Eine Rezension von Hans-Rainer John

Das Paradies auf Erden?

Christian Jacq: Ramses - Der Tempel der Ewigkeit

Deutsch von Ingrid Altrichter.
Wunderlich bei Rowohlt, Reinbek 1997, 414 S.

Nach Erscheinen des ersten Bandes (Ramses - Der Sohn des Lichts, „Berliner Lesezeichen“ Nr. 1/1998) war noch Hoffnung, daß sich der französische Ägyptologe Jacq (51) auch als ernst zu nehmender Romancier etablieren könnte. Immerhin hatte er mit dem jungen Ramses eine widersprüchliche Figur in den Mittelpunkt gestellt, indem er den Prozeß seiner Entwicklung zwischen dem 14. und 23. Lebensjahr schilderte, er hatte ihm vier interessante Schulfreunde an die Seite gestellt, Acha, Ameni, Moses und Setaou, die seinen umfassenden Lernprozeß begleiteten, er hatte mit der Rivalität zwischen Ramses und seinem Bruder Chenar und seiner Schwester Dolente Intrigen und damit Spannung ins Spiel gebracht, und er hatte seine Kenntnisse vom alten Ägypten dramaturgisch geschickt und unlehrhaft ausgebreitet. Das war nicht wenig. Da verzieh man das allzu idyllische Bild des reichen und blühenden Landes und die Idealisierung des unfehlbaren und gottgleichen Herrscherpaares Sethos und Tuja.

Der zweite Band Tempel der Ewigkeit, der die ersten drei von 43 Herrschaftsjahren von Ramses II. behandelt, erfüllt die geweckten Erwartungen leider nicht. Nach anfänglichen Selbstzweifeln ergreift Ramses tatkräftig das Staatsruder, er besetzt einige Spitzenämter neu und unkonventionell, stampft in Jahresfrist mit Pi-Ramses eine strategisch günstiger gelegene neue Hauptstadt aus dem Boden, errichtet die Säulenhalle von Karnak, den Tempelhof von Luxor, beginnt mit dem Bau des Ramesseums, plant den Felsentempel von Abu Simbel und bestraft Nubier für den Überfall auf einen Goldtransport. Am Ende fallen die Hethiter in Nordsyrien ein, und Ramses bricht auf, ihnen Halt zu gebieten.

Das ist eine ununterbrochene Erfolgsstory, die noch dazu von vielfältigen Zeichen göttlichen Wohlgefallens begleitet und unterstützt wird (eine gewaltige Nilüberschwemmung läßt überreiche Ernte erwarten, ein Phönix verheißt Glück, eine neue Zeitrechnung beginnt). Da wächst das Ansehen des Herrschers ins Unermeßliche, und die fortgesetzten und im übrigen lächerlich konzipierten Intrigen von Chenar und Dolente, die mit abgesetzten und benachteiligten Spitzenbeamten sowie ausländischen Agenten kooperieren, sind natürlich ganz und gar aussichtslos. Da fehlt nun wirklich jede Spannung. Nur schwarze Magie hat vorübergehend eine Chance, aber der Autor versucht nicht eine Erklärung dieses Phänomens, sondern er beschreibt es, als ob er selbst noch daran glaube.

Die vier alten Schulfreunde sind natürlich alle noch im Boot (Amenis Verrat allerdings bleibt gänzlich unmotiviert, und die Flucht von Moses wird nicht recht plausibel), aber neue interessante Figuren gelingen Jacq nicht. Die neugefundenen Amtsträger Nedjem, Romet, Nebou und Bakhen bleiben allesamt blaß, und ihre Wahl wirkt zufällig und wenig einleuchtend.

Nahzu unerträglich aber wird die Idealisierung des Herrscherpaares und der Lebensverhältnisse im alten Ägypten. Der Autor gibt auch nicht dem kleinsten Schwächepunkt Raum. Ramses ist nicht nur jung, schön, stark, gut, gerecht, er ist auch zurückhaltend im Einsatz der Macht und so unermüdlich im Dienste des Staates, daß er sich nur nachts ein bis zwei Stunden Schlaf gönnt (!): „Ein Pharao ohne jeden Makel, gleich einem Obelisken wie aus einem Block gehauen und imstande, jedwedem Sturm zu trotzen. Die Kraft der Jugend verstärkte diesen Anschein der Unverwundbarkeit noch.“ Und Nefertari, seine Frau, ist natürlich klug, von überirdischer Schönheit und Anmut, und sie begeht, wie es heißt, „nicht den geringsten Fehler“. Da ist es kein Wunder, daß sich sogar im Herzen der vernachlässigten Nebenfrau Iset keinerlei Eifersucht regt, denn: „Nefertari strahlte wie ein Sommerhimmel. Sie war eine Erscheinung, die jedem Achtung einflößte.“ Ohne Ramses und Nefertari, formuliert der Autor ohne Skrupel, würde „Der Nil zu fließen aufhören, würden sich keine Fische mehr in seinen Fluten tummeln, keine Vögel mehr in die blauen Lüfte erheben und die Menschheit wäre ihres Odems beraubt.“

Und natürlich gibt es unter dem Szepter solch außergewöhnlicher Staatslenker keinerlei Spannung zwischen Arm und Reich im Lande, zwischen weltlicher Macht und Priesterschaft, es gibt keine ausgebeuteten oder vernachlässigten Menschen, sondern nur den vom Herrscher gelenkten Gemeinschaftssinn freier Bauern, reicher Kaufleute, selbständiger Handwerker. Und vor allem qualifizierter Bauleute, die gut bezahlt und zufrieden sind und versehen mit Arbeitsschutzgesetzen und Gewerkschaftspausen. Im Ganzen also das Paradies auf Erden - war es doch Gesetz, „daß es keinem Kind des von Göttern gesegneten Landes an etwas mangeln durfte. Wie könnte man je ein Fest feiern, wenn auch nur ein einziger Magen Hunger litt?“ Da wird Historie maßlos geschönt, statt an Brecht zu denken: „Wer erbaute das siebentorige Theben?“

Es wird interessant sein zu verfolgen, was der Autor in den weiteren Bänden mitzuteilen hat. Die Intrigen der Mißvergnügten sind noch im Gange, der Hebräer Moses ist noch auf der Flucht, aber die Grenzen der Fähigkeiten von Ramses sind noch nicht einmal entfernt ahnbar. Es ist doch aber wohl verbürgt, daß Ramses eine Niederlage erlitt, als er die Hethiter aus Nordsyrien zu vertreiben suchte, und daß seine rasante Bautätigkeit die Kräfte seines Reiches schließlich überforderte. Das wird doch Jacq nicht gänzlich umdeuten können? Oder geht Pegasus mit dem Historiker durch und noch dazu, ohne ästhetischen Gewinn einzubringen? Im Moment gleicht der Sohn des Lichts bei Jacq noch der Sonne, deren Leuchten zum Leben erweckt, und wie gelähmt vor Staunen stehen die Massen vor der Macht, die dieser Herrscher ausstrahlt. Sie vermögen nur mit ehrfürchtigem Schweigen oder unbeschrieblichem Jubel zu reagieren. Und das ist auf die Dauer ziemlich langweilig.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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