Eine Rezension von Ursula Reinhold


Ein Luftbrückenpilot berichtet

Jack O. Bennett: 40000 Stunden am Himmel
24000 Flüge nach Berlin.

Ullstein Verlag, Berlin 1998, 425 S.

 

Pünktlich zum Jubiläum der Luftbrücke legt der Ullstein Verlag seine Veröffentlichung von 1982, um 60 Seiten Abbildungen ergänzt, erneut vor. Der Lebensbericht des Amerikaners dreht sich vor allem ums Fliegen. Früh war er vom Fliegen besessen, schon als Vierzehnjähriger legte er Flugprüfungen ab, war Entwicklungsingenieur und Testpilot bei United Airlines in Chicago und der US Airforce, Europadirektor der American Oversea Airlines, erster Luftbrückenpilot mit 1000 Flügen, Chefpilot von Pan Am Europa und Beratungsingenieur mehrerer Flugzeughersteller. Der Bericht läßt die charakterlichen Stärken deutlich werden, die für die Ausübung einer solchen Profession notwendig sind.

Nachvollziehbar das Lebensfazit des Autors: „Nachdem ich dreiundsechzig Jahre lang am Knüppel gesessen habe, weiß ich, wie leicht man sterben kann. Ein Pilot muß den brennenden Wunsch in sich spüren zu kämpfen.“ (S. 426) Für den ahnungslosen Passagier zerstört er die Illusion von Sicherheit. Es entsteht ein beeindruckendes Bild von Risiken der Luftfahrt, ihrer Geschichte, von der Einsatzbereitschaft und Kaltblütigkeit der Piloten, aber auch von den menschlichen Schwächen und Unwägbarkeiten zwischen Himmel und Erde. Es gibt wenig Menschliches, was nicht auch im Cockpit passieren kann. Für den zeithistorisch interessierten Fluglaien ist wohl vor allem die Persönlichkeit des vom Fliegen Besessenen von Interesse, der amerikanischen Pioniergeist mit politischer Naivität verbindet. Aufschlußreich dafür sind seine Berichte über seinen von der Rockefeller Stiftung finanzierten Studienaufenthalt im Deutschland der Jahre 1937/38. Die Art und Weise, wie er über die Begegnungen mit Göring, mit Udet, mit führenden Mitarbeitern des Reichsluftfahrtministeriums schreibt, deutet auf geringen Abstand zur Wahrnehmungsfähigkeit des damals jungen, begeisterten Piloten. Auf Grund hartnäckigen Eifers bekommt er schließlich durch Göring die Erlaubnis, deutsche Flugzeuge zu fliegen. Ich gestehe, daß mich die Sprache des euphorisierten Technokraten mitunter gestört hat, aber insgesamt beeindruckt doch die Ehrlichkeit des Berichts. Mit besonderem Interesse las ich die Berichte über die technischen Probleme und Sicherheitsrisiken, die die Luftbrücke heraufbeschwor. Bennett zeigt sich heute davon überzeugt, daß die Luftbrücke ein teurer Fehler war. „Nie hätten wir zulassen dürfen, daß die Unterstützung Berlins solche Summen kostete.“ (S. 210) Er hält noch heute den Vorschlag von General Clay für opportun, einen Panzerdurchstoß über die Autobahnen von der amerikanischen Zone aus zu riskieren. Die damit verbundene Kriegsgefahr hält er für nicht geringer als die Luftbrücke auch. „Falls jemand behaupten sollte, das hätte Krieg bedeuten können, so halte ich dagegen, daß die Russen kein einziges unserer Luftbrücken-Flugzeuge abgeschossen haben. Warum hätten sie dann auf unsere Panzer schießen sollen? Und schließlich wurde auch die Luftbrücke mit einem gewissen Kriegs-Risiko ins Leben gerufen. Ich behaupte außerdem, daß wir großes Glück hatten, daß die Russen im Mai 1949 die Blockade von sich aus beendeten. Wir hatten einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen und hätten Berlin nicht bis in alle Ewigkeit aus der Luft versorgen können.“ (S. 211) Der Zeitzeuge Bennett bestätigt, daß die Russen an einer kriegerischen Zuspitzung der Lage nicht interessiert waren, er bestätigt aber auch das Risiko, das die Amerikaner mit der Errichtung der Luftbrücke eingingen. Er läßt die Unwägbarkeiten politischer Entscheidungen deutlich werden, die sich von heute her, auf beiden Seiten, mehr als abenteuerlich ausnehmen. - Ein Gesichtspunkt, der bei aktuellen Jubiläumsfeiern unerwähnt bleibt. Hier wird der Sieg damaligen Kriegsgeistes gefeiert, obwohl General Clay das amerikanische Außenministerium erst langsam für seine Idee gewann, wie man heute weiß, mit nicht ganz zutreffenden Informationen. Erst langsam ließ er den Plan eines Kommandounternehmens fallen und gewann seine Chefs für die Luftversorgung. Die aktuellen Feiern operieren mit dem Freiheitswillen von 30 000 Berlinern, die sich vor dem Reichstag versammelt hatten. Zusammen mit den übrigen rund 3,5 Millionen Berlinern, die nicht dort waren, wurden sie zu Objekten der Jahrzehnte währenden Spaltung der Stadt, die das durch den Krieg verheerte Berlin für lange Zeit zu einem höchst unwohnlichen Ort machte. Eine andere Politik hätte andere Möglichkeiten eröffnen können, das Beispiel Wien zeigt es, und der Zeitzeuge Bennett bestätigt es, z. T. ungewollt.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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