Eine Rezension von Horst Wagner

Porträts von Biermann bis Bisky

Birgit Lahann: Geliebte Zone Geschichten aus dem neuen Deutschland.

Mit Fotos von Ute Mahler.

Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1997, 351 S.

 

Manche in den letzten Jahren von westdeutschen Autoren zum Thema „Ossis“ und DDR-Vergangenheit herausgekommenen Bücher schienen mir nach der Safari-Park-Methode verfaßt zu sein: Flüchtige Eindrücke von exotischen Wesen in einer fremden Welt. Beim vorliegenden Band der „Stern“-Autorin Birgit Lahann ist das anders. Hier spürt man Nähe und Kenntnis. Von einigen Unschönheiten abgesehen - auf die noch einzugehen sein wird - dürfte der von Thomas Brussig, selbst ostdeutscher Bestseller-Autor, in seinem Vorwort geäußerte Wunsch, es möge doch eine Reporterin geben, die „in diesem ganzen Schlamassel unverwechselbare Reportagen und eindringliche Porträts zu schreiben“ versteht, in Erfüllung gegangen sein.

Geliebte Zone - der Titel mag andeuten, daß es um Leute geht, die dieses immer seltener Zone genannte Land DDR irgendwann und irgendwie geliebt haben. Bei dem einen ist die Liebe in Haß oder Feindschaft umgeschlagen, bei anderen in Gleichgültigkeit oder kritische Distanz, bei dritten in Verklärung der Vergangenheit. Bei einigen schließlich wuchs Liebe sogar erst, als es das Land nicht mehr gab. Ob dieser deutsche Osten nun wirklich, wie im Untertitel behauptet, das „neue Deutschland“ geworden ist, bzw. ob das von den Porträtierten oder von der Autorin so gesehen wird, bleibt fraglich. Die 36 porträt- oder reportagehaften Geschichten (einige der Porträtierten kommen in ihnen mehrmals vor) umfassen den ausgebürgerten Liedermacher Wolf Biermann und den als Stachel im Fleisch der DDR gebliebenen Schriftsteller Stefan Heym ebenso wie den DDR-Schriftstellerverbands-Präsidenten Hermann Kant; die einst mit einem Politbüro-Mitglied verheiratete Theatermacherin Vera Oelschlegel wie die Tattoo-Malerin Yvonne aus der alternativen Szene; den nach der Wende wie ein Star aufgestiegenen, schon als Ministerpräsidenten gehandelten, aber ebenso schnell abgestürzten Ibrahim Böhme ebenso wie abgewickelte DDR-Diplomaten; die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley ebenso wie die - hier so bezeichneten - „Meinungsmacher der PDS“ von André Brie bis Sahra Wagenknecht.

Charakteristisch für die Schilderungen sind Vielfarbigkeit, überraschende Abschweifungen, ungewöhnliche Pointen. Spannend wie ein Krimi beschrieben ist die Verhaftung von Jürgen Fuchs im Auto von Robert Havemann. Köstlich zu lesen, wie Heiner Müller unter Helene Weigels Anleitung eine Selbstkritik schreiben mußte, präzise beobachtet seine Theaterarbeit, ergreifend geschildert seine letzten Lebenstage und die Trauer um den großen Dramatiker. Amüsant die Story um die Aufführung von Hochhuths „Wessis in Weimar“. Von Sachkenntnis und Einfühlungsvermögen zeugt das Gruppenporträt von Bernhard Heisig, seiner Frau Gudrun und seinem Sohn Johannes. Detailreich und differenziert die Schilderung des sonst eher geschmähten Gregor Gysi. Selten habe ich auch ein so glaubhaftes, menschlich nahes Porträt über Lothar Bisky gelesen wie hier. Um so erstaunlicher, wie schlecht dagegen Günter Gaus wegkommt, zu dem kritiklos aus Stasibeobachtungen zitiert und dem übelgenommen wird, daß er als BRD-Vertreter in der DDR guten Kontakt zu den damals Herrschenden suchte und auch heute noch im untergegangenen Staat nicht nur Schlechtes zu sehen vermag. Völlig bedenkenlos wird die Stasikeule gegen den Theologieprofessor und ersten Nachwenderektor der Humboldt-Universität Heinrich Fink geschwungen, von dessen Persönlichkeit und Leistung so gut wie nichts übrig bleibt in diesem sogenannten Porträt. Zwei Beispiele, die leider den Gesamteindruck eines erfreulich differenzierten und gut zu lesenden Buches stören.

Bedauerlich auch, daß sich so viele sachliche Ungereimtheiten eingeschlichen haben. Hat Birgit Lahann den Müggel- mit dem Dämeritzsee verwechselt, wenn sie schreibt, daß er bei Erkner liegt (S. 18). Rudow liegt bekanntlich nicht „am Ende von Ostberlin“ (S. 46), sondern hat schon immer zum Westberliner Bezirk Neukölln gehört. Gemeint sein dürfte also die Rudower Chaussee in Adlershof, wo die Autorin in einer „leergefegten Stasikaserne“ Vera Oelschlegel und Hans-Peter Minetti bei Proben beobachtet. Mit dem Reichsparteidienst, den Heiner Müller kurz vor Kriegsende absolvieren mußte (S. 78), ist wohl der Reichsarbeitsdienst gemeint. Der „Sputnik“ war auch nicht die Jugendzeitschrift der DDR (S. 87), sondern eine Art „Readers Digest“ aus der Sowjetunion, der Ende 1988 auf Weisung Honeckers verboten wurde, weil er zu viel in Richtung Glasnost schrieb. Und „Lutetia von Tucholsky“ (S. 286)? Mir ist diese „ambivalente Bejahung des Kommunismus“ nur aus der Feder von Heinrich Heine bekannt. Schade schließlich, daß es keine Angaben gibt, in welchem Jahr die einzelnen Beiträge entstanden sind. Es würde manchen Beobachtungswinkel verständlicher machen. Lob ohne Einschränkung verdienen dagegen die unkonventionellen Fotos der auch schon zu DDR-Zeiten erfolgreichen Ute Mahler, beginnend mit dem schönen, neugierig machenden Titelbild: die junge Schauspielerin Sophie Rois, aus Linz zugewanderte Neu-Ostdeutsche, auf dem Dach der Berliner Volksbühne.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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