Eine Rezension von Hans Aschenbrenner

„Aber die Autobahnen, die Fackelzüge ...“

Gudrun Brockhaus: Schauder und Idylle
Faschismus als Erlebnisangebot.

Verlag Antje Kunstmann, München 1997, 334 S.

Die Autorin fragt nach der Beteiligung auch des „normalen“ Bürgers, nach den Beweggründen der Mitläufer der NS-Zeit - beileibe noch immer kein allgemein akzeptiertes Thema. Sie geht davon aus, daß über den subjektiven Zugang zu dieser Vergangenheit, die nicht vergehen will, neues Interesse für die historische Untersuchung der Nazizeit entstehen kann. Diese Erfahrung hat sie für sich selbst machen können, und sie möchte dies nun natürlich an Leserinnen und Leser weitergeben. Ihr Anliegen ist es, verschiedenen Spuren der emotionalen Erlebniswelt des Nationalsozialismus nachzugehen und deren Wirkungsmechanismen aufzuspüren. Gudrun Brockhaus, Jahrgang 1947, Soziologin, Psychologin und seit 1977 im Institutsbereich Sozialpsychologie der Universität München sowie seit 1983 als Psychoanalytikerin in eigener Praxis tätig, hat bereits Arbeiten zur Sozialpsychologie des Nationalsozialismus (insbesondere zur Psychotherapie in der NS-Zeit, zur Rolle der Frau und zu fremdenfeindlicher Gewalt) veröffentlicht. Sie bevorzugt ein in der psychoanalytischen Arbeit ihrer Auffassung nach bewährtes Verfahren, sich von dem aufgefundenen Material ergreifen zu lassen und nicht durch eine schnurgerade These alle Nebenwege abzuschneiden.

An ganz unterschiedlichen Gegenstandsbereichen - von der Autobahn über Hitlerrede und Goebbels-Populismus bis zum Kitschroman - wird das faschistische „Erlebnisangebot“ untersucht. Benutzt werden dafür sehr heterogene Quellen, vor allem auch Interviews, Tagebücher, Filme, politische Texte. Sie habe es sich, schreibt die Autorin sympathisch-ehrlich und fast entschuldigend, nicht ausgesucht, daß die Ursachen für die Anziehungskraft des Faschistischen in so heterogenen Bereichen angesiedelt sind. Das Spezifische ihrer Betrachtungsweise sei die Konzentration auf die emotionalen Bedeutungen, die in den historischen, germanistischen, politologischen Untersuchungen der NS-Zeit eher am Rande stehen. In der Suche nach den verborgenen Sehnsüchten, Ängsten und Konflikten besteht die psychoanalytische Arbeit, und in diesem Sinne will sie einen Beitrag leisten zur Problematik der Anziehungskraft faschistischer Erlebniswelten auch bis in die Gegenwart hinein. Beunruhigende Kontinuitäten werden wiederholt klar und ohne Umschweife beim Namen genannt. Beispiel: Was ist so wichtig an den Autobahnen, daß sie die Positivbilanz des Dritten Reichs bis heute und bis in die Reihen der jugendlichen Neonazis hinein anführen?

Objekt der Analyse sind vor allem Werke der nationalsozialistischen Alltagskultur - Lieder, Bücher, Filme usw. -, aber auch die klassischen Abwehrformeln der Generationen der Großväter und Väter: „Aber die Autobahnen, die Fackelzüge ...“; „Damals gab es noch Gemeinschaft, Ideale; hat man als Frau noch etwas gegolten; konnte man sich noch sicher fühlen!“ Die Nationalsozialisten haben die Menschen mehr noch als über ihre spezifischen Programme durch Appelle an Emotionen und Erlebnisangebote mobilisiert. So schienen der Kult der Heimat und Beschaulichkeit Abenteuer und Welteroberung keineswegs auszuschließen; archaische Mythen standen neben der Begeisterung für modernste Technik; kleinbürgerliche Ordnungsbesessenheit stand neben Größenphantasien und der Selbstinszenierung einer vorwärtsstürmenden „Bewegung“. Die Faszination des NS-Faschismus bestand wesentlich auch in dem Nebeneinander unaufgelöster Widersprüche, im Versprechen, untereinander unvereinbare Bedürfnisse zu erfüllen. „Er gab der Illusion Raum, man müsse sich nicht für einen Lebensentwurf und dessen Begrenzungen entscheiden. Hinter den offenkundigen Widersprüchen - z. B. von Ordnungsliebe und Rebellionswünschen, von Kleinheits- und Größenphantasien, von Harmoniesucht und Gewaltbereitschaft, von Schauder und Idylle - wird eine psychologische Zusammengehörigkeit vermutet.“

Die vorliegende Publikation enthält eine Fülle hochinteressanten Materials. Arbeiten anderer Wissenschaftsdisziplinen werden ergänzt, funktionierender Alltag unter dem NS-Regime wird erklärt. Auch wenn die harte Politik, z. B. die in das alltägliche Leben hineingreifenden in- und ausländischen Feindbildvarianten der Nazis, etwas zu kurz zu kommen scheinen, das brutale NS-Regime wird dennoch weder verharmlost noch gar „gut-geschrieben“. Und Klartext gibt es auch zum oft gehörten „entschuldigenden“ Abwehrsatz der NS-Generation: „Wir haben nichts gewußt!“. „Vielleicht sollte man ihn“, so die Autorin, „wörtlicher nehmen und ihn nicht nur auf die Abwehr des Wissens um KZ und Judenvernichtung beziehen: Wir haben von nichts gewußt, wir haben nichts wissen wollen von der Wirklichkeit.“ Gewiß wäre es lohnenswert, zur Aufhellung des Themas noch weitere Quellen (persönliche Niederschriften aus jener Zeit, z. B. eines Victor Klemperer, oder Frontbriefe und noch vieles mehr) zu nutzen. Aber: Was hat die Autorin nicht alles herangezogen - Hymnen, Gedichte, Reden, Briefe, Drehbücher, Romane etc. -, um in die alltägliche NS-Welt hineinzutauchen. Sie versucht, die Texte zu verstehen, davon ausgehend, daß das Gesagte und Geschriebene über den wörtlichen Sinn hinaus auch eine emotionale Bedeutung trägt. Gezeigt wird, wie die Affinitäten von privater und politischer Ebene aussehen könnten, z. B. die Verbindungslinien, die es zwischen den Vernichtungswünschen gibt, die der Nationalsozialismus erlaubt und gefördert hat, und einer damals dennoch subjektiven und scheinbar unpolitischen Welt.

Die Autorin nennt das Ergebnis ihrer Beschreibungen des faschistischen Erlebnisangebotes eine Paradoxie, endet sie doch bei dem, was man schon immer gewußt hat: der Destruktivität des NS-Regimes. Begonnen hatte sie die Arbeit an dem Buch mit Elementen des nationalsozialistischen Angebots, deren Anziehungskraft sie relativ leicht nachvollziehen konnte; es waren dies die grenzüberschreitenden, intensiven, selbstwertsteigernden Erfahrungen, die über die Autobahnen, den BDM, die Fackelzüge, den Konsum von Romanen und Filmen möglich wurden. Dann aber drängten sich immer mehr Themen und Materialien in das Blickfeld der Autorin, die ihr fremd waren und für deren Faszination zunächst kein (kaum) Verständnis aufzubringen war - das exaltierte Siegesgekreische deutscher Dichter (etwa von Rudolf Binding oder Gottfried Benn) im Jahre 1933, die Haßorgien eines Ernst von Salomon, von Hitler und Goebbels, die süßliche Todespropaganda im von Veit Harlan, Regisseur des antisemitischen Hetzfilms „Jud Süß“ (1940), gedrehten sogenannten Unterhaltungsfilm „Opfergang“ (1944). Obwohl diese und viele andere Dokumente genau das zeigten, was die Nazis, die gewiß alles andere als verrückt waren, auch in der Realität umgesetzt haben - Haß und Zerstörung; Weltkrieg, Vernichtung der Juden und schließlich des eigenen Volkes -, vermochte Gudrun Brockhaus sie anfangs einfach nicht ganz ernst zu nehmen. Welch ehrliche Aussage: „Ich konnte nicht glauben, was in diesen Dokumenten steht. Inzwischen tue ich das.“


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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