Eine Rezension von Herbert Mayer

Ein vernachlässigtes Kapitel der Frauenbewegung

Florence Hervé: „Wir fühlten uns frei.“

Deutsche und französische Frauen im Widerstand.

Klartext-Verlag, Essen 1997, 190 S.

 

Die Autorin, eine seit Jahren in Deutschland lebende französische Germanistin und ausgewiesene Wissenschaftlerin zur Frauenbewegung, befaßt sich mit einem bisher in Forschung und Publizistik nicht behandelten Thema. Zur Résistance und zum deutschen Widerstand gibt es eine Vielzahl von Forschungsergebnissen und Publikationen, doch ein Vergleich fehlt. Die historisch-komparative Anlage des Bandes verspricht daher schon durch das methodologische Herangehen Neues.

Hervé gliedert ihre Darstellung in fünf Abschnitte. In den beiden ersten Kapiteln behandelt sie das Wirken von Frauen in der Résistance bzw. im deutschen Widerstand und im dritten die Darstellung in der Literatur. Der vierte Abschnitt „Freiheit oder Pflicht“ versucht einen Vergleich zwischen deutschen und französischen Frauen im Widerstand. Der letzte Abschnitt umreißt ein „feministisches“ Thema: „Der Einfluß der Geschichte, der gesellschaftlichen Verhältnisse, der patriarchalischen Strukturen und der Frauenbewegungen“. Anmerkungen, Bibliographie und Personenregister ergänzen den Band. Die Autorin verdeutlicht mit ihrer Schilderung die Vielfalt der Teilnahme deutscher und französischer Frauen an der antifaschistischen Widerstandsbewegung ihrer Länder. Der Bogen spannt sich von der zufälligen Hilfeleistung bis zum risikovollen Einsatz des eigenen Lebens; Frauen haben sich an allen Aktionsformen des Widerstands beteiligt und Verantwortung übernommen. Französische Frauen waren in den verschiedensten Résistance-Bewegungen vertreten: z. B. im Combat, in der Libération, in der FTP (Freischärler und Partisanen) oder der gaullistischen Alliance. Auch in Deutschland beteiligten sich Frauen an vielfältigen Arten des Widerstands: in Arbeiterorganisationen, im christlichen Widerstand, in überparteilichen Widerstandsgruppen, in der Gruppe des 20. Juli. Für beide Länder ist es unmöglich, genaue Zahlen anzugeben; von einander abweichende Schätzungen geben den Frauenanteil etwa mit 10 bis 20 Prozent an, wahrscheinlich liegt er darüber. Unerklärlich bleibt bei der Thematik des Bandes, daß die Autorin einen Bereich fast völlig ausgeklammert: die Teilnahme deutscher Frauen an der französischen Résistance (auch die TA - Deutsche Arbeit - wird nur am Rande erwähnt).

Der dritte Abschnitt ist nicht unproblematisch: Es wird zwar herausgearbeitet, daß die Darstellung des Widerstands in der Bundesrepublik und der DDR inhaltlich und in der Schwerpunktsetzung nicht gleichartig verlief, oft ist aber mißverständlich im Vergleich nur „von beiden Ländern“, bezogen auf Frankreich und Deutschland, die Rede. Die Rezeption des Widerstands insgesamt „verläuft nicht kontinuierlich und gleichmäßig; sie ist in beiden Ländern der jeweiligen Politik, dem Zustand der Bewegungen und der Bewußtseinsentwicklung ausgesetzt“. (S. 88) Für beide Länder gelte allgemein, daß der Frauenwiderstand in keiner Weise entsprechend seiner wirklichen Rolle in der Literatur Berücksichtigung fand und findet. In Frankreich (bis etwa 1968) erfolgte eine Idealisierung der Résistance und eine Verdrängung des Vichy-Regimes und der Kollaboration, erst die 68er Bewegung habe diese in Frage gestellt.

In der Bundesrepublik wird der Widerstand zunächst totgeschwiegen, nur zögernd akzeptiert und dabei auf den militärischen Widerstand des Kreises um den 20. Juli eingeengt. Auch hier findet Ende der 60er Jahre eine Neubewertung statt. Erstmals wird nun in den Richtlinien für den Unterricht in der Schule der Widerstand berücksichtigt! In der DDR erfolgte eine Heroisierung des antifaschistischen Widerstands, im Zentrum stand die Arbeiterbewegung, der kommunistische Widerstand wurde breit behandelt, hingegen unorganisierte Widerstandsformen und resistives Verhalten vernachlässigt.

Der vierte und fünfte Abschnitt, quantitativ zwar nicht die umfangreichsten, bilden ein Kernstück des Bandes, hier kommt der wissenschaftliche Zugewinn am deutlichsten zum Ausdruck. Sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede in Motivation, in den Zielen und Wirkungen des von Frauen geleisteten Widerstands in Deutschland und Frankreich werden sichtbar. Sie sind zum Teil mit denen des „Männerwiderstands“ identisch. Der Widerstand richtete sich gegen ein unmenschliches, menschenverachtendes Regime, woraus sich seine politische und moralische Berechtigung ableitet. Während die französische Résistance eine erfolgreiche Massenbewegung war, scheiterte der deutsche Widerstand und hat keine Massenbasis gefunden. Indem die Résistance eine feindliche Macht, eine Okkupantenarmee, bekämpfte, verteidigte sie zugleich ihre Heimat. Die deutschen Widerständler hingegen bekämpften die Regierung und ihre Träger im Lande, unterlagen somit dem Verdacht des Verrats. Die Rezeption des Frauenwiderstands entspreche der des Widerstands insgesamt. Die Autorin konstatiert eine Unterschätzung des Frauenwiderstands, so seien bei namentlichen Erwähnungen nur 2 bis 3 Prozent der Genannten Frauen. In beiden Ländern fehlt bis heute eine umfassende systematische Darstellung zum Frauenwiderstand. Die parallele Darstellung der Beteiligung und Rolle der Frauen im Widerstand und in der Résistance verdeutliche aber, daß bei vielen Gemeinsamkeiten Unterschiede bestehen. So waren die Voraussetzungen und Methoden in beiden Ländern verschieden, die Motive und das Herkunftsmilieu weisen hingegen Ähnlichkeiten auf. Die unterschiedlichen Bedingungen, die geschichtlichen, sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Entwicklungen sowie die unterschiedliche Situation prägten in beiden Ländern den Widerstand (Motive, Identität, Beteiligung, Aktionsformen). Daher seien Umfang und Art der Teilnahme am Widerstand und der Zeitraum unterschiedlich. In Deutschland war der Anteil der Frauen am Widerstand schwach, während in Frankreich viele Frauen in irgendeiner Form Widerstand leisteten. In Frankreich gab es im Unterschied zu Deutschland eigenständige Frauengruppen, die Frauenwiderstand organisierten und Zeitungen herausgaben. In beiden Ländern waren Frauen in Leitungsgremien des Widerstands völlig unterrepräsentiert. Kennzeichnend sei die Vielfalt von Bedingungen und Motiven für den Frauenwiderstand, die sich nicht auf ein bestimmtes Motiv (z. B. Sozialisation, Erziehung, Familie, Freundeskreis, Erwerbstätigkeit, politische Zugehörigkeit und weltanschauliche Überzeugung) reduzieren lassen. Nach dem Kriege nahmen Französinnen in der Gesellschaft eine bedeutendere Stellung ein als die deutschen Frauen, die sich oft aus dem Beruf zurück in die Familien drängen ließen, erst die neue Frauenbewegung Jahrzehnte später habe das traditionelle Rollenschema grundsätzlich in Frage gestellt.


© Edition Luisenstadt, 1998
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