Eine Rezension von Carola Gerlach


„Wir sind vom selben Element, im selben Rang ...“

Salons der Romantik
Beiträge eines Wiepersdorfer Kolloquiums zu Theorie und Geschichte des Salons.

Herausgegeben von Hartwig Schultz. (Im Auftrag des Freundeskreises Schloß Wiepersdorf - Erinnerungsstätte Achim und Bettina von Arnim e.V.)

Walter de Gruyter, Berlin 1997, Wiepersdorfer Kolloquium (2, 1994), mit Personenregister, 378 S.

 

Roter Salon, Blauer Salon, Salon in Beton und vieles mehr dieser Art von Veranstaltungen findet sich in jedem aktuellen Berlin-Programm. Gibt es sie also noch? Die berühmten Salons der Rahel Varnhagen und anderer junger jüdischer Frauen, die im Lichte von Französischer Revolution, Aufklärung und Romantik die Leute um sich scharten, jenseits von Konvention, Religion, Stand und Geschlecht, diese lockeren Gesprächsgruppen ohne Tabu und Eintrittskarte, zu denen man/frau einfach hinging, um die Seele zu stärken bei dünnem Tee und Gebäck oder aber um in romantischer „Symphilosophie“ (F. Schlegel) die Welt im Geiste aus den Angeln zu heben? Oder ist es heute mit den Salons so trist bestellt, daß sie der linken Politikerin Petra Pau nur noch zum Negativ-Schlachtruf für den Wahlkampf dienen, sie wolle auf keinen Fall salonfähig sein?!

Das Schillernde, Widersprüchliche und auch Fragwürdige haftete bereits den historischen Berliner Salons um 1800 an. Die „freie Geselligkeit“ (Schleiermacher) war für bürgerliche, gut situierte Frauen eine der wenigen Möglichkeiten, im Schutze des Hauses an die (Halb-) Öffentlichkeit zu treten und geistig (künstlerisch, philosophisch, politisch) wirksam zu werden. Bei viel Geist und Witz und guter Strategie und Taktik wurden die herbeiströmenden Männer zu Sendboten der Frau, um in der wirklichen Welt etwas zu bewegen; denn dort hatten sie allein das Sagen, Tun und Handeln. Und die meisten zeitgenössischen Dichter und Philosophen fanden es auch gut so. „Der Mann muß hinaus ins feindliche Leben ... und drinnen waltet die züchtige Hausfrau“, heißt es in Schillers „Glocke“ (1799). Nur im Jenaer Freundeskreis um Tieck und die Brüder Schlegel, Caroline und Dorothea wurde laut darüber gelacht.

Rahel Levin, spätere Varnhagen, lebte den Widerspruch zwischen ihrer „Position“ als Salonnière und der Eingeengtheit ihres Lebens als Frau und Jüdin schmerzhaft aus: „Der größte Künstler, Philosoph oder Dichter ist nicht über mir. Wir sind vom selben Element. Im selben Rang, und gehören zusammen. [...] Mir aber ward das L e b e n angewiesen“ (S.146), schreibt sie am 16. Februar 1805 an ihren Freund David Veit. In diesem von der blauäugigen Salonliteratur oft zitierten Brief, den man in der Verkürzung einseitig als zufriedene Bejahung ihres Schicksals ansehen kann, heißt es aber weiter: „... und ich blieb im Keim, bis zu meinem Jahrhundert und bin von außen ganz verschüttet, drum sag’ ich’s selbst.“ Aus Rahels Briefen ist bekannt, daß sie sich mit einer in sich ruhenden, sich selbst genügenden Geselligkeit, wie sie Schleiermacher theoretisch von der Salonpraxis abgeleitet hatte, nie zufrieden gab. Rahel wäre gern Kaufmann geworden wie ihre Brüder, sah sich durchaus für ein Amt bereit und fähig, und die schönste Zeit ihres Lebens war wohl in Prag, als sie ein Hilfswerk für verwundete Soldaten organisierte und rastlos tätig war.

Das Wiepersdorfer Kolloquium bricht in seinen wesentlichen Teilen mit dem schönen harmonischen Bild, das wir, verführt von der Sehnsucht und irregeleitet durch so manche Publikation, von den Salons der Romantik und ihrer emanzipatorischen Funktion für die Frau bisher in uns trugen. Die Ernüchterung setzt allerdings meist nicht mit dem Paukenschlag ein, wie ihn Barbara Hahn gegen den Mythos „Salon“ setzte. Der Leser bekommt tief ausgelotete theoretische Abhandlungen geboten, die Schleiermachers Versuch einer Theorie des geselligen Betragens (Arndt), Schlegels Roman Lucinde (Becker-Cantarino) und die Lebenspraxis der Romantiker (Eichner) hinterfragen, er muß die etwas lange Analyse von Tiecks Phantasus (Hasenpflug) auf sich nehmen, um festzustellen, daß auch Tieck die Frauen auf „Fragende“ bzw. „Rezensentinnen“ reduzierte, und er erfährt Neues und gut Recherchiertes über den „Männersalon“ Friedrich Schlegels in Paris (Hundt).

Das Hauptfeld der Debatte wurde von den bekannten EditorInnen Rahels (Hahn, Isselstein), Varnhagens (Feilchenfeldt) und Bettina von Arnims (Schultz, Leitner, Landfester, Püschel) getragen. Sie ging zurück zu den schriftlichen Quellen der Salonkultur, wie sie mit Rahels zum großen Teil noch nicht edierten Briefen, Varnhagens immer noch nicht genügend ausgewerteten „Denkwürdigkeiten“ und Bettinas späten Briefen und Romanen vorliegen (Goethes Briefwechsel mit einem Kinde, Teil 3, Königsbuch, Armenbuch-Projekt, Dämonenbuch). Die Ergebnisse der Werkanalysen hinsichtlich ihrer kommunikativen Potenzen stellen nicht nur voreilige Theoriebildungen zum Salon (Seibert, Wilhelmy) in Frage, sondern weisen den Weg aus dem o.g. Dilemma, wie er sich in der Praxis vollzog: Weder Rahel noch die eine Generation jüngere Bettina begnügten sich in den politisch angespannten Zeiten des Vormärz mit dem „Salongespräch“, wie es in Heines Gedicht „Sie saßen und tranken am Teetisch“ karikiert wurde. Rahel entwickelte sich zur bewußten Anregerin („Trommel“) politischer/philosophischer Schriften und Bettine benutzte den „Salon“ als Werbeagentur für Themen, die sie in der Zeit von Revolution und Restauration auf andere Weise nicht mehr publizistisch auf den Weg bringen konnte. Sie ging über zur Aktion.

Dennoch: Die Salons der Romantik waren der Beginn weiblicher Emanzipation und eine heiße Spur für Intellektuelle, die mehr wollten als harmloses Geplänkel. Wo ist diese heiße Spur heute?


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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