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Peer Pasternack

Bewegung auf einem gesättigten Markt
Geistes- und sozialwissenschaftliche Zeitschriften in Ostdeutschland nach 1989

 

Ob und wie es noch lebendig in einer regionalen Wissenschaftslandschaft zugeht, die soeben eine radikale Evaluierung absolviert hat, läßt sich unter anderem an den dort entstehenden Fachzeitschriften ablesen. Ostdeutsche Wissenschaftseinrichtungen sind nach 1989 in größerem Umfang geschlossen worden, und dort, wo es sie noch gibt, haben sie in beträchtlicher Zahl ihr Personal ausgewechselt. Das hatte Folgen auch für die wissenschaftlichen Zeitschriften. Schauen wir uns das für die geistes- und sozialwissenschaftlichen Journale etwas genauer an, so werden sich zunächst sieben Fallgruppen identifizieren lassen.

I. Systematisierung

Voraussetzung der nach-1989er Entwicklungen war zunächst die Situierung der wissenschaftlichen Zeitschriften in der DDR. Dort unterlagen sie der ambivalenten - nämlich sowohl inhaltlichen wie finanziellen - Fürsorge des Staates. 1989/90 fanden sie sich über Nacht in einen deutschdeutschen Marktzusammenhang gestellt, der sich nicht gerade durch großflächige Leerstellen auszeichnete. Das traf die wissenschaftlichen Zeitschriften naturgemäß stärker als sonstige Druckerzeugnisse. Sie durften, anders als populäre Journale, nicht auf einen anhaltenden Bonus beim Ostpublikum rechnen; Wissenschaft läßt sich schließlich nicht dauerhaft auf einen Regionalbezug begrenzen. Hinzu trat: Das akademische Ostpublikum wurde reihenweise aus den Beschäftigungsverhältnissen katapultiert, in denen die Lektüre wissenschaftlicher Zeitschriften angenehme Last ist.

Folglich stellten ebenso reihenweise ostdeutsche Fachjournale ihr Erscheinen ein - Fallgruppe 1. Zu nennen wäre beispielsweise die Zeitschrift Wirtschaftswissenschaft, eine typische Vertreterin einer realsozialistischen Besonderheit: der wissenschaftlichen ,Zentralorgane‘. Solche Zentralorgane bestanden in der DDR für zahlreiche Disziplinen: mitunter als einzige Zeitschrift für das jeweilige Fach überhaupt, mitunter als Monopolistin, die sonstige Blätter dauerhaft in der Marginalisierung zu halten vermochte.

Ein anderes Beispiel für eingestellte Periodika ist die Zeitschrift Militärgeschichte, die sich 1990 mit einer bizarr anmutenden Begründungsschleife von ihren Lesern verabschiedete: „Historische Wahrheit durfte“, so resümierte die Redaktion die damals jüngsten Entwicklungen, „nicht mehr als das Monopol einer Partei verstanden werden, sondern ... dem pluralistischen Wettstreit der Meinungen und Ideen entspringen ... Nun sind mit dem 3.Oktober die Würfel gefallen. Im geeinten Deutschland wird es nur eine militärhistorische Fachzeitschrift geben, nämlich die vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg/Breisgau herausgegebenen Militärgeschichtlichen Mitteilungen. Militärgeschichte“ - soeben noch monopolkritisch und sich zum pluralistischen Wettstreit bekennend - „räumt damit den badischen Kollegen ohne Gram und Groll das Feld und wünscht ihrem ... anspruchsvollen Wissenschaftsjournal auch in den neuen deutschen Bundesländern vollen Erfolg.“ (Editorial in Militärgeschichte 6/1990)

Neben den verblichenen gibt es aber auch eine Anzahl solcher Zeitschriften, die aus der DDR kamen und nach mehr oder weniger großen Turbulenzen wieder erfolgreich durchzustarten vermochten - Fallgruppe 2. In der Regel verband sich der Neustart mit einem veränderten Konzept und Herausgebergremium. Hier können exemplarisch asien, afrika, lateinamerika (aala), Georgica, die Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ZfG), das Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte oder die Deutsche Zeitschrift für Philosophie genannt werden. Im erziehungswissenschaftlichen Feld wurde eine ganze Reihe von früheren DDR-Zeitschriften fortgeführt, wobei deren ursprüngliche Herkunft heute kaum mehr erkennbar ist. Insbesondere durch die teilweise Übernahme des DDR-Verlages Volk und Wissen durch den Luchterhand-Verlag war die Fortführung zahlreicher Periodika ebenso gesichert worden, wie diese Übernahme eine exogene Neubestimmung von Konzept, Themen und Autoren verursachte.

Einige wenige Zeitschriften hingegen wurden nur marginal von den deutsch-deutschen Entwicklungen berührt - Fallgruppe 3. Das betrifft etwa den Philologus, die Fontane-Blätter oder die Theologische Literaturzeitung.

Der Philologus hatte als Nischenorgan einer Nischendisziplin die DDR überlebt; schon deshalb, weil die Anzahl der inländischen Altphilologen stetig abnahm, war er durchgehend bis 1989 auf Manuskripte aus dem Ausland, u.a. der Bundesrepublik, angewiesen. (Ähnliches läßt sich auch für andere Zeitschriften sagen, so die Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde, die Orientalistische Literaturzeitung, die Deutsche Literaturzeitung für die Kritik der internationalen Wissenschaft, das Goethe- und das Bach-Jahrbuch, theologische Periodika und - eine DDR-Gründung - die Altorientalischen Forschungen.) Die Fontane-Blätter, vom in Potsdam ansässigen Fontane-Archiv, waren zwar nach 1989 mit den Turbulenzen des Archivs zeitweilig gefährdet; ansonsten aber bot ihnen ihr Gegenstand Schutz vor darüber hinausgehenden Infragestellungen. Die Theologische Literaturzeitung hatte auch in der DDR weitgehend unbeeinträchtigt ihre traditionelle Funktion wahrnehmen können: die eines Rezensionsorgans für den gesamten deutschen Sprachraum. Im übrigen hat die relativ kleine Familie der in der DDR erscheinenden theologischen Zeitschriften fast vollständig den Systemwandel 1989 ff. überstanden. Nicht überlebt haben hier Journale wie der Standpunkt, der auch theologische Fachartikel publizierte, doch im wesentlichen ein CDU-nahes Organ der politischen Publizistik war.

Im weiteren nutzten nach 1989 einige Enthusiasten die Offenheit der Strukturen, um etwas zu tun, das in der DDR so nicht möglich gewesen wäre: Sie gründeten Zeitschriften. Dann passierte zweierlei: Entweder plazierten sie die Neugründung erfolgreich am Markt (Fallgruppe 4), oder sie verschafften sich eine Erfahrung des Scheiterns (Fallgruppe 5).

Erfolgreiche Neugründungen sind das Berliner Journal für Soziologie, Berliner Debatte Initial, Utopie kreativ, WeltTrends, Comparativ, Grenzgänge, BISS public oder hochschule ost. Für die gescheiterten Neugründungen können exemplarisch zwei Titel genannt werden. Vom Jahrbuch für Systematische Philosophie, verantwortet von der Leipziger Gesellschaft für theoretische Philosophie, erschien - 1992 - nur ein Band, und die in Leipzig herausgegebene Kultur & Kritik (Untertitel: „Zeitschrift der Leipziger Gesellschaft für Philosophie und Kultur“, verlegt 1990-1992 im Forum Verlag Leipzig) verdient auch deshalb Erwähnung, weil sie die Nachfolgerin einer Ungewöhnlichkeit war: Sie setzte die akademische Samisdat-Publikation Seminarum fort, die seit 1985 an der Leipziger Sektion Marxistisch-leninistische Philosophie erschienen war, initiiert und betreut von einigen jüngeren Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen und in einer Auflage von 99 Exemplaren hektographiert.

Sodann gab es auch die eine und andere Zeitschriften-Wiedergründung nach zwischenzeitlicher Einstellung - Fallgruppe 6. Genannt werden können hier exemplarisch die Berliner Dialog-Hefte (BDH), hrsg. von der Gesellschaft zur Förderung des christlich-marxistischen Dialogs e.V. in Berlin, die Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung (BzG) oder die 1992 wiederbelebten Namenkundlichen Informationen, herausgegeben von den Onomastikern an der Leipziger Universität.

Schließlich gab es auch einzelne ost-west-deutsche Zeitschriftenfusionen - Fallgruppe 7. Ein Beispiel dafür ist Das Hochschulwesen, früher herausgegeben vom DDR-Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen und dann fusioniert mit der Zeitschrift Hochschulausbildung, dem Organ der vormals westdeutschen Arbeitsgemeinschaft für Hochschuldidaktik (AHD).

Am Rande seien schließlich zweierlei Aspekte vermerkt:

Der DDR-Zusammenbruch hatte nicht allein für ostdeutsche Zeitschriften Folgen, sondern auch für einzelne westdeutsche Titel, sofern sie sich wesentlich mit der DDR beschäftigt hatten. So hat etwa die in Oldenburg erschienene Pädagogik + Schule in Ost und West den Wegfall der bis 1990 gewohnten Zuschüsse nicht verkraftet. Ebenso stellte der IGW-Report (bis 1990 „über Wissenschaft und Technologie in der DDR und anderen RGW-Ländern“, dann „... in den neuen Bundesländern sowie mittel- und osteuropäischen Ländern“) Ende 1992 sein Erscheinen ein: Dem ihn tragenden Institut für Gesellschaft und Wissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg war die institutionelle Förderung durch das Bundesforschungsministerium gestrichen worden. Es wurde daher abgewickelt und mit ihm ebenso die Zeitschrift eingestellt. Auch die in West-Berlin herausgegebene Kirche im Sozialismus (zum Schluß unter dem Titel Übergänge), herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Publizistik, beendete 1990 ihr Erscheinen.

Ein anderer Titel hingegen hat das Ausbleiben der Subventionen des Innerdeutschen Ministeriums vergleichsweise glänzend überstanden: Das in Köln produzierte Deutschland Archiv vermochte sich erfolgreich zur „Zeitschrift für das vereinigte Deutschland“ (neuer Untertitel) zu profilieren.

Aus dem Umfeld der DDR-Bürgerbewegungen hatte es seit 1990 kaum Versuche gegeben, akademisch ambitionierte Zeitschriftenprojekte zu starten. Dort blieb es im wesentlichen bei Projekten, die der politischen Publizistik zuzurechnen sind und z.T. DDR-Samisdat- Titel fortsetz(t)en, etwa Die Andere † oder der Telegraph, letzterer als Nachfolger der zur Legende gewordenen Ost-Berliner Umweltblätter. Auch eine politisch wenigstens zum Teil dem Bürgerrechtler-Umfeld zuzuordnende Zeitung erscheint noch, wenngleich nicht als Nachfolgerin einer früheren Untergrundzeitschrift, sondern pikanterweise eines DDR-Kulturbund-Organs (Der Sonntag) und eines eher DDR-freundlichen westdeutschen Blattes (Deutsche Volkszeitung): die Wochenzeitung Freitag.

Immerhin gibt es dann auch noch die Zeitschrift Horch und Guck und die Sklaven. Erstgenannte, herausgegeben vom Berliner Bürgerkomitee „15. Januar“ e.V., befaßt sich mit der MfS- und DDR-Aufarbeitung und publiziert in diesem Zusammenhang auch zahlreiche zeitgeschicht liche Texte. Die Sklaven sind ein anspruchsvolles kulturkritisches Blatt, verortet im Prenzlauer-Berg-Milieu, das die in sympathischer Weise anhaltend integrationsunwillige Linke des Ex-DDR-Untergrunds repräsentiert. (Das Projekt hat sich jüngst, Anfang 1998, gespalten. Das Spaltprodukt heißt konsequenterweise Sklaven Aufstand.) Ein Titel aus der Bürgerbewegung, der auch wissenschaftliche Essays veröffentlichte, vermochte dagegen nicht dauerhaft zu überleben: Die literarischpublizistische Zeitschrift Kontext, Fortsetzung des zuvor innerkirchlich veröffentlichten gleichnamigen Titels, verschwand bereits im Dezember 1990 wieder vom Markt.

Soweit die Debatten aus den früheren Bürgerbewegungen akademisch ambitioniert sind, öffnet ihnen heute am ehesten noch Berliner Debatte Initial ihre Spalten. Zu beachten ist hier auch ein bedenkenswerter Unterschied zu anderen ostmittel- und osteuropäischen Ländern. Anders als diese hatte die DDR keine regimeoppositionellen Exilzeitschriften von expatriierten Bürgerrechtlern hervorgebracht. Die deutschdeutsche Sondersituation schien dies überflüssig zu machen: DDR-Bürgerrechtler konnten, wenn sie vor 1990 in den Westen kamen, auf dort vorhandene Medien zurückgreifen, ohne sich einer Fremdsprache bedienen zu müssen. Während polnische, ungarische und andere Exilzeitschriften nach 1990 mit ihren Herausgebern in die jeweiligen Länder (zurück)gingen, gab es kein DDR-oppositionelles Journal, das dann aus der Bundesrepublik nach Ostdeutschland hätte heimkehren können.

Eines wird bis zu dieser Stelle bereits bemerkbar sein: Unsere Darstellung würfelt ziemlich verschiedene Publikationen durcheinander. Sie differenziert insbesondere nicht nach wissenschaftlichem Renommee und Wirkungsradius der einzelnen Titel. Gleichwohl läßt sich schwerlich ignorieren, daß Zeitschriften auch etwas mit wissenschaftlichem Machtkapital zu tun haben. Sie können solches Kapital nicht nur verschaffen; ihnen hilft auch, wenn die verantwortlich Beteiligten es bereits besitzen. Daraus ergeben sich Renommeezuwachs-Chancen für ihre Autoren. Das ließe sich für unser Feld in drei Stufen sortieren:

a) In einigen Journalen verschafft eine Veröffentlichung den Autorinnen und Autoren zweifelsfrei einen Renommeezuwachs: Sie dürfen sich durch die Publikation geadelt fühlen und werden in der Disziplin wahrgenommen. Die erstmalige Publikation in einem solchen Organ kommt einer Initiation in die community gleich. Von den ostdeutschen Zeitschriften sind etwa die Deutsche Zeitschrift für Philosophie oder das Berliner Journal für Soziologie so hinreichend arriviert, daß sie hierfür als Beispiele genannt werden können.

b) In anderen Periodika wird man als AutorIn zumindest in deren (eingeschränkterer) Zielgruppe wahrgenommen. Wissenschaftsintern gilt man durch die Publikation zwar nicht als geadelt, aber als fleißig. Hinsichtlich des Renommeezuwachses sind dortige Publikationen also jedenfalls für die Publikationsliste hilfreich.

c) In einer dritten Gruppe von Zeitschriften zu veröffentlichen kann schließlich als wirkungsneutral in bezug auf das Renommee der Autoren gekennzeichnet werden.

Unterscheiden ließen sich die Zeitschriften aber auch nach dem jeweils betriebenen redaktionellen Aufwand und ihrer sich daraus ergebenden Gestaltung wie inhaltlichen Lebendigkeit. So sind manche Journale lediglich verkappte Sammelbände, in denen sich allein Tagungen dokumentiert finden, die von der jeweils herausgebenden Einrichtung veranstaltet worden waren. Andere Zeitschriften hingegen arbeiten mit Rubriken, öffnen ihre Spalten auch reagierendem Widerspruch und enthalten mehr oder weniger aufwendige Rezensionsteile.

Im übrigen aber soll es in diesem Beitrag vornehmlich darum gehen, die Vitalität der akademischen Zeitschriftenlandschaft im ostdeutschen Siedlungsgebiet zu ergründen. Dazu müssen unsere illustrierenden Beispiele insgesamt ein repräsentatives Sample bilden: also Journale unterschiedlichster Herkunfts- und Entstehungsgeschichten, disziplinärer Verortungen, Wirkungsradien, Renommierkapazitäten, Erscheinungsrhythmen und Gestaltungsweisen berücksichtigen. (Aus dem leitenden Gesichtspunkt der Repräsentativität ergibt sich auch, daß hier nicht alle in diesem Kontext erwähnenswerten, weil ostdeutschen Zeitschriften verzeichnet werden.)

II. Ostdeutscher Wissenschaftsumbau

Was nun ließ ostdeutsche Zeitschriften zu Agenturen entweder des Entinstitutionalisierungsprozesses oder des Institutionentransfers werden? Hier müssen wir uns zunächst den Charakter der deutsch-deutschen Wissenschaftszusammenführung vergegenwärtigen:

Der ostdeutsche Wissenschaftsumbau hatte sich - im Rahmen einer vollendenden Modernisierung Ostdeutschlands - als ein Anpassungsprozeß an das normsetzende und strukturtransferierende westdeutsche Wissenschaftssystem vollzogen. Der Vorgang wurde umgesetzt unter den Bedingungen eines unangemessenen Zeitrahmens, defizitärer Kapazitäten der Transformationsbewältigung seitens des politischen Systems sowie rigider Sparzwänge. Er war gekennzeichnet durch Schwächen der Problemdefinition, in ihrem Anspruchsniveau stark differierende Zielsetzungen, Delegitimierungsanstrengungen hinsichtlich der ostdeutschen Ausgangsstruktur, asymmetrische Organisiertheit der konfligierenden Interessen und dadurch dominierenden Einfluß klientelistischer (westdeutscher) Interessenkartelle. Im weiteren war der ostdeutsche Wissenschaftsumbau durch Reflexionsschwächen zentraler ostdeutscher Akteure charakterisiert und auf westdeutscher Seite getragen vom Überlegenheitsempfinden des - zwar „verrotteten“ (Dieter Simon), aber:- westdeutschen Wissenschaftssystems.

Diese prozeßbestimmenden Elemente bewirkten eine Neustrukturierung, die im Vollzug bürokratisch von Steuerungshavarien und demokratisch von Legitimitätsdefiziten geprägt sowie überwiegend innovationsresistent war. In seinen Ergebnissen führte der Vorgang zu einem weitgehenden, aber nicht vollständigen akademischen Elitenwechsel, zur Verwestlichung wie Vermännlichung des Personals und zu einer Struktur, die auch in ihren (beschränkten) Innovationen - Innovation verstanden als Förderung des Noch-nicht-Mehrheitsfähigen - Konventionsverstöße weitestgehend meidet. Strukturbezogen wirkte der Gesamtvorgang ost- und westdeutsche Hochschulkrisen vereinheitlichend, und handlungsbezogen wirkte er auf die fraglose Annahme der neuen Verhältnisse zurichtend.

Soweit die deutsch-deutsche Wissenschaftszusammenführung Personen zusammenführte, war sie wesentlich eine Kollision zweier Wissenschaftskulturen. Wolfgang Kaschuba verdanken wir den Hinweis, daß sich die Situation durchaus im Stile eines ethnologischen Feldtagebuchs beschreiben ließe: „Fremde rücken in das Gebiet einer indigenen Stammeskultur vor, sie übernehmen dort die Schlüsselpositionen der Häuptlinge und Medizinmänner, zerstören einheimische Traditionen, verkünden neue Glaubenssätze, begründen neue Riten. Das klassische Paradigma also eines interethnischen Kulturkonflikts, nur daß sein Schauplatz nicht in Papua-Neuguinea liegt, sondern ganz unexotisch nah, in Berlin, Unter den Linden.“ (Süddeut sche Zeitung, 20./21.3.1993)

Wissenschaftsgeschichtlich läßt sich für den Vorgang kaum ein vergleichbares Beispiel finden. Stand auf der einen Seite die von angelsächsischem Einfluß nicht gänzlich unberührte westdeutsche Beamtenwissenschaft, so auf der anderen die zuvor an den herausragenden Leistungen der Sowjetwissenschaft orientierte zentralplangesteuerte Erkenntnissuche im Dienste der Erfüllung der Hauptaufgabe der Realisierung der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik.

III. Ostdeutsche Re(d)aktionsstrategien

Im Umgang mit dieser Kollision zweier Wissenschaftskulturen lassen sich auf ostdeutscher Seite zwei grundsätzliche Strategien erkennen. Diese sind auch anhand der Zeitschriften zu entschlüsseln: Zum einen bemühte man sich, inhaltlich, institutionell wie publizistisch an die westliche community anzudocken; zum anderen wurde der eingetragene Verein als Notkonstruktion entdeckt, um Zeitschriften (und anderen Aktivitäten) einen institutionellen Hintergrund zu verschaffen. Betrachten wir diese beiden Strategien etwas detaillierter.

Wurde also der Versuch unternommen, an die westliche community anzudocken, so bemühten sich einige existierende ostdeutsche Journale rasch, einen noch unbesetzten Platz in der westdeutschen Zeitschriftenlandschaft zu identifizieren. Der nächste Schritt war dann die Bildung eines honorig besetzten ost-west-durchmischten Herausgebergremiums. Auf diese Weise vermochten sich z.B. die Deutsche Zeitschrift für Philosophie und asien, afrika, lateinamerika (aala) gut zu plazieren. Ähnliches gilt für das Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte.

Daneben haben sich auch die meisten der neuentstandenen Zeitschriften aktiv bemüht, Anschluß an die westliche community zu finden. Hier kann etwa Comparativ genannt werden: Von Beginn an hatte die Zeitschrift „für Universalgeschichte und vergleichende Gesellschaftsforschung“ (Untertitel) auf Ausgewogenheit und Integration ost- und westdeutscher wie auch ausländischer Beirats- und Redaktionsmitglieder, Rezensenten und Autoren Wert gelegt.

Mitunter wurde es für nötig gehalten, die erfolgreiche Plazierung mit einem Ost-West-Wechsel in den Schlüsselpositionen zu verbinden, ohne dabei Ostdeutsche generell von der weiteren Mitarbeit auszuschließen. So ging es im Fall des Berliner Journals für Soziologie (BJS) nicht ohne eine gleichsam ,feindliche Übernahme‘ ab: Gegründet worden war das Journal als Bestandteil von Emanzipationsbemühungen der DDR-Soziologen, denen bis 1989 keine eigene Zeitschrift zugestanden worden war. Doch 1992 fand sich das ostdeutsche Herausgebergremium über Nacht ersetzt durch ein westdeutsch dominiertes. Logistisch abgesichert hatte den Vorgang der Akademie-Verlag.

Ähnlich verhielt sich das auch beim Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte. Ein Beobachter erklärt dies emotionslos mit verlegerischer Rationalität unter Ausnutzung eines redaktionellen Dilemmas: „Aus Verlegersicht war der Wechsel des Herausgebergremiums von den ehemals etablierten ost- zu den führenden westdeutschen Wirtschafts- und Sozialhistorikern ein Glücksfall für den ungebrochenen Erfolg.“ Denn: „Dort, wo die Produktionsbedingungen auf dem angenehmen Niveau der DDR gehalten werden sollten ..., waren nur noch westdeutsche Ordinarien mit unvermittelten Zugängen zu Subventionen in der Lage, die Zeitschriften aufrechtzuerhalten.“ Dagegen habe sich der seinerzeitige Herausgeber, Thomas Kuczynski, in einer Falle befunden: „Leistete er Widerstand gegen seine eigene Entmachtung, gefährdete er die Zeitschrift, die er als Teil des Lebenswerkes seines Vaters und seiner Kollegen empfand, in ihrer Existenz.“ (Matthias Middell in hochschule ost 3-4/97)

Wie im einzelnen auch immer, Deutsche Zeitschrift für Philosophie, aala, Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Comparativ und BJS sind Beispiele dafür, wie ostdeutsche Periodika zu Agenturen des west-östlichen Institutionentransfers geworden sind: Sie wirkten innerhalb des Wissenschaftsumbaus - mit Abstufungen - ost-west-sozialintegrativ. Die Abstufungen bestanden zuvörderst darin, daß die Integration manches Mal mit einer Neumischung der Hierarchien verbunden war, wie etwa das Berliner Journal für Soziologie und das Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte zeigten. BJS-Gründungsherausgeber Hansgünther Meyer: „So ... ordnet sich das Berliner Journal ein in die Mechanik des gesamten ostdeutschen Institutionen-Umsturzes: Die neuen Strukturen verdrängten die Reste des DDR-Institutionen-Erbes, bei gleichzeitiger Ausgliederung des dort tätigen Personals. Zugleich reichen diese neuen Einrichtungen Subsistenzmittel aus, die eine teilweise Revitalisierung der zerfallenden Potentiale zum Ergebnis haben. Ihretwegen gibt es eine selbständige ostdeutsche Soziologie nicht mehr, aber daß es noch immer Soziologen mit erkennbar ostdeutschen Biographien gibt, ist weitgehend ihnen zu verdanken.“ (hochschule ost 3-4/97)

Die Neumischung der Hierarchien parallelisierte aber lediglich die Entwicklungen der Zeitschriften mit denen in den ostdeutschen Instituten. Jedenfalls: Die an den integrationsorientierten Journalen als Transferagenten Beteiligten sind - wie gesichert oder prekär auch immer - in die neuentstandenen Strukturen eingebunden; sie haben also Stellen oder Projektanschlüsse.

Die andere Strategie, mit der Kollision der westlichen und östlichen Wissenschaftskulturen umzugehen, hatte eine gegenteilige, zwar ungewünschte, aber faktische Voraussetzung: die Entinstitutionalisierung von thematischen und personalen Wissenschaftszusammenhängen. Nicht alle, die der Umbruch aus akademischen Beschäftigungsverhältnissen herausgeschleudert hatte, mochten sich damit einfach abfinden. Sie schritten zu Vereinsgründungen: als quasi-institutionalisierende Gegenstrategie zur Entinstitutionalisierung.

In diesen Vereinen wurde ein reges und anhaltendes Veranstaltungswesen entfaltet. Daraus entstand dann auch eine Reihe von Zeitschriften und Schriftenreihen. Freilich werden die Veranstaltungen wie die Publikationen aus den Vereinszusammenhängen vom etablierten Wissenschaftsbetrieb nur ausnahmsweise zur Kenntnis genommen. Die Ausnahmen sind meist sozialwissenschaftlich tätige e.V.s. Sie weisen auf den Umstand hin, daß sich zwei verschiedene Gruppen von Vereinen typisieren lassen:

a) Zum einen können die Vereine derjenigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammenfaßt werden, die gleichsam abschließend abgewickelt sind, also eine Reintegration ins etablierte akademische System kaum zu erwarten haben. Deren Vereine lassen sich als Not-Institutionalisierungen charakterisieren, da andere Institutionalisierungsformen nicht mehr zur Verfügung stehen. Aus ihnen werden kaum wirkungsmächtige wissenschaftliche Strömungen, Schulen oder dergleichen hervorgehen: Sie sind soziale Rückzugsfelder aller Voraussicht nach endgültig marginalisierter Wissenschaftler. Inhaltlich beschäftigen sich diese Vereine vornehmlich mit der DDR-Geschichte und aktuellen Fragestellungen politischer Analyse. Entsprechend sind dort auch die Historiker überdurchschnittlich vertreten.

Zugleich unterscheiden sich diese Zusammenschlüsse deutlich von sonst üblichen Vereinen. So sind sie etwa keine Geschichtsvereine im hergebrachten Sinne, denn in den ostdeutschen e.V.s haben sich nicht Laienhistoriker zur historiographischen Freizeitgestaltung versammelt; vielmehr ist ihre Arbeit durch die Zusammensetzung der Mitgliedschaft von vornherein professionalisiert. Infolgedessen erfüllen die dort entstehenden Produkte auch vielfach die herkömmlichen Standards. Als Zerfallsprodukte einer Personen- und Programmabwicklung - Entinstitutionalisierung - stehen die Vereine am Ende von Berufsbiographien, Forschungsrichtungen oder -perspektiven und repräsentieren insoweit ausgelaufene Modelle.

Beispiele hier zu verortender Zeitschriften sind die (professionell gemachte) Utopie kreativ und die revitalisierten Berliner Dialog-Hefte (die vom redaktionellen und gestalterischen Stil her eher an den Samisdat erinnern, was noch eine anrührende Note dadurch erhält, daß im BDH-Impressum seit Jahren der hoffnungsvolle Satz steht: „Für die Beiträge können z.Z. noch keine Honorare gezahlt werden“).

b) Zum anderen gibt es die Gruppe der in engerem Sinne sozialwissenschaftlich ausgerichteten Vereine. Sie suchen aktiv empirische Sozialforschung zu betreiben und dadurch Drittmittel zu akquirieren. Ihre Mitglieder sind vielfach im jüngeren oder mittleren Erwerbsalter, nutzen die Vereinskonstruktion lediglich aus pragmatischen Gründen als berufsbiographische Zwischenstation und streben meist ausdrücklich die Rückkehr in Universitäten oder Forschungsinstitute an. Ohne die Arbeit dieser Vereine (und die sie weithin finanzierende Kommission für sozialen und politischen Wandel in den neuen Bundesländern KSPW) wäre z.B. das Berliner Journal für Soziologie in den letzten Jahren inhaltlich nur halb so aufregend gewesen. In diesem Bereich nicht erfolglose Vereine sind etwa das Berliner Institut für Sozialwissenschaftliche Studien e.V. (BISS) mit seiner Zeitschrift BISS public und Wissenschaftssoziologie und -statistik e.V. Berlin (WiSoS) mit seiner WiSoS-Schriftenreihe. Solche Beispiele hängen allerdings existentiell an ABM-Stellen und/oder öffentlichen Forschungsaufträgen.

Besichtigen wir nun diese Befunde im Überblick, so können wir der Beantwortung einiger Fragen nähertreten. Mit der Zusammenführung der beiden deutschen Wissenschaftssysteme hatte es auch eine in weiten Teilen duplizierte deutsch-deutsche Zeitschriftenlandschaft gegeben. Warum nun existieren trotzdem noch einige der früheren DDR-Zeitschriften und sind gar neue Zeitschriften in Ostdeutschland gegründet worden? Gab es Lücken im westdeutschen Zeitschriftenmarkt, die zuvor unausgefüllt waren: die mithin durch frühere DDR-Titel oder ostdeutsche Neugründungen besetzt werden konnten? Gibt es, schließlich, eine quantitative Sättigungsgrenze für den wissenschaftlichen Zeitschriftenmarkt?

IV. Nützlichkeit & Marktsättigung

„Daß die Gründung einer neuen wissenschaftlichen Zeitschrift einem verbreiteten Bedürfnis endlich Rechnung trage, wird kaum jemand behaupten wollen.“ So Dieter Simon, Berlin-Brandenburgischer Akademiepräsident, als er unlängst begann, eine neue Zeitschrift herauszugeben. (Gegenworte. Zeitschrift für den Disput über Wissen 1/98) Immerhin aber kann davon ausgegangen werden, daß die Existenz einer beliebigen Zeitschrift irgendeinen Nutzen stiftet. Ein Fachjournal macht nicht nur wissenschaftliche Ergebnisse zugänglich und legt sie geordnet ab, archiviert sie also. Es füllt auch individuelle Publikationslisten, verschafft u.U. Teilhabe an der innerwissenschaftlichen Ressourcensteuerung usw. Die Nützlichkeit muß allerdings, damit die Zeitschrift auch existieren kann, beglaubigt werden.

Hier gibt es zwei verschiedene Wege: Zum einen kann die Nutzen-Beglaubigung am Markt erfolgen. Das betrifft die Zeitschriften, die sich (allein) über Abonnements tragen. Zum anderen gibt es die Journale, die - statt der Bewährung am Markt - einen kleinen Kreis von Wissenschaftsnotaren von ihrer Unabdingbarkeit zu überzeugen vermögen. Dabei geht es, während inhaltliche Gründe in Anschlag gebracht werden, um die Erlangung existenzsichernder Subventionen. Die Wissenschaftsnotare sitzen hierzulande meist in der Deutschen Forschungs-Gemeinschaft (DFG). Die Unabdingbarkeit des jeweiligen Projekts ist nachzuweisen über eine dramatisierende Steigerung der utilitaristischen Argumentation: Es entstünde ein nicht wiedergutzumachender Schaden für die Wissenschaft, wenn das Organ XY keine Förderung erhielte und infolgedessen sein Erscheinen einstellen müßte.

Näherhin finden sich auch Mischungen zwischen diesen beiden genannten Formen der Nutzenbeglaubigung: Eine typische Anordnung der Mischung ist etwa, daß eine Redakteurin institutionell, z.B. als wissenschaftliche Mitarbeiterin, beschäftigt wird, sich die Zeitschrift aber in ihren technischen Herstellungs- und Vertriebskosten selbst tragen muß. Schließlich gibt es dann noch vereinzelt Zeitschriften, die sich weder am Markt behaupten noch sich ihre Unabdingbarkeit von Wissenschaftsnotaren beglaubigen lassen müssen: Sie werden vom Enthusiasmus und dem finanziellen Vermögen ihrer Initiatoren getragen. Dies scheint unter ostdeutschen Zeitschriften durchaus häufiger vorzukommen, wobei der Enthusiasmus meist größer ist als das finanzielle Vermögen.

An den verschiedenen Techniken, sich Nützlichkeit beglaubigen zu lassen oder auch darauf verzichten zu können, läßt sich ablesen: So wie es für Wissenschaft im allgemeinen kein rationales Input-Output-Modell der Mittelzuweisung gibt, so kann auch kein Punkt der Sättigung des wissenschaftlichen Zeitschriftenmarkts benannt werden. Das Angebot schafft weithin die Nachfrage, und mangelnde Nachfrage führt nicht automatisch zur Einschränkung des Angebots. Ökonomisch existieren Zeitschriften in einem Gemisch von Markt, Marktsimulation und Subventionswirtschaft. Eine Vermutung Matthias Middells erscheint hier plausibel: Wissenschaftliche Zeitschriften, so Middell, dürften dann entstehen, „wenn das Defizit an Repräsentanz für eine genügend große Gruppe an Autoren und Lesern in ausreichendem Maße hervortritt und die politischen, organisatorischen und technischen Hindernisse der Veröffentlichung nicht unüberwindlich sind“. (hochschule ost 3-4/97)

V. Überlebensgründe

Sonnenklar zutage liegt das „Defizit an Repräsentanz für eine genügend große Gruppe an Autoren und Lesern“ in Ostdeutschland hinsichtlich einer Kohorte: der abgewickelten oder anderweitig aus den konventionellen Strukturen herausgedrängten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Sie haben nur ausnahmsweise Zugang zu etablierten wissenschaftlichen Publikationsmöglichkeiten. Zugleich sind sie aber aus einem aktiven Berufsleben herausgerissen worden, waren mithin auf einen eher passiven Lebensabend (noch) nicht eingestellt. Daneben sehen sie sich auch inhaltlich marginalisiert: Der wissenschaftliche Mainstream, z.B. in bezug auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts, entspricht weithin nicht den von ihnen vertretenen Positionen. Hier kommen kognitive Motivationen mit sozialen zusammen. Es gibt Resistenzen von Milieus, die ihre alten Zeitschriften erhalten oder aber neue als soziales Bindemittel gründen.

So sind etwa die Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung eine Zeitschrift, die ihre Existenzberechtigung wesentlich aus dem Vorhandensein einer ostdeutschen Autoren- und Leserschaft bezieht: „Der Spagat“, so Middell zu den BzG, „zwischen der eher ideen-, organisations- und politikgeschichtlichen Vorgehensweise vieler Autoren der BzG und den sozial- und kulturgeschichtlichen Methoden der Arbeitergeschichtsschreibung, wie sie sich in Westdeutschland in den siebziger und achtziger Jahren entwickelt hat, ist wohl zu groß, um sich eine mühelose Integration in den bestehenden Blätterwald der vor allem sozialdemokratisch inspirierten Arbeiterforschung vorstellen zu können.“ Und: „Viele der originellen Untersuchungen bedürfen auch der Einbettung in die Codierungen des Geschichtsbewußtseins, das in der DDR geformt wurde. Es handelt sich um die Zerstörung von Legenden, das Abtragen von Mauern, die um Gegenstände der Arbeiterbewegungsgeschichte in der DDR gezogen wurden, eine Auseinandersetzung um die Geschichtspolitik und ihre Legitimationsabsichten des untergegangenen Staates.“ (hochschule ost 3-4/97)

Einzelnen Redaktionen gelang es indes, Lücken in der westdeutschen Zeitschriftenlandschaft überzeugend zu definieren, also im eigentlichen konstruierend zu schaffen, um sie zeitgleich besetzen zu können. Das gilt etwa für die Deutsche Zeitschrift für Philosophie (DZfPh) und asien, afrika, lateinamerika (aala). Beide haben an das angeknüpft, was sie bereits in der DDR gewesen waren: Veröffentlichungsorgane für ein gesamtes Fach bzw. Forschungsfeld in seiner ganzen Breite. Die Fragmentierung der westdeutschen Zeitschriftenlandschaften ihrer jeweiligen Fächer bot die entsprechende Chance: Beide konnten die Grenzüberschreitung hinsichtlich der Subdisziplinen, Ansätze, Forschungsrichtungen usw. als Programmatik formulieren. Zwar war eigentlich keine Lücke für sie da, aber sie konnten sich über die zahlreichen anderen Lückenfüller erheben und die Lufthoheit beanspruchen: Denn die war noch frei.

Einen ähnlichen Ansatz hatte auch eine der nach 1989 erst neugegründeten Zeitschriften gewählt. Grenzgänge (Untertitel: „Beiträge zu einer modernen Romanistik“), redaktionell in Leipzig, Potsdam und Frankfurt a.M. verankert, zielt auf eine originelle Verbindung: Die ost-west-deutschen Grenzgänge sollen verbunden werden mit einer „Erinnerung an die Ursprünge der Romanistik“, d.h. die Gleichberechtigung von Sprach- und Literaturwissenschaften einerseits, Geschichte und Kulturwissenschaft andererseits.

Eine im Vergleich zur DZfPh und aala andere Variante, die Entbehrlichkeit abzuwenden, war die Funktionsänderung. So hat sich beispielsweise die Zeitschrift für Germanistik vom Zentralorgan der DDR-Germanistik zur Fakultätszeitschrift an der Humboldt-Universität gewandelt. (Wenn auch verbunden mit der wortreichen Klage, nun mit nur noch einer - bezahlten - Person statt, wie früher, sechs Redakteuren die ganze Arbeit tun zu müssen: Ein voll nach BAT vergüteter Redakteur ist indessen für zahlreiche andere ostdeutsche Zeitschriften seit geraumer Zeit ein unvorstellbarer Luxus.)

Ein anders gelagertes Beispiel für das Überleben durch Funktionsänderung sind die bis 1991 an der Akademie der Wissenschaften erschienenen Altorientalischen Forschungen. Sie haben ihre alte Funktion gleichsam durch ein Mißverständnis verloren: Der sowjetisch-ostdeutsche Begriff „Altes Orient“ war stadial bestimmt (in Abgrenzung zur Antike des Mittelmeerraums). Dafür ging den Akademie-Evaluatoren jedoch das Verständnis ab, da sie den Begriff geographisch auffaßten. Infolgedessen haben die Altorientalischen Forschungen zwar über lebt, aber als nunmehr keilschriftzentrierte Zeitschrift.

Dagegen nehmen Berliner Debatte Initial und Utopie kreativ Funktionen wahr, die westdeutsche Zeitschriften gar nicht haben können: Initial sieht ihre „Ausgangspunkte in den inoffiziellen, damals verdrängten Reformdiskursen in der späten DDR“ und definiert ihr spezifisches Profil über die „Herkunft aus der Wende in der DDR“. Entsprechend verbindet diese Zeitschrift Transformationsanalyse mit darüber hinausführenden philosophischen und sozialwissenschaftlichen Debatten. Utopie kreativ hingegen nimmt für sich mit einigem Recht die Repräsentanz einer anderen, in Initial eher spärlich vertretenen Gruppe in Anspruch: „Wohl nur selten sonst ist so konzentriert und vielfarbig gesellschaftswissenschaftliches Wissen und Nachdenken derjenigen DDR-Wissenschaftler versammelt, die ,abgewickelt‘ wurden und dennoch aktiv blieben - und zwar nicht, indem sie alte Thesen und Ansichten neu aufgossen, sondern weiterarbeiteten“, formuliert Redaktionsmitglied Wolfram Adolphi.

Eine andere Spezifik der DDR hat nach dem Ende der DDR merkwürdigerweise nur eine einzige Zeitschrift hervorgebracht: Aus der Einbindung der DDR in den Ostblock und den damit gegebenen Verbindungen nach Osteuropa hatte sich eine massierte Konzentration von Osteuropa-Spezialisten ergeben. Nun ist der Zeitschriftenbereich zwar für ost- und südosteuropäische Geschichte durch westdeutsche Titel recht gut abgedeckt. Doch im Bereich der aktuellen Ost-West-Europa-Beziehungen scheint, angesichts der gestiegenen Bedeutung dieser Beziehungen, das Feld eher dünn besetzt. Hier hätten durch ostdeutsche Zeitschriftengründer mit ihrer Kenntnis osteuropäischer Sprachen, Landeskunde und politischer Kultur Lücken gefüllt werden können. Entstanden ist allerdings bisher nur ein einziges entsprechendes Projekt: WeltTrends, eine außenpolitische Zeitschrift, die in Potsdam und Poznan herausgegeben wird.

Bei einigen der früheren DDR-Zeitschriften gab es neben inhaltlichen auch kommerzielle Gründe, sie fortzuführen. Hier war es vornehmlich das Interesse der Verlage am jeweiligen Abonnentenstamm, welches das Überleben ermöglichte. Solche Fälle traten vornehmlich im natur- und ingenieurwissenschaftlichen Bereich auf, den wir hier, um das Feld zu begrenzen, nicht näher betrachten. Dort jedenfalls haben Dutzende von DDR-Titeln überlebt.

Schließlich kann bei der Erklärung der relativen Vitalität der ostdeutschen Zeitschriftenlandschaft nicht von deren technischen Produktionsbedingungen abgesehen werden. Der ostdeutsche Systemwechsel war für Druckerzeugnisse zeitlich insoweit günstig plaziert, als er mit der allgemeinen Durchsetzung des PCs als Arbeitsmittel und der Entwicklung von so bedienerfreundlichem wie finanziell erschwinglichem Desktop-Publishing (DTP) zusammenfiel. Die Autoren lieferten jetzt Dateien statt getippte Manuskripte, und zuvor nur externalisiert zu bewältigende Produktionsschritte, insbesondere im Satz, konnten in die Redaktionen hereingeholt werden. Das verringerte den finanziellen und organisatorischen Aufwand der Zeitschriftenherstellung beträchtlich. Mehr noch: Es ermöglichte vielen interessierten Gruppen und Personen überhaupt erst, dem Gedanken einer Zeitschriftengründung näherzutreten.

Zugleich gab es freilich, während dieserart die Produktionskosten sanken, eine gegenteilige Entwicklung auf der Einnahmenseite. Deren Ursache war die Verknappung der Mittel für die öffentlich unterhaltenen Bibliotheken in der Bundesrepublik. Dadurch kam es seit Anfang der 90er Jahre dazu, daß in den Bibliotheken zunächst Dublettenabonnements unüblich, dann keine neue Zeitschriften mehr bestellt und schließlich auch bereits abonnierte Periodika gekündigt wurden. In den Jahrzehnten zuvor hatte in der ehemaligen Bundesrepublik eine Zeitschrift notfalls auf der Basis von Bibliotheksabonnements und Selbstausbeutung ihrer Redakteure finanziell über Wasser gehalten werden können. Dagegen fielen nun für viele der - zunächst naturgemäß unbekannten - ostdeutschen Neugründungen Bibliotheksabonnements als ein wesentliches finanzielles Standbein von vornherein aus.

So betrachtet kann auch vermutet werden, daß die DTP-begründeten Einsparungen bei den Kosten weitgehend neutralisiert wurden durch Mindereinnahmen infolge ausbleibender Bibliotheksabonnements. Dennoch haben Windows® und DTP erheblich dazu beigetragen, das Herausgeben von Zeitschriften zu demokratisieren, da durch sie die produktionstechnischen Hürden deutlich herabgesetzt wurden. Zahlreiche ostdeutsche Redaktionen, die ihrer früheren Verlage verlustig gegangen waren, hatten nur auf diesem Wege Kontinuität der Heftproduktion und im weiteren die Fortexistenz ihrer Zeitschrift sichern können.

Soweit einige Begründungen für publizistische Überlebensschicksale. Was nun sagt all das über die Einzelfälle hinweg aus?

VI. Fazit

Ostdeutsche Zeitschriften sind entweder zu Agenturen der Entinstitutionalisierungsprozesse oder des Institutionentransfers geworden. Sie eint mit anderen wissenschaftlichen Organen eine zentrale Gemeinsamkeit, und es trennt beide ein zentraler Unterschied. Die Gemeinsamkeit: Die Zeitschriften sind sich in wesentlichen Parametern programmtreu geblieben. Der Unterschied: Üblicherweise suchen Journale das von ihnen vertretene Programm inhaltlich und institutionell zu befördern, indem sie entsprechende Markierungen im Wissenschaftsbetrieb setzen; mitunter ergeben sich daraus abgesteckte Claims, d.h. ein Programm wird tatsächlich erfolgreich institutionalisiert. Periodika als Agenturen von Entinstitutionalisierungsprozessen hingegen suchen über das Ende der Institutionen hinaus ihr Programm zu kontinuieren, und Periodika als Agenturen des Institutionentransfers suchen ihr Programm an die neuen Bedingungen zu adaptieren.

An diesem Punkt treffen sich dann die ostdeutschen Zeitschriften wieder mit anderen. Denn Zeitschriften monopolisieren innerhalb des Printbereichs zunehmend eine Funktion: die Funktion der Programmbindung. Die beiden anderen großen Programmträger - Buchverlage und Zeitungen - dagegen folgen vermehrt Trends statt Programmen. Manchen ist das Anlaß zur Klage ob der grassierenden Beliebigkeit. Man könnte sich aber durchaus auch freuen: über die Chance, die sich für gedruckte Zeitschriften daraus ergibt, im Printbereich konkurrenzlos Programmbindungen zu repräsentieren.


© Edition Luisenstadt, 1998
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