Eine Rezension von Eva Kaufmann

Genauigkeit und Respekt

Birgit Dahlke:

Papierboot: Autorinnen aus der DDR - inoffiziell publiziert

Königshausen und Neumann, Würzburg 1997, 386 S.

 

Das Buch behandelt in der Hauptsache die Frage, warum Autorinnen in den inoffiziellen literarischen Zeitschriften, die in den 80er Jahren in der DDR entstanden, so spärlich vertreten waren und überdies in den Jahren nach 1989 in wissenschaftlichen und feuilletonistischen Darstellungen der „subkulturellen Szene“ weitgehend unterschlagen werden. Von der Kernfrage aus baut Birgit Dahlke ihr Thema nach verschiedenen Seiten hin aus, erörtert unter anderem, welche Rolle Schriftstellerinnen der älteren Generation in der DDR in den 70er und 80er Jahren gespielt hatten, wie sich die junge Generation schreibender Frauen zu der älteren verhielt, in welcher Weise feministische Theorie aufgenommen worden war. Neben Kapiteln, die querschnittartig allgemeine Aspekte des Themas behandeln, stehen solche, in denen spezielle Fragen („authentisches“ Schreiben, Poetik der Sinnlichkeit) im Zusammenhang mit einzelnen Autorinnen (Barbara Köhler, Gabriele Stötzer-Kachold, Kerstin Hensel) untersucht werden. Hier kann nur auf einige Aspekte dieser ungemein kenntnisreichen und gründlichen Publikation verwiesen werden. B. Dahlke hält sich nicht lange mit den Ausgrenzungsmechanismen auf, die unspektakulär funktionierten und es schreibenden jungen Frauen schwer machten, „als gleichberechtigte Kolleginnen anerkannt zu werden, sich nicht in die dekorative Rolle der Geliebten oder ,Muse‘ drängen zu lassen“. Die beiläufige Bemerkung eines Autors „Frauen könnten nunmal keine Gedichte schreiben“ (43), wird nicht als besonders böswillig aufgefaßt. So wurde schon immer gedacht und argumentiert. Dahlke interessiert sich vor allem dafür, warum die meisten Frauen diese Ausgrenzung hingenommen haben. Entschiedene Reaktionen, wie sie Stötzer-Kachold mit ihren Texten, z. B. in „das gesetz der szene“, zeigte, waren eher die Ausnahme. Da sie in dieser Marginalisierung das überkommene Übliche sahen, zeigten nicht wenige Autorinnen Gelassenheit. Eine nicht geringe Rolle mochte auch das Gefühl gespielt haben, daß es nicht lohne, in der Auseinandersetzung mit den immer gleichen Borniertheiten Kräfte zu verschleißen.

In einem Anhang von mehr als 100 Seiten werden Gespräche mit sieben Autorinnen wiedergegeben, die Dahlke in den Jahren 1992/93 geführt hatte. Die Gespräche sind ergiebig, weil das Interesse an den Sachfragen und an der Gesprächspartnerin das Klima bestimmte. Die Verfasserin stellte keine „Fangfragen“, kam jedoch verschiedentlich sehr beharrlich auf Punkte zurück, denen Autorinnen auswichen. Wie der gesamten Arbeit mag auch den Interviews zugute gekommen sein, daß die Fragende (geb. 1960) der gleichen Generation angehört wie die Autorinnen (geb. zwischen 1951 und 1964). Sie teilen viele Erfahrungen. Dies gilt nicht für das Gespräch mit Elke Erb (Jg. 1938), auf die sich mehrere junge Autorinnen berufen. Um so bemerkenswerter, daß gerade dieses Gespräch, ungeachtet des Generationsunterschiedes, dem Elke Erb eher weniger Bedeutung zumißt, außerordentlich reich an Überlegungen und Anregungen ist. Sowohl in den Gesprächen als auch in der analytischen Darstellung geht es immer wieder um das Verhältnis zur feministischen Theorie, bzw. ihren verschiedenen Strömungen, vor allem auch zum „weiblichen Schreiben“. Das Bild, das sich dabei ergibt, ist sehr differenziert. Ein schematisches Jaja-Neinnein schließt sich aus, weil die Autorinnen sondieren, was sie entsprechend eigener Lebenserfahrungen aus dem widerspruchsvollen Theorieangebot für ihre Bedürfnisse als Schreiberinnen brauchen können.

Birgit Dahlke macht kenntlich, inwiefern bei ihrer Arbeit und den „Metamorphosen eines Themas“ die große Geschichte im Spiel war. Stichworte dafür: Beginn der Arbeit an der Dissertation 1987, Orientierungsschwierigkeiten mit dem Ende der DDR, die Flut politisch motivierter Auf- und Abwertungen der Zeitschriftenszene, Evaluierung und Abwicklung ihrer Arbeitsstelle an der Akademie der Wissenschaften der DDR, dank eines Stipendiums Weiterführung der Dissertation, mit der täglichen Belastung einer alleinlebenden Frau mit zwei Kindern. Diese Turbulenzen in der eigenen Entwicklung als Wissenschaftlerin hat sie als Chance genutzt, Meinungen und Wertungen, auch die eigenen, gründlich zu hinterfragen. Das ermöglicht im Gewirr der sich verändernden z. T. modischen Diskurse Eigenständigkeit. Es ist keine Verlegenheitsfloskel, wenn sie am Ende ihrer Untersuchung bekennt, einen „neuen Anfang“, d. h. neue Fragen und Probleme vor sich zu sehen. Es hat mit dem zu tun, was sie in Anlehnung an Roland Barthes die „Verantwortlichkeit des Kritikers gegenüber seinem eigenen Reden“ nennt.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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