Eine Rezension von Helmut Müller-Enbergs


Die kleinen Schritte des Bundesnachrichtendienstes zu mehr Offenheit

Udo Ulfkotte: Verschlußsache BND

Koehler & Amelang, München 1997, 368 S.

 

Nachdem der Archivbestand des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit zugänglich ist, wird mitunter die Frage aufgeworfen, wie freizügig der Bundesnachrichtendienst (BND) mit seinen Akten ist, und - meist im gleichen Atemzug - welche Perspektive er noch nach dem Zusammenbruch des Weltkommunismus hat. In diesem Kontext sorgte Dr. Udo Ulfkotte, gelernter Jurist und seit 1987 bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ für Afrika, arabische Staaten und Geheimdienste zuständig, für einige Furore. Denn auf beides versucht er eine Antwort zu geben.

Nach eigenem Bekunden durfte der 37jährige als erster Journalist „hinter die Kulissen“ des 6000-Mann-Unternehmens BND blicken. Was für ihn „kleine Schritte in Richtung Offenheit“ (S. 22) sind, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als mutiger und in der Bundesrepublik beispielloser Akt, der im offiziellen Bonn erwartungsgemäß kritisch aufgenommen wurde; zumal sich in dem Buch kaum einen Monat alte operative Erkenntnisse wiederfinden lassen. Das nachvollziehbare Bemühen seitens des BND, den Informationsabfluß zu kontrollieren, empfand Ulfkotte als „Maulkorb“ (S. 24). Unbeschadet der eher empört abgefaßten Einleitung, die teilweise Aufschluß über diese Auseinandersetzungen gibt, ist Ulfkotte keinesfalls subversiv, er erkennt die Notwendigkeit des BND an: „Der BND leistet mehr, als man ihm zutraut.“ (S. 318ff.)

Die Verschlußsache BND ist in vier Kapitel gegliedert, die unterschiedliches Niveau haben. Die ersten drei stammen von Ulfkotte, das letzte teilen sich der ehemalige BfV-Präsident Heribert Hellenbroich, der sich zur Wirtschaftsspionage äußert, und der israelische Geheimdienstler Gad Shimron, der die Zusammenarbeit von BND und Mossad beschreibt. Das erste Kapitel widmet sich der Spionagegeschichte und mit der Organisation Gehlen, dem BND-Vorläufer. Gleich einem genetischen Defekt werden - wie in andern Büchern dieser Art auch - von Ulfkotte bereits bekannte Plattitüden aneinandergereiht: Spionage als das „zweitälteste Gewerbe“ oder: „schon Bannum notierte vor viertausend Jahren“. Über die „Heilige Schrift“, die chinesische Porzellanherstellung und Mata Hari endet schließlich die „kleine Geschichte der Spionage“ im April 1997 beim Leiter einer ägyptischen Dessousfabrik. Auch die Ausführungen zur Organisation Gehlen fallen weit hinter den auch populär aufbereiteten Forschungsstand zurück und erreichen bei den Ausführungen zum MfS den Tiefpunkt. Auf fünf Seiten wird der ehemalige Hauptgegner abgehandelt, von denen sich zwei Seiten allein mit „Arco“, dem Hund des damaligen BND-Präsidenten Klaus Kinkel, beschäftigen. Die beiden nachfolgenden Kapitel wirken entschädigend. So wird im zweiten Kapitel anhand von Struk turaufgaben des BND - Schule, operative und technische Aufklärung, Auswertung, Verwaltung und technische Unterstützung - die bisher wenig bekannte Arbeitsweise einfühlsam und anschaulich und mitunter leicht anekdotisch beschrieben. So etwa ein Kassenprüfer des BND, der in seiner Freizeit zweimal Banken überfiel und Staatsminister Schmidtbauer zu der Äußerung verleitet haben soll: „Daß Sie sich auf diese Weise Haushaltsmittel zu beschaffen versuchen, habe ich nicht gewußt.“ Gleichwohl begründet Ulfkotte nachvollziehbar den immensen finanziellen Bedarf des BND (S. 110). Das dritte Kapitel skizziert das aktuelle Aufgabenprofil des BND, wie es sich seit 1990 darstellt. Der Autor hebt die Informationsbeschaffung zu den Themenfeldern internationaler Waffenhandel, organisierte Kriminalität, Ausländerextremismus, Industriespionage und Regionalstudien hervor. Diskussionswürdig sind diese Aufgaben allemal, doch scheint bei Ulfkotte oftmals der Journalist durch, der diese Fragen mit teils banalen News zu würzen sucht und mit unterschwelligen Andeutungen nicht geizt. So etwa die Anwesenheit eines BND-Mitarbeiters im Hotel „Beau-Rivage“ just in jener Nacht, als Ministerpräsident Uwe Barschel, wie Ulfkotte erklärt, „ermordet“ wurde. Die Ukraine solle Deutschland mit radioaktiv belastetem Haschisch erpressen; nordkoreanische Diplomaten müßten an ihren Staat „Loyalitätsgeld“ zahlen und würden im Gegenzug in Waffen- und Rauschgiftgeschäfte verwickelt sein. Auch soll der Swing-Star Glenn Miller nicht, wie offiziell verbreitet, 1944 spurlos verschwunden sein, sondern schlicht in einem Pariser Bordell einem Herzinfarkt erlegen sein. Solche Blüten belasten die Seriosität wirklich interessanter und wichtiger Erkenntnisse: So die Ergebnisse einer BND-Analyse von 1986, die eine grundsätzliche Wende in der sowjetischen Außenpolitik prognostizierte; oder das im Januar 1990 gezogene Fazit, daß Michail Gorbatschow einer Wiedervereinigung Deutschlands zustimmen und dabei nicht mehr die Neutralität des künftigen Deutschlands verlangen würde. Was Legitimität und Bedeutung des BND beschreiben soll, wird in Kolportagen verschlabbert. Die Verschlußsache BND ist weder eine Geschichte des BND, geschweige der Spionage. Es ist von allem etwas, und was vielleicht gewichtiger ist, ein erster, nicht sonderlich geglückter Versuch des BND, Offenheit zu wagen.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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