Eine Rezension von Hans-Rainer John


Ein politischer Roman von literarischem Format

Brian Moore: Hetzjagd

Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben.

Diogenes Verlag, Zürich 1997, 304 S.

 

Frankreich hat sich in bezug auf den Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang als vierte Siegermacht und als das Land de Gaulles und der heldenmütigen Résistance darzustellen verstanden. Erst nach und nach kommt die volle Wahrheit ans Licht: Daß es auch das Frankreich des Marschall Pétain gab und die Vichy-Regierung, die mit den deutschen Nationalsozialisten nicht nur gezwungenermaßen kollaborierte, sondern vielfach auch in vorauseilendem Gehorsam eigenständig grausam operierte. Antikommunismus und Antisemitismus waren das ideologische Bindemittel, Kirche und Polizei erwiesen sich als willige Hilfsinstrumente.

Brian Moore (77), geboren in Belfast und heute in Kalifornien lebend, erhellt in Hetzjagd sehr feinfühlig, aufregend, ausgewogen und differenziert das labyrinthische Minenfeld, das zum Erbe von Nachkriegsfrankreich gehört. In diesem Sinne handelt es sich um einen wichtigen politischen Roman, den auch eine innere Spannung durchzieht, aber nicht um einen „knallharten Schocker“ oder „psychologischen Thriller“, wie uns der Klappentext weismachen will. Nein, das Buch ist viel zu genau und bedächtig, es liefert viel zu umfangreiche Informationen und Biographien, um jenem schrillen Genre, dem es nur um Action geht, zugeordnet werden zu können. Darin besteht aber auch sein Wert: in seinem aufklärerischen Charakter, den es mit literarischem Anspruch verficht.

Zur Handlung: Pierre Brossard, inzwischen fast siebzig Jahre alt, hatte unter Pétain die Zweite Sektion der Polizei im Raum Marseille geleitet. Vielfältige Menschenrechtsverletzungen, Folter und der Mord an 14 Juden gingen auf sein Konto, und dafür wurde er 1944 und 1946, inzwischen untergetaucht, in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Seine Amtsbrüder waren, vielfach mit päpstlichen Dokumenten ausgestattet, in Südamerika untergetaucht, aber Brossard hatte den Ehrgeiz, im Lande zu bleiben. Zahlreiche Klöster boten ihm reihum Obdach, konspirative Kleriker Beistand, Geld wurde ihm in reichem Maße von zuständigen Hilfsorganisationen zugesteckt. Die Behörden legten keinen Eifer an den Tag, ihn zu fassen, oder ließen ihn gar entkommen, wo er ihnen in die Hände geriet. Zahlreiche Petitionen aus kirchlichen Kreisen hatten für Begnadigung plädiert und die Staatsspitze beschäftigt. Auch dort neigte man dazu, den Schleier der Nächstenliebe über das Vichy- Regime und die Untaten von gestern zu decken und zu vergeben und zu vergessen.

44 Jahre sind darüber ins Land gegangen. Internationale jüdische Organisationen, die es für einen Skandal halten, alles unter den Teppich zu kehren, stellen unangenehme Fragen nach der Erfolglosigkeit der Strafverfolgung. Ein neuer Staatsanwalt muß bestellt, die Nachforschungen müssen der laschen und uninteressierten Polizei entzogen und dem Militär übertragen werden. Zugleich aber jagen Brossard gutinstruierte Profikiller hinterher. Wer hat sie bestellt - eine jüdische Geheimorganisation, die erbittert ist ob der jahrzehntelangen Farce, oder alte Kameraden, die sich Brossards entledigen wollen, um einen neuen Prozeß zu verhindern, der sie selbst wieder ins Rampenlicht stellen könnte? Einige hohe Funktionäre von damals laufen noch frei herum, bekleiden öffentliche Ämter ... So zieht sich das Netz zusammen. Brossards Schicksal ist besiegelt. Es geht nur noch um die Frage, wer zuerst zum Zuge kommt ...

Auf einem Fundament der Straflosigkeit kann sich kein demokratischer Prozeß entwickeln; wenn das Bekenntnis zu den Menschenrechten nicht durch Taten untermauert wird, sind unsere Demokratien nur eine Lüge - das will uns Brian Moore sagen. Verbrecher, die gestern allmächtige Herren über Leben und Tod waren, dürfen heute nicht ungesühnt davonkommen. Das ist die Botschaft, die unaufgeregt, aber überzeugend vorgetragen wird, nicht ohne Bitternis und mit einem gewissen Zweifel an der Funktionsfähigkeit unserer Staaten. Das geschieht in einem Buch, das weder Thriller noch Aufklärungsschrift ist, sondern ein hochinteressanter Roman von beträchtlichem literarischen Format. Da steht kein Wort zu wenig, keines zu viel und jedes am richtigen Platze.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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