Eine Rezension von haci-Halil Uslucan


Rortys „Neopragmatismus“

Richard Rorty: Hoffnung statt Erkenntnis

Eine Einführung in die pragmatische Philosophie.
IWM-Vorlesungen zur modernen Philosophie.

Passagen Verlag, Wien 1994, 102 S.

 

Richard Rorty zählt zu den exponiertesten Intellektuellen der USA, dessen Zeitdiagnosen und philosophische Arbeiten auch in Deutschland zu vielfachen Kontroversen geführt haben.

Wie nur wenige versteht es Rorty, eine Brücke zwischen kontinentaler und analytischer Philosophie zu schlagen und einen Vermittlungsdiskurs zu initiieren. In seinem Werk Hoffnung statt Erkenntnis versucht er, eine Einführung in die Philosophie des amerikanischen Pragmatismus zu geben, die sich mehr als eine kreative Neuinterpretation des Pragmatismus präsentiert als eine Diskussion zentraler Topoi des klassischen Pragmatismus eines Peirce, James, Dewey und Mead.

Der Pragmatismus bildet den genuinen amerikanischen Beitrag zur Philosophie, wenngleich der „Urheber“ Charles Sandes Peirce ihn terminologisch auf Kant zurückführt.

Es ist C.S. Peirce gewesen, der um 1870 mit den Aufsätzen „How to make our ideas clear“ und „Fixation of belief“ die Grundsteine des pragmatistischen Denkens gelegt hat. Ausgangspunkt der Peirceschen und der gesamten pragmatistischen Philosophie, zu deren Gründungsvätern neben Peirce der Psychologe W. James, der Soziologe und Sozialpsychologe George Herbert Mead und John Dewey zählen, ist die Einsicht, daß zwischen rationaler Erkenntnis und dem Zweck des Erkennens eine untrennbare Verbindung besteht bzw. daß Erkenntnisse auf praktische Handlungen gerichtet sind.

In der Vorrangigkeit praktischer Fragen vor theoretischen steht der Pragmatismus in einer Traditionslinie, die historisch an Kant anknüpft und nach ihm insbesondere von Wittgenstein fortgeführt wurde. So teilt Peirce mit Kant das Primat der praktischen Vernunft vor der theoretischen.

Im pragmatistischen Denken geht es daher nicht primär um eine korrekte Deduktion von Erkenntnissen aus ersten unbezweifelbaren Prinzipien, sondern die Folgen der Hypothesen sind selbst ein Kriterium ihrer Akzeptabilität, ihrer „Wahrheit“, ihr Index veri et falsi. Es handelt sich somit bei ihren theoretischen Fragen und Antworten nicht um letztbegründete Erkenntnisse, sondern vorrangig geht es darum, der Bedürfnisbefriedigung des Subjekts bzw. der sozialen Gemeinschaft Rechnung zu tragen. Die Antwort auf eine theoretische Frage, die Problem- lösung, muß so beschaffen sein, daß sie die Handlungsblockierung auflöst.

Daher deutet der Neopragmatist Rorty beispielsweise Deweys politisches Denken, seine Philosophie der Demokratie, dahingehend, die im klassischen politischen Diskurs angestrebte Suche nach Erkenntnis durch Hoffnung ersetzen zu wollen.

Im ersten Kapitel diskutiert Rorty den pragmatistischen Wahrheitsbegriff. Hier verteidigt und präzisiert er die Jamessche Gleichsetzung von Wahrheit und Nützlichkeit.

Statt eines ontologischen Status von Begriffen etc. ist die Begriffsdifferenzierung im pragmatistischen Denken an die Handlung gekoppelt: Ein Unterschied in der Begrifflichkeit muß auch einen (praktischen) Unterschied machen.

Im zweiten Teil diskutiert Rorty den „Antiessentialismus“ des Pragmatismus. Er versucht hier auf eine originelle Weise die Idee, ein Ausdruck habe eine Essenz, eine intrinsische Bedeutung, ein Wesen, zu destruieren, indem er optiert, sprachliche Begriffe lediglich relational zu verstehen. Er führt das am Beispiel der Zahl durch. Was ist das Wesen einer Zahl? Sie hat, so Rorty, keine Essenz, kein Wesen, sondern, was wir über sie wissen, wissen wir über das Netz von Beziehungen zu anderen Zahlen.

Im dritten Teil geht Rorty auf die pragmatistische Ethik ein. Der Titel „Eine Ethik ohne allgemeine Pflichten“ verrät, daß es hier um eine Kritik an einer kantianischen Pflichtethik geht. Diesen Abschnitt halte ich für den kontroversesten Teil des Buches, denn Rorty ist hier bestrebt, den Pragmatismus mit der Philosophie Nietzsches und Humes zusammenzuführen. Aber gerade in der politischen Ausrichtung eines Dewey, der als Philosoph der Demokratie in die Geschichte eingegangen ist, und eines Nietzsche mit seinen „Massen“ und Demokratie verachtenden Tendenzen, seinen „Sklaven- und Herrenmoral“-Parolen liegen große und inkompatible Divergenzen.

Ihre Gemeinsamkeit liegt eher in einem epistemologischen als in einem ethischen Diskurs.

Beide üben eine vehemente Kritik an der philosophischen Tradition, beide sind in ihrem Selbstverständnis Antiplatonisten.

Rorty ist aber darin beizupflichten, wenn er die Aufgaben der Ethik statt an einer verallgemeinerbaren Handlungsmaxime an der Sensibilisierung auf menschliches Leid und auf der besseren und vielfältigeren Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, auf einer irdischen Verankerung der Ethik sieht.

„An die Stelle der Kantischen Idee des guten Willens setzen sie die Vorstellung von einem maximal gültigen, sensiblen und mitfühlenden Menschen.“ (S.81)

Rorty hat in früheren Aufsätzen und Monographien immer wieder versucht, die Kluft zwischen kontinentaler und analytischer Philosophie zu schließen, indem er insbesondere den „antidualistischen“ Ansatz in beiden Richtungen hervorhob. Heidegger, Wittgenstein und Dewey betrachtete er, insbesondere in seinem philosophischen Hauptwerk Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie als typische Vertreter einer modernen antiessentialistischen, antisystematischen, antispekulativen und anticartesianischen philosophischen Haltung.

Ihnen dreien sei es gemeinsam - zunächst nach dem „Irrtum“ -, eine „Fundamentalphilosophie“ errichten zu wollen, eine unangreifbare Position finden zu wollen, in ihrem Spätwerk erkannt zu haben, daß dieses Bemühen eine Selbsttäuschung sei und nur weiteres verzweifeltes Festhalten am traditionellen Philosophieverständnis bedeute.

Aber Rorty verzerrt den Pragmatismus, wenn er eine Dichotomie von Hoffnung und Erkenntnis aufmacht; denn gerade der klassische Pragmatismus eines Peirce, Mead und auch zum Teil Deweys haben die Hoffnung auf (wissenschaftliche) Erkenntnis und auf die Verallgemeinerung der wissenschaftlichen Methode, auf die Lebensführung, auf eine praktische Rationalität gesetzt.

In der Privilegierung der wissenschaftlichen Methode gegenüber anderen Strategien der Problemlösung und des Erkenntnisgewinns kann ein wesentlicher Unterschied des klassischen Pragmatismus von Dewey und Mead gegenüber dem „Neopragmatismus“ eines Rorty gesehen werden. Rorty optiert, die Vorrangstellung der wissenschaftlichen Methode als die genuine fallenzulassen.

„Von Peirces, Deweys und Poppers Loblied auf die Wissenschaft bleibt, wie ich an anderer Stelle geltend gemacht habe, keine spezifisch erkenntnisbezogene Strategie übrig, sondern nichts weiter als ein Lob auf bestimmte moralische Tugenden, nämlich die einer offenen Gesellschaft. (...) Wir sollten William James gerade dort beipflichten, wo er anderer Meinung war als Peirce und Dewey, nämlich dort, wo er behauptete, daß sowohl die Wissenschaft als auch die Religion respektable Wege zur Erlangung respektabler Überzeugungen darstellen, auch wenn es sich um Überzeugungen handelt, die ganz verschiedenen Zwecken dienen.“ (S.27)

Rortys Anspruch allerdings, eine Einführung in den Pragmatismus zu geben, ist deshalb einzuschränken: Sein Pragmatismus ist vielmehr als ein Mosaik aus Versatzstücken von James und Dewey zu sehen. An Rorty wäre die Frage zu stellen, warum er bspw. die sozialtheoretischen Schriften eines George Herbert Meads nie erwähnt, warum er den Pragmatismus weitestgehend auf Dewey beschränkt.

Wenngleich dieses Buch keine Einführung in den klassischen Pragmatismus darstellt, ist es doch eine interessante, knappe und gut lesbare Darstellung des „Neopragmatismus“ Richard Rortys.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite