Eine Rezension von Rudolf Kirchner

Böwes Fontane

Der Schauspieler Kurt Böwe und Theodor Fontane. Ein Lesebuch.

Mitarbeit Hans-Dieter Schütt.

Das Neue Berlin, Berlin 1997, 360 S.

Eigentlich ist es bedauerlich, daß zu bestimmten Anlässen stets eine ganze Flut von Büchern erscheint. Denn in der Masse von neuen Titeln gehen dann nicht selten die besonderen, neuartigen oder auch nur wirklich lesenswerten Arbeiten schnell unter. Vor allem dann, wenn Literaturkritik und Medienöffentlichkeit nicht die Trommel rühren.

Auch zum 100. Todestag von Theodor Fontane kann man 1998 mit einer solchen Flut neuer Titel über und Ausgaben von Fontane rechnen. Da kommt das vorliegende Lesebuch vielleicht gerade noch rechtzeitig „vor dem Sturm“. Und da es ein besinnliches, nachdenkliches Buch ist, tut ihm das bestimmt gut.

Die Idee dieser Auswahl besteht darin, bekannte und weniger bekannte Fontane-Texte zu bestimmten Lebensabschnitten des Jubilars zusammenzustellen, um so dem Leser die Möglichkeit zu geben, das Leben und Schaffen Fontanes in einer gewissen Einheit schrittweise nachzuvollziehen. Dieses nun gar nicht neue Herangehen an ein Lesebuch aus den Werken eines Schriftstellers wird gekoppelt mit dem Leben und Wirken des Schauspielers Kurt Böwe und „seinem“ Fontane: „Das ist eine Sammlung von Texten, die in ein interessantes, wechselreiches Dasein führen und die den 1929 geborenen Böwe bewegt haben, mit wachsendem Alter neugierig auf sein eigenes Leben zu werden.“ (S. 17) Böwe meint, man müsse Geduld haben, bis ein Dichter seinen Leser ruft: Ihm hat es vor allem der alte Fontane angetan, den er immer wieder liest, öffentlich und ganz privat. Und um diese Texte geht es hier, weshalb auch mit der Lebensbilanz beider, Fontanes und Böwes, begonnen wird.

Dann aber folgt beinahe chronologisch das „Leben Fontanes in eigenen Texten“: Kindheit und Lehre, das Revolutionserlebnis 1848, die Nachrevolution und die schlimmen Monate an der Akademie der Künste, Aussagen zu Berlin, die Reisen, der Theaterkritiker, der siebzigste Geburtstag, Alter und Tod. Auszüge aus Romanen (Der Stechlin), aus autobiographischen Werken (Meine Kinderjahre, Von Zwanzig bis Dreißig) und aus Briefen bilden die Textgrundlage. Zu den weniger bekannten Schriften zählt dabei sicher der Auszug aus dem „Wangenheim-Kapitel“. - Eingestreut als Kommentare aus zweiter Hand sind Beiträge von Alfred Kerr, Sebastian Haffner und Thomas Mann.

Und dann sind da die - leider recht wenigen - Informationen zu und von Kurt Böwe selbst, zusammengetragen von dem Berliner Journalisten Hans-Dieter Schütt. Sie umschließen die Fontane-Texte wie einen Rahmen; mit „Böwes Fontane“ wird der Band eröffnet, mit „Böwes Abschied“ beendet. Als Leser hätte man sich zu den Böwe-Beiträgen zweierlei gewünscht: erstens etwas mehr und persönlicher den eigenen Zu- und Umgang mit Fontane dargestellt, vielleicht auch direkter zu dem einen oder anderen ausgewählten Text; zweitens etwas mehr Böwe persönlich - etwa wie „Böwe bei Gaus“ (S. 13-15), ohne die Vermittlung von Schütt. Denn der Leser ist hier ja nicht nur neugierig auf die ausgewählten Texte, in denen er „seinen“ Fontane wiederfindet oder auch neu entdeckt; er möchte auch wissen, warum Kurt Böwe gerade diese Stellen ausgewählt hat. Vielleicht hätten ja bereits ein paar Rollenfotos des Kurt Böwe als stille Kommentare ausgereicht?

Wenn man das Buch beiseite legt, weiß man, daß es vor allem der skeptische Fontane war, den Böwe gesucht und gefunden hat. Zwischen dem Vers „Immer klüger und gescheiter / Und wir kommen doch nicht weiter“ und der Feststellung, daß ein Anderswerden nicht unmöglich sei, aber nach den „sich immer gleichbleibenden seelischen Mischungsverhältnissen, höchst unwahrscheinlich“, findet der Zeitgenosse Böwe seinen für sich so aktuellen Fontane: „Das den Dingen scharf ins Gesicht sehn ist nur momentan schrecklich, bald gewöhnt man sich nicht nur daran, sondern findet in der gewonnenen Erkenntnis, auch wenn die Ideale darüber in die Brüche gingen, eine nicht geringe Befriedigung.“


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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