Wiedergelesen von Jürgen Werner


Hanns Eisler - Gespräche mit Hans Bunge

Fragen Sie mehr über Brecht.

Übertragen von Hans Bunge.

VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1975, 433 S.

 

Immer wieder kommt mir ein Buch in die Hand, das mich, schon als es erschien, faszinierte. Ich las es damals in einem Zug durch, und auch jetzt las ich mich wieder darin fest. 1958 bis 1962, bis unmittelbar vor Eislers Tod, führte Brechts Mitarbeiter Hans Bunge Gespräche mit Eisler. 14 davon nahm er auf Tonband auf. Ab 1965 wurden die meisten im Rundfunk gesendet. Dafür stellte Bunge die Gesprächsteile nach Themen zusammen. In dieser Form publizierte er sie 1970 in München. 1975 legte er sie in Eislers „Gesammelten Werken“ erstmals vollständig und rein chronologisch vor. Einzelne Auslassungen hatten technische oder persönlichkeitsrechtliche Gründe.

Das geplante gemeinsame „Sortieren und Redigieren“ war nicht mehr möglich. Dadurch gab es Längen und Wiederholungen; dafür haben die Gespräche aber auch einen ganz unmittelbaren, authentischen Charakter. Gelegentliche sachliche Irrtümer werden in Anmerkungen richtiggestellt. Die Gespräche blieben Torso; unter anderem kam ein Gespräch Eislers und Bunges mit der Brecht-Editorin Elisabeth Hauptmann nicht mehr zustande.

Die Gespräche liefern wertvolle Informationen über Brecht und, vor allem vom 6. an, über Eisler. Sie sind in anregender und ausgesprochen geistvoller, zu ununterbrochener Lektüre verführender Form dargeboten. Prächtig die zahlreichen Anekdoten, etwa von der Begegnung Eislers und Brechts mit Stefan Zweig (Brecht in bereits ziemlich eisiger Atmosphäre zu Zweig über sein, Brechts, „Saarlied“: „Wissen Sie, das ist so eine Kleinigkeit ...“; darauf Zweig: „Sagen Sie nicht Kleinigkeit, Herr Brecht, das ist vielleicht Ihr Bestes!“) oder von Feuchtwangers Reaktion auf Brechts Versuch, ihm anhand der gemeinsam geschriebenen „Simone Machard“ die Prinzipien des epischen Theaters zu erläutern: „Brecht, mit dem epischen Theater können Sie mich am Arsch lecken.“

Im USA-Exil besuchten Brecht und Eisler „vor allem Gangsterfilme, um, wie wir uns beide lügnerisch versicherten, soziale Studien zu betreiben“. Eisler zu Brechts Versifizierung des „Kommunistischen Manifests“: „Ich sah sofort [...], daß Brecht keine Hexameter schreiben konnte. Das hätte mir nichts ausgemacht, hätte Brecht nicht eigensinnig darauf bestanden, es wären Hexameter.“ Zur Wirkung von Musik: „Denken Sie an Orpheus [...] Er hat die Steine springen lassen! (Er wurde dann allerdings von einigen Damen zerrissen.) Stellen Sie sich vor, ich könnte als Musiker plötzlich die Stalinallee neu bauen. Oder stellen Sie sich mal vor: die Mauern von Jericho. Da hat die Musik doch noch eine Funktion gehabt! Da kamen Musiker, spielten ein Stück - leider nicht von mir -, und die Mauern fielen.“ Als Therese Giehse im BE den „Zerbrochenen Krug“ inszenierte und Brecht Änderungen vornahm, erhielten Stück bzw. Aufführung den Namen „Die zerbrechte Giehs-Kanne“.

Zu Brechts Caesar-Roman: „Der historische Materialismus is net vulgär, aber seine Handhabung ist oft ganz schauerlich“ (1961) oder „Das ist in einem so köstlichen Deutsch geschrieben und derart geistvoll, daß ich bereit bin, sämtliche Bedenken Hegels (die Kammerdienerperspektive betreffend) und das Marxisten (Eisler) über Bord zu werfen und dieses Büchlein restlos zu respektieren.“ Kritische Bemerkungen gelten - später überwundenen - kulturpolitischen Engstirnigkeiten etwa in bezug auf die Heartfieldschen Fotomontagen.

Von schöner Menschlichkeit zeugen Eislers Worte über den seinerzeit in der DDR heftig angefeindeten Schönberg (1954): „Ich brauche nicht das chinesische Sprichwort ,Wer seinen Lehrer nicht ehrt, ist schlechter als ein Hund‘, um hier festzustellen, daß Schönberg einer der größten Komponisten nicht nur das 20. Jahrhunderts war [...]. Seine Schwächen sind mir lieber als die Vorzüge mancher anderer. Verfall und Niedergang des Bürgertums: Gewiß. Aber welch eine Abendröte!“

Der Herausgeber ließ sich vom Verlag erfreulicherweise zu sehr ausführlichen und informativen Anmerkungen „überreden“. Im Anhang druckt er Hermlins lesenswertes Nachwort zur Originalausgabe ab. Sehr hübsch der Bericht darüber, wie Hermlin, wenn er zu Eisler kam und dieser ihm zu ausdauernd Schach gegen seinen Bruder Gerhart spielte, Richard Wagner zu loben begann: Eisler brach dann sofort die Partie ab, um auf Wagner zu schimpfen.

Das Register bezieht leider Anmerkungen und Nachwort nicht ein; so fehlen zum Beispiel die Namen Horaz, Lukrez, Tretjakow. Nicht aufgenommen sind - abgesehen von Brechtschen Titelfiguren wie Schweyk - literarische Gestalten wie Kaspar Pröckl (aus Feuchtwangers „Erfolg“), der Brecht-Züge aufweist. Auch ein Sachregister wäre wünschenswert. Schade, daß die instruktiven, zum Teil bis dahin unveröffentlichten Fotos der Originalausgabe fehlen (Hanns, Gerhart, Rudolf Eisler; Hanns Eisler mit Brecht, der Weigel, Engel, der May, Busch, Irmgard Arnold, Dudow, Arnold Zweig, Becher, Hermlin).

Die Gespräche sind teilweise auf Schallplatte erschienen; es sollte gesagt sein, welche Gespräche auf welchen Platten. Ich sage dies für den Fall, daß das Buch wieder einmal aufgelegt wird, in verbesserter Fassung (unveränderte Neudrucke erfolgten mehrfach), und das sollte unbedingt geschehen; es gibt nicht viele Bücher, die so interessant und vergnüglich zu lesen sind.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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