ist die Publikation zweifellos ein Beitrag, um deutsch-deutsche „Jugendverbandsbeziehungen im Spannungsfeld des Ost-West-Konflikts“ aufzuarbeiten.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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