Eine Rezension von Jens Helmig

Politische Geschichte bühnenreif

Friedrich Mickley: Tatort: Volkstheater Rostock

Grenzbericht aus den Anfangsjahren der DDR.

Frieling & Partner, Berlin 1996,

 

„Über die Toten nur Gutes“, lautet ein bekanntes Zitat, das, auf vergangene europäische Staaten angewandt, oftmals in sein neudeutsches Gegenteil verkehrt wird: „Eine Leiche erfüllt immer noch eine wichtige Funktion, da man sie als Jauchegrube verwenden darf.“

Der Verlag Frieling & Partner scheint sich dieses Motto im vorliegenden Falle zu Herzen genommen zu haben. Die im höchsten Grade uninteressante weil kolportagehafte Schilderung einer Grenzverletzung nebst Liquidierung einer flüchtenden DDR-Familie auf dem Weg in den „freien Westen“ zum Abschluß des Buches enthält eigentlich alles, außer stilistischem Können des Autors und einer lektoriellen Feinfühligkeit des erwähnten Herausgebers.

Die Veröffentlichung kann möglicherweise stellvertretend für eine ganze Literaturgattung nach 1989 stehen, die der biographisch motivierten Abwicklungsliteratur. In diesem Fall verwendet der Autor ein hinlänglich bekanntes Motiv der politischen Emigrations- und Widerstandsliteratur. Der der Wahrheit verpflichtete Bühnenkünstler, gerät in Konflikt mit staatlich verordneter Kulturpolitik, da sie diesen in seinem Schaffen behindert. Als Ausweg bleibt nach versuchtem Widerstand nur die Flucht, die mit dem Tode an der - in diesem Fall innerdeutschen - Grenze endet. Vermutlich hat es nicht wenige solcher Fälle tatsächlich gegeben, auch gegen eine autobiographische Bearbeitung eines solches Erlebnisses ist gewiß nichts einzuwenden, einer derartigen Veröffentlichung würde man eine breite Leserschaft wünschen.

Im Falle des Romans „Tatort: Volkstheater Rostock“ fühlt sich der Rezensent jedoch ebenfalls einer Kunst verpflichtet, nämlich der literarischen. Ein sprachliches Kunstwerk besteht bekanntermaßen aus mindestens zwei miteinander organisch verwobenen Einheiten: der inhaltlichen und der sprachlichen. Beide können in Abhängigkeit oder Unabhängigkeit voneinander beurteilt werden. Diese den meisten Lesern selbstverständliche Einsicht scheint manchen Autoren jedoch verborgen. Es genügt nun einmal nicht, einen politisch diffizilen und brisanten Tatbestand in eine tragische Geschichte zu formen und diese im Stil eines Groschenheftes als Literatur zu präsentieren, da nicht zuletzt die Gefahr besteht, durch sprachliche Unangemessenheit den bearbeitenswerten Inhalt zu banalisieren. Der vorliegende Roman mag hierfür als Beispiel dienen, der folgende kurze Auszug kann die stilistischen Mängel illustrieren helfen.

Rolf Konrad, die heimliche und vermutlich biographisch motivierte Hauptfigur des Romans, greift nach eines langen Tagewerks Mühen am Rostocker Volkstheater zu den Pantoffeln bzw. einem Glas Selters, während seine Angetraute auf Seite 1 folgenden spritzigen Dialog zu beginnen glauben muß:

(Sie) „ Hoffentlich kommt der Eismann bald, ich habe statt Eis nur noch kaltes Wasser in der Kiste. Bitte schön!“ (Er) „Wie oft kommt der eigentlich?“ (Sie) „Ist verschieden, ich denke in dieser Woche müßte er kommen.“ (Er) „Wie findest Du übrigens Der stille Don?“ (Sie) „Oh, recht gut, ich bin stärker beeindruckt als vom Doktor Schiwago.“

Es handelt sich hier um eine gnadenlos recherchierte, literarisch verwendete Alltagssituation, die von den meisten Lesern vermutlich häufig erlebt wird. Gespräche über Literatur werden zu Hause geführt, sie ereilen einen unvermittelt, in heimeliger Atmosphäre, das Selters in der Hand. Man bekommt beinahe den Eindruck, das Gespräch über den Eismann motivierte den Autor zu seinen Äußerungen über einen Roman, dessen Geschehen in weiten Teilen ebenfalls in verschneiter Landschaft angesiedelt ist. Die nicht uninteressante Frage, warum der Roman Scholochows dem Pasternaks vorgezogen wird, muß sich der Leser aus der lapidaren Bemerkung, „weil er so verdammt gut ist“, selbst beantworten.

Der mißglückte Stil der Prosa kann möglicherweise aus der Biographie des Autors erklärt werden. Wie dem Umschlagstext zu entnehmen ist, hat Herr Mickley als Regisseur und Schauspieler gearbeitet, daß die Literatur eines Theatermannes zu einer ausgesprochenen Dialogverliebtheit tendiert, liegt auf der Hand. Die Komposition stimmt jedoch insofern nicht, da die Figuren ihre Äußerungen nicht oder kaum reflektieren. Da es neben dem Zwiegespräch auch die literarische Technik des inneren Monologes gibt und diese Tatsache bekannt sein dürfte, stellt sich der Leser sicherlich die Frage, warum sie dem Autor offenbar fremd ist, zumindest findet sie keine Anwendung. Die wenigen erzählerischen Einsprengsel wirken stets blaß und scheinen zum Teil später in den Dialogfluß eingefügt.

„Neugierig blickte Uli an der Mutter vorbei, als die Kartenlegerin, eine untersetzte, kräftige, fünfzigjährige Frau, mit einem wesentlich jüngeren, dunkelhaarigen, drahtigen Mann - offenbar der Geliebte, mutmaßte Rolf - in die Wohnung geschlurft kam. Irgendwie stimmt das Erscheinungsbild, konstatierte Konrad und begrüßte sie und ihren Begleiter.“

Die aufgesetzt kontrastierenden Attribute, mit denen die zwei Figuren in den Erzählfluß eingeführt werden, stellen eine typische stilistische Schwäche von Herrn Mickleys Prosa dar. Im übrigen bleibt auch unklar, was genau als ein typisches Erscheinungsbild für wen oder wofür empfunden wird. Was das Buch inhaltlich interessant macht, sind die nicht geringen Sachkenntnisse des Autors in bezug auf die Theaterarbeit, besonders unter den erwähnten schwierigen Bedingungen. Theaterinteressierte Leser mögen in dieser Hinsicht durchaus auf ihre Kosten kommen. Auch die Auseinandersetzung mit den Handlungsoptionen eines Soldaten in einem totalitären Regime, die Hauptfigur ist ein ehemaliger Wehrmachtsoffizier, sind reflektiert und wirken ehrlich. Das Buch unternimmt darüber hinaus den durchaus lobenswerten Versuch, die Rolle des Künstlers und dessen gesellschaftliche Verantwortung am Beispiel darzustellen und zu diskutieren. Die Hauptkritikpunkte bleiben jedoch die unübersehbaren stilistischen Schwächen bei der Dialogführung und die plakative bis stereotype Figurengestaltung.

Abschließend soll an dieser Stelle noch eine Anregung an den Verlag Frieling ausgesprochen werden, selbst wenn diese vielen Lesern vielleicht banal erscheint. Bücher bestehen nicht nur aus zusammengebundenem Papier. Sie sind Objekte von eigenem Charme und ästhetischer Formbarkeit. Bei der Titelgestaltung von Herrn Mickleys Roman sind diese Möglichkeiten nicht verwirklicht worden. Der reißerische Titel, der zudem mit dem sachlich wirkenden Beisatz „Grenzbericht aus den Anfangsjahren der DDR“ nicht recht harmoniert, spricht den Leser ebensowenig an wie die wenig Begeisterung zeigende Inhaltsangabe. Im übrigen möchte der Käufer sicher Aufklärung in bezug auf eine hier verwendete, eigentümliche Formulierung: „Das Buch stellt eine beeindruckende Aufarbeitung bewußt erlebter deutscher Geschichte dar.“

Man wüßte schon ganz gern, wie Geschichte unbewußt erlebt werden kann.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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