Eine Rezension von Bernd Heimberger

Paroli - pointiert

Ursula Höntsch: Wir brauchen nicht den Westen

Heiteres aus einer Deutschen Problematischen Republik.

Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum 1997, 207 S.

 

Sagen wir mal so: Auguste hat immer ’ne dicke Lippe riskiert! Sie hat die Schnauze nicht halten können. Sie hat sich das Maul zerrissen und doch nie um Kopf und Kragen geredet. Aujuste is ’ne Type! würde der Berliner sagen. Mit der Schlagfertigkeit der Berliner kann sie es in jeder Stunde und Hinsicht aufnehmen. Auguste Hönow hat den widerstandsfähigen, zum Widerstand fähigen Schädel einer Schlesierin. Stolz erhobenen Hauptes ist sie gut über sämtliche Wege sämtlicher Wendezeiten gekommen. 1945 hat sie die Russen kommen und 1994 gehen sehen. Manches sah sie anders kommen, als den Menschen zwar nicht der Himmel auf Erden, aber doch das Arbeiterund-Bauern-Paradies versprochen wurde und schließlich blühende Landschaften, als sich das Auto-und-Bier-Paradies etablierte. Auguste machte immer ihre „Muppe“ auf und bot pointiert Paroli - „wie mir Schlesinger sein, mir räden und räden ...“ Frei und frisch von der Leber weg. Dem Gewissen und nichts als dem Gewissen gehorchend. Um der Gerechtigkeit willen. Gemäß dem unumstößlichen Motto: „... fier tumm gehaln zu wern ies nich a su schlimm wie fier tumma verkooft zu wern.“

Ja, Auguste ist eine Type! Auguste Hönow ist ein Original. Zumindest in der Literatur. Ein Original, wie sich schon lange keines mehr in der deutschsprachigen Literatur sehen ließ. Eingeführt wurde Auguste von der Schriftstellerin Ursula Höntsch. 116mal müssen die Leser Mutter Hönows Sprüche über sich ergehen lassen. Den ersten, zweiten, dritten Spruch genossen, fällt’s einem schwer, sich den nächsten, die nächsten entgehen zu lassen. Man bekommt lange Ohren und Stielaugen, wenn in dem 116seitigen Nummernkabarett ein halbes Jahrhundert deutscher, betont SBZ-DDR-deutscher Geschichte auf die Bühne gebracht wird, durch das Auguste führt, nicht im Kleid einer schlesischen Landpomeranze, sondern im Kostüm des spitzbübischen Schwejk. Die Szenen aus der DDR, der einzigen, schönsten, größten, erinnern daran, wie gern in dem Land gelacht wurde. In Ursula Höntschs Buch Wir brauchen nicht den Westen. Heiteres aus einer Deutschen Problematischen Republik wird eine Gesellschaft lachend abserviert. 116 Pointen zünden ein Pointenfeuerwerk, das die Probleme erhellend illuminiert. Einige Pointen erinnern an einige in Varianten aufgetauchte Witze. Die Phantasie der DDR-Bürger kannte keine Grenzen, und die Freiheit ihrer Phantasie reichte ans Phantastische. Wir brauchen nicht den Westen ist eine gewitzte, ernstgemeinte unernste Geschichte der DDR. Zum Heulen und Lachen. Zum nachsichtigen Schmunzeln. Zum Lästern. Ungeeignet fürs Gähnen. Sagen wir mal so: Auguste läßt keine Langeweile aufkommen. Nicht Sprecherin einer trotzigen Landsmannschaft, spricht sie mannhaft aus, was Last, Lustlosigkeit, Lächer lichkeit, Lähmung eines Landes ausmachten, das vierzigjährig verschied. Solche Augusten gab’s genug in der DDR. Daß jedoch ein schlesisches Mundwerk die Genossen dialektisches Denken lehrte, ist eine listige literarische Erfindung.

Auguste Hönow ist eine Figur der Worte, die beim Wort genommen werden kann und sprichwörtlich werden könnte. Wenn sie ihren 117. Spruch losläßt. Abwarten und auf alles gefaßt sein!


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite