Eine Rezension von Ferdinand Zimmer

Wissenschaft zwischen Fakten und Werturteil

Johannes Klotz (Hrsg.):

Zwangsvereinigung? Zur Debatte über den Zusammenschluß von SPD und KPD 1946 in Ostdeutschland.

Distel Verlag, Heilbronn 1996, 128 S.

 

50 Jahre nach der Vereinigung von SPD und KPD in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands spitzte sich die Beurteilung dieses historischen Ereignisses erneut auf die Frage zu: Handelte es sich um eine Zwangsvereinigung oder nicht? Der vorliegende Sammelband versucht, Anregungen für die Meinungsbildung zu dieser Frage zu geben. Für die namhaften Autoren ist eigentlich das Fragezeichen im Buchtitel überflüssig - da sie die aufgeworfene Frage jedoch bejahen oder verneinen, bleibt es für den Leser letztlich bestehen.

Der Historiker und Pädagoge Ulrich Schneider, Kassel, analysiert die Vereinigungsbestrebungen in der Arbeiterbewegung in den Westzonen nach 1945. Die Erfahrungen aus der faschistischen Zeit und die Bewältigung der anstehenden Aufgaben im Nachkriegsdeutschland waren wesentliche Grundlagen dieser Bestrebungen. Diese scheiterten jedoch durch die Rolle der westlichen Besatzungsmächte, durch die Haltung von Teilen der Sozialdemokratie (insbesondere durch das Büro Schumacher) und durch noch vorhandene sektiererische Tendenzen in der KPD.

Die Geschichtsprofessorin Helga Grebing, Leiterin des Instituts zur Erforschung der europäischen Arbeiterbewegung und stellvertretende Vorsitzende der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD, untersucht Probleme einer Neubestimmung demokratisch-sozialistischer Politik nach 1945. Für sie ist die SPD keine Neu- oder Wiedergründung einer Partei, sondern „die legale Wiederaufnahme einer 12 Jahre lang verboten gewesenen politischen Tätigkeit“ (S. 27). Bei allem Vorrang des selbständigen Aufbaus der Sozialdemokratie gab es eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten, an deren Stelle im Westen die strikte Abgrenzung trat, während sie im Osten durch „Lug, Trug, Gewalt, Bedrohung, Gängelung, Zensur, Täuschungen und Mißbrauch“ (S. 28) der Kommunisten zur Vereinigung von SPD und KPD führte.

Die wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Sozialgeschichte (Braunschweig/Bonn) und Privatdozentin an der TH Darmstadt, Beatrix Bouvier, beschreibt die Folgen der Zwangsvereinigung (ohne Fragezeichen!) für die Sozialdemokratie. Sie wäre dadurch gespalten worden. Damit hätten die Kommunisten ihr bereits in Moskau erarbeitetes strategisches Ziel (die Ausschaltung der Sozialdemokratie) im Osten erreicht.

Der freiberufliche Historiker Andreas Malycha, Berlin, legt die Ergebnisse neuester Archivstudien vor. Von April bis September 1945 gab es eine Bereitschaft bei den Sozialdemokraten, mit den Kommunisten zu kooperieren, an deren Stelle jedoch sehr bald Ernüchterung und Desillusionierung traten, weil die KPD gegen eine Gleichstellung der sozialdemokratischen Ansprüche war. Von Oktober bis Dezember 1945 trat in der SPD der Drang nach Profilierung und Verselbständigung hervor. „... die Betonung eines Führungsanspruchs der SPD veranlaßte die KPD zu einem radikalen Kurswechsel“ (S. 45). Zunächst gegen die sofortige Bildung einer Einheitspartei, setzte sie sich nunmehr für die baldmöglichste Vereinigung beider Parteien ein. Die Haltung zu dieser Vereinigung wurde für die Kommunisten zum „alleinigen Maßstab für die Einteilung in linke und rechte Sozialdemokraten“ (S.45). Seit November 1945 schaltete sich auch die sowjetische Besatzungsmacht direkt in den Vereinigungsprozeß ein. Der Handlungsspielraum der SPD wurde auf diese Weise erheblich eingeschränkt. Von Januar bis April 1946 wurde die Kampagne zum Zusammenschluß beider Parteien intensiviert. Dennoch blieb die große Mehrheit der Sozialdemokraten den Kommunisten gegenüber skeptisch. „Diese Mehrheit betrachtete den Zusammenschluß als längerwährenden gesamtdeutschen Prozeß, in dem gegenseitiges Mißtrauen abgebaut werden müßte und die Kommunisten den Nachweis zu erbringen hätten, daß sie gewillt sind, die Regeln der parlamentarischen und innerparteilichen Demokratie auf Dauer zu respektieren.“ (S. 48) Letztlich erschien der Weg in die Einheitspartei doch noch erträglicher, weil offensichtlich wurde, daß die SPD nicht mehr ungestört fortexistieren konnte. Dabei spielten auch Illusionen eine Rolle, in der Einheitspartei das Übergewicht zu erlangen.

Wenn der Leser nach dieser Analyse eine Bejahung des Zusammenschlusses der beiden Parteien als Zwangsvereinigung erwartet, dann muß er feststellen, daß der Autor diesen Begriff jedoch nicht verwendet. Er schließt seinen Beitrag mit der Bemerkung: „Vielmehr scheint es methodisch und theoretisch angebracht, sozialpsychologisch relevante Indikatoren zu suchen, um Antworten zu finden.“ (S. 53)

Dagegen wirft Günter Benser, ebenfalls freiberuflicher Historiker, Berlin, unmißverständlich die Frage auf: „Was passiert, wenn der Zusammenschluß von KPD und SPD auf bloße Zwangsvereinigung eingeschrumpft wird?“ (S. 54) Es wird übersehen, daß die politische Hauptscheidelinie zwischen Nazis und Antinazis und nicht innerhalb der Arbeiterbewegung verlief. Die Frage, was aus Deutschland werden soll, wird nicht als übergeordnete angesehen. Es werden Wertungen späterer Zeit in die Geschichte zurückprojiziert. Die Sozialdemokraten können nicht nur als ein bloßes Objekt angesehen werden. Eine weitere Folge ist die Reduzierung des Vereinigungsprozesses in erster Linie auf die Funktionäre. Die ausschließliche Bejahung oder Verneinung einer Zwangsvereinigung führt seiner Auffassung nach fast immer zu einer selektiven Quellenauswahl. Die spätere Entwicklung der SED wird zumeist aus sich selbst heraus erklärt. Das Umfeld, in dem die Partei wirkte, bleibt somit oft unberücksichtigt. Die Kritik des Autors kulminiert schließlich in der Feststellung: „Tatsächlich aber wird Geschichte benutzt, um heutige Kämpfe auszutragen und gegenwärtige politische Optionen oder Verweigerungen historisch zu begründen.“ (S. 64)

Weitere Beiträge befassen sich mit zwei Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung, dem Kommunisten Anton Ackermann und dem Sozialdemokraten Otto Grotewohl. Jürgen Hofmann, Professor für Geschichte der Arbeiterbewegung, Berlin, gewichtet am Beispiel Ackermanns die Möglichkeiten in der SED für einen demokratischen Weg zum Sozialismus. Seine Ausschaltung aus der Führungsarbeit der Partei bezeugt die Unausführbarkeit derartiger Überlegungen.

Wolfgang Triebel, Professor für Politikwissenschaft, Berlin, behandelt Grotewohls Vorstellungen zur Nachkriegsentwicklung in Deutschland. Er gesteht ihm gesellschaftspolitische Weitsicht zu und konstatiert, daß seine Erkenntnis der Unabdingbarkeit einer Zusammenarbeit aller Sozialisten das wichtigste Vermächtnis sei, das Grotewohl hinterlassen habe.

Der abschließende Beitrag des Herausgebers Johannes Klotz, Hochschule für öffentliche Verwaltung, Bremen, versucht, ein wissenschaftliches Resümee zwischen den dargelegten Fakten und Werturteilen zu ziehen. Dabei beanstandet er, daß in den Medien „oft genug die Ebenen von Fakten und Interpretationen vermischt“ (S. 87) wurden. Wertungen dürften nicht am Beginn einer Analyse stehen.

Die Frage, ob der Terminus „Zwangsvereinigung“ das Wesentliche des Vereinigungsprozesses charakterisiert, beantwortet er selbst nicht, sondern überläßt es dem Leser, sich hierzu eine Meinung zu bilden. Diesem Zweck dienen auch eine Reihe von Dokumenten, eine Zeittafel und weiterführende Literaturhinweise, die den Anhang bilden.

Letztlich bleibt festzustellen, daß das Buch eine Vielfalt von Ansichten reflektiert, wenngleich ein gewisser Mangel darin bestehen dürfte, daß die einzelnen Beiträge nebeneinanderstehen, die Autoren aber nicht aufeinander eingehen. Dessenungeachtet handelt es sich um einen höchst informativen und anregenden Beitrag zu einer Debatte, deren Ende nicht abzusehen ist.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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