Eine Rezension von Karl-Heinz Arnold

Geheimer Informator „Eva“

Norbert F. Pötzl: Basar der Spione
Die geheimen Missionen des DDR-Unterhändlers Wolfgang Vogel.

Spiegel Buchverlag/Hoffmann und Campe, Hamburg 1997, 544 S.

Am 8. Juli 1980 wurde vor dem Landgericht Berlin (West) eine Unterlassungsklage des Rechtsanwalts Wolfgang Vogel gegen die Gesellschaft für Menschenrechte, Frankfurt a.M., verhandelt. Die hatte behauptet, Vogel sei hoher Offizier der DDR-Staatssicherheit. Seine Anwältin Schulenburg teilte lautstark mit: „Ich würde mich dagegen verwahren, mit einem Offizier des Staatssicherheitsdienstes in der gleichen Anwaltskammer zu sein.“ (Vogel war auch in Westberlin zugelassen.) Ein zweiter Rechtsvertreter des Klägers, von Wedel: „Wenn einer behauptet, der Anwalt sei Agent der Verfolgungsbehörde, dann ist das nicht mehr steigerungsfähig, und die Ehre muß vollständig wiederhergestellt werden.“ Statt eines fetten Prozesses mit Beweisaufnahme aber gab es einen mageren Vergleich - die beklagte Gesellschaft verzichtete nur darauf, ihre Behauptung zu wiederholen.

So nachzulesen bei Jens Schmidthammer: Rechtsanwalt Wolfgang Vogel, Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1987. Nun, ein Jahrzehnt später, teilt „Spiegel“-Redakteur Pötzl in seinem von Vogel auf sachliche Richtigkeit durchgesehenen Buch mit, daß der ehemalige Anwalt sehr wohl „Agent der Verfolgungsbehörde“ gewesen ist. Im 1. Kapitel wird seine Einbindung in den Apparat des MfS eingehend dargestellt. Die „ohne Bedenken“ unterschriebene Verpflichtung zur Mitarbeit datiert vom 10. November 1953; Vogel „wählte sich den Decknamen ,Eva‘“, den Vornamen seiner damaligen (ersten) Frau, so Hauptmann Johde in seinem Verpflichtungsbericht. Der Geheime Informator (GI) der MfS-Abteilung V/5 bekam die Agentennummer 4148/53. Autor Pötzl kommentiert mit dürren Worten, der damalige Referent im DDR-Justizministerium „war nun formal einer von damals rund 20000 Zuträgern der DDR-Staatssicherheit“. Im September 1955 wurde der inzwischen als Anwalt zugelassene Vogel zum Geheimen Mitarbeiter mit dem Decknamen „Georg“ befördert.

In dreizehn Kapiteln sowie Prolog und Epilog versucht das Buch, so der Autor, „die wichtigsten Stationen des west-östlichen Agentenhandels, vornehmlich anhand von Dokumenten, nachzuzeichnen. Es versucht nicht, aus einem Menschen mit Fehlern und Schwächen einen Heiligen zu schnitzen. Es deckt deshalb auch den Teil der Biographie Vogels auf, der ihm heute unangenehm ist und den er gern verdrängen würde: seine frühe Stasi-Verstrickung. Aber ohne diesen dunklen Fleck in seiner Vergangenheit wäre nicht erklärbar, wie Wolfgang Vogel zu seiner einzigartigen Rolle gekommen ist.“

Pötzl, der sich nicht im unangenehmen naßforschen Stil des „Spiegel“, sondern zurückhaltend sachlich äußert, verwendet - neben bekannten Informationen - Akten aus Vogels Archiv, des US-Außenministeriums, der CIA, des KGB sowie des MfS. Er hat ausführliche Gespräche mit Vogel sowie anderen Zeitzeugen geführt. Aus dieser Aufzählung des Autors ergibt sich, daß ihm - wie zu erwarten - keine Unterlagen des Bundeskanzleramtes, des BND und anderer Bundesbehörden zur Verfügung gestanden haben; sie sind gesperrt. Auch die Möglichkeit, Auskünfte von Bonner Amtsträgern mündlich zu erhalten, muß wegen deren Schweigepflicht minimal gewesen sein.

Das gebotene Material ist dennoch füllig. Es mußte angefragt, beschafft, gesichtet, bewältigt werden. Keine geringe Mühe. Sie brauchte ihre Zeit. Bereits Ostern 1995 stimmte Vogel zu, „die noch unerzählte Geschichte der unter seiner Mitarbeit ausgehandelten Agentenaustauschfälle in einem Buch aufzuschreiben“. Die vorliegende Darstellung geht darüber hinaus, insbesondere mit den Passagen über den Freikauf von Häftlingen aus der DDR, der unvermeidlich zum Thema und zur Person gehört.

Sowohl durch den Informationswert als auch durch die größere Zeitspanne der erfaßten Vorgänge übertrifft diese Publikation das genannte Buch von Schmidthammer. Beiden ist eine behutsame, fast kritiklos-freundliche Behandlung Vogels eigen. So hat Pötzl es nicht übers Herz gebracht, die sich aufdrängende Frage nach Interessenkonflikt oder Mandantenverrat auch nur anzudeuten. Er zitiert lediglich den Führungsoffizier des MfS: „Der GI ist in seiner Arbeit sehr gewissenhaft und bringt Aussagen von inhaftierten Personen, mit denen er als Rechtsanwalt zu tun hat.“ Dabei braucht Vogel heute einen Entzug seiner Anwaltszulassung nicht mehr zu fürchten - er hat sie 1990 zurückgegeben. Jens Schmidthammer war da 1987 problembewußter: Vogel „vertritt - und bekennt dies auch offen - die politischen und wirtschaftlichen Interessen seines Staates, der DDR, in humanitären Angelegenheiten und ebenso die Interessen der Ausreisewilligen und Inhaftierten, die mit dem Staat in Konflikt stehen“. Und: „Im Grunde müßte er wegen Interessenkollision entweder das Mandat seiner Regierung niederlegen oder das seiner Mandanten. Jeder ,vernünftige‘ Anwalt täte es, wollte er sich nicht des Parteienverrats verdächtigen lassen.“ Plötzl dagegen verzichtet im Epilog nicht auf die Wiedergabe einer Äußerung des US-Kongreßabgeordneten Gilman, Vogel sei ein „Mann von höchster Moral und Integrität“, kritisiert auch rüde die Ermittlungen der bundesdeutschen Justizorgane gegen Vogel.

Die vorliegende Publikation zeichnet sich durch sorgfältige, weitgehend exakte Darstellung aus. Wenige Unsachlichkeiten hätten vermieden werden können, so - neben der unangebrachten Justizschelte - die Attacken auf „SED-Staranwalt Kaul“. Sie wirken eher peinlich angesichts dessen exzellenter Qualität als Jurist wie auch seines Eintretens gegen Gesinnungsjustiz sowie für Opfer von NS-Verbrechen und Stasi-Willkür; erinnert sei nur an den zu Unrecht verurteilten Berliner Journalisten Hugo Polkehn, für dessen Rehabilitierung Kaul sich eingesetzt hat.

Zu den Ungenauigkeiten gehört eine Passage zum Honecker-Besuch in Bonn, sie ist undatiert und soll sich wohl auf Oktober 1986 beziehen: „Derweil antichambrierte Vogel im Bonner Kanzleramt, um für seinen Staatsratsvorsitzenden die höheren Weihen eines Staatsbesuchers zu erhalten. Doch immer wieder wurde der Termin für die Visite, die Honecker so sehnlich wünschte, verschoben. Die Kohl-Regierung sah keine Eilbedürftigkeit, den Ost-Berliner Regenten zu empfangen, aber auch Gorbatschow war, wie Honecker nach der Wende Vogel anvertraute, lange Zeit gegen den Besuch gewesen.“

Dies ist zumindest mißverständlich, und das Detail, um das es hier geht, ist nur scheinbar nebensächlich. Von wem und weswegen wurde der Termin immer wieder verschoben? Die Bonner Regierung hatte damit überhaupt nichts zu tun. Kohl wünschte den Besuch ausdrücklich und ließ mehrfach nachfragen, wann Honecker denn käme. Die Visite - sie war bereits 1984 ein Schlagzeilenthema der bundesdeutschen Presse - ist nicht von Bonn verschoben, sondern von Moskauer Hardlinern immer wieder torpediert worden. Die traditionelle Haltung der sowjetischen Führung gegen Eigenmächtigkeiten der DDR, durch die Breshnew-Doktrin bekräftigt, bestand unter Andropow und Tschernenko weiter, wurde von Gorbatschow erst 1987 widerwillig durch eine Reiseerlaubnis modifiziert. Das „auch Gorbatschow“ kann nicht bedeuten, er war „ebenso wie Bonn“ gegen den Besuch, sondern muß heißen, zunächst blockierte ihn auch Gorbatschow - wie seine Vorgänger. Sicherlich will Pötzl keiner Legendenbildung Vorschub leisten, wonach Kohl den Besuch Honeckers „eigentlich gar nicht gewollt“ habe, was ja aus heutiger Sicht für manche Kreise eine wünschenswerte Version wäre. Mißverständliche Aussagen könnten aber für eine Geschichtsklitterung durchaus willkommen sein.

Alles in allem stellt diese Publikation die beachtliche Erkundung eines Gebietes der Zeitgeschichte dar, das noch immer erhebliche weiße Flecken aufweist. Der Autor hat - vielleicht mit Absicht, wahrscheinlich aber auf Veranlassung - darauf verzichtet, die widersprüchliche Persönlichkeit des Wolfgang Vogel zu analysieren. Kein Wort auch darüber, daß und wie Vogel zum Millionär wurde, immerhin hat sich die Justiz für die monetäre Seite seiner Vita ebenfalls interessiert. Das Buch läßt aber sehr wohl erkennen, mit welcher Energie, welcher Vorsicht, welchem Ehrgeiz und fachlichem Können dieser sich stets bedeckt haltende Anwalt im Laufe vieler Jahre eine politische Marktchance erkannt, genutzt, zu einer unangreifbar scheinenden Sonderstellung ausgebaut hat. Sie war am ehesten vergleichbar mit der Soloposition des Alexander Schalck und doch anders.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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