Eine Rezension von Max Klausner

Ein seltsamer SPD-Rapport

Siegmar Schelling/Michael J. Inacker:

Was ist los mit der SPD?

Besorgte Sozialdemokraten melden sich zu Wort.

Ullstein Buchverlag, Berlin 1996, 160 S.

 

Soll so Wahlpropaganda für die SPD aussehen? Auf dem Titelbild die drei Strahlemänner Oskar Lafontaine links, Rudolf Scharping in der Mitte und Gerhard Schröder rechts unter Hochglanz, auf der Rückseite unübersehbar diese Sätze: „Die SPD befindet sich in einer tiefgreifenden Krise. Anstatt schlagkräftige Oppositionspolitik zu machen, ist sie personell und programmatisch zerstritten. Führende Sozialdemokraten nehmen Stellung zum Zustand ihrer Partei.“

Das Schwanken zwischen - in vielem eher nebulösen - Optimismus, daß die SPD im Wahljahr 1998 ihr Ziel schon schaffen werde, und der Beschreibung ihrer tiefen Krisensymptome prägen dieses Buch von der ersten bis zur letzten Seite. „Seit dem Bruch der sozialliberalen Koalition im Jahr 1982 steht die Sozialdemokratische Partei Deutschlands in Bonn ununterbrochen in der Opposition. Ihre Mitgliederzahl sinkt, junge Leute wenden sich von ihr ab, und vor allem in den neuen Bundesländern faßt die Partei nur schwer Fuß. Was ist los mit der SPD?“ (S. 8)

An den Autoren dieses Buches und deren Vorgehen liegt es gewiß nicht, daß sich die SPD in „einer tiefgreifenden Krise“ befindet: Siegmar Schelling und Michael J. Inacker hatten zuerst eine fundierte Serie über sozialdemokratische Politik und deren Aussichten im Vorfeld der Bundestagswahl 1998 für „Welt am Sonntag“ erarbeitet, die bundesweit ein großes Echo auslöste und dann zu diesem Buch erweitert wurde. Anstatt - wie viele von ihr erwarten - schlagkräftige Oppositionspolitik zu betreiben, ist sie personell und programmatisch zerstritten, war ihre wichtigste Erkenntnis in einer geradezu messerscharfen, knapp dreißigseitigen Analyse unter der Überschrift „SPD in der Krise - Von der Schwäche einer Volkspartei und den Folgen für die deutsche Politik“. „Die Aura der fortschrittlichen Reformpartei, die in den siebziger Jahren das Bild der SPD prägte, ist geradezu dramatisch verfallen ...“ (S. 16) „Die SPD hat nicht nur für die Jungen keine Botschaft gefunden. Sie steht ohne große, von der Bevölkerung nachvollziehbare Themen da, wie sie einst einen Willy Brandt mit der Ostpolitik, mit seinem Wort ,Mehr Demokratie wagen‘... zum Sieg trugen“ (S. 18), lauten weitere, geradezu deprimierende Analyse-Urteile von Schelling und Inacker.

Manfred Teschner, Soziologie-Professor und einer der bedeutendsten Gesellschaftstheoretiker der SPD, ergänzt in seinem Beitrag „Partei im Spagat - Eine Bestandsaufnahme zum Wandel der deutschen Sozialdemokratie“: „Die wichtigsten krisenhaften Erscheinungen und Defizite der Sozialdemokratie lassen sich leicht benennen. Drei gravierende Problemkreise springen sofort ins Auge: eine geschrumpfte Wählerbasis; massive und schwer zu lösende Mitgliederprobleme; wachsende Schwierigkeiten eines gemeinsamen politischen Selbstverständnisses.“ (S. 38)

In kleineren Beiträgen von 4-6 Seiten nehmen 17 bekannte Sozialdemokraten, meist Politiker oder Wissenschaftler, zu Teilaspekten und -problemen der SPD Stellung: Klaus von Dohnanyi, Hans Apel, Hartmut Soell, Friedhelm Farthmann, Georg Kronawitter, Peter Glotz, Peter von Oertzen, Hermann Rappe, Klaus August Winkler, Joachim Becker, Erhard Eppler, Manfred Lahnstein, Johano Strasser, Hans Koschnick, Elke Leonhard, Heinrich Potthoff und Herta Däubler-Gmelin. Diese Beiträge - oft subjektiv gefärbt, zumeist auf der Basis großer parteipolitischer Erfahrungen entstanden - geben dem Buch viel Würze. Ein Auszug aus dem Grundsatzprogramm Sozialdemokratische Partei Deutschlands, verabschiedet in Berlin 1989, mehrere Tabellen und Schaubilder über die SPD und andere Parteien der Bundesrepublik sowie Anmerkungen über die Autoren vervollständigen das Ganze.

Herta Däubler-Gmelin betitelt ihren Beitrag, eine Art von Bilanz, „Historischer Auftrag - Warum die SPD erfunden werden müßte, wenn es sie nicht schon gäbe“. „Ich fand am interessantesten, daß alle Beiträge zeigen: Die Erwartungen an die SPD sind hoch. Von ihr wird mehr verlangt und anderes erwartet als von den anderen Parteien, die heute in der Politik der Bundesrepublik agieren. Das ist ihre Chance.“ (S. 124) Diese Worte sind geistreich gewählt - sicher, ob sie als Chance für einen sozialdemokratischen Sieg bei den Bundestagswahlen 1998 ausreichen, wird sich erweisen müssen.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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