Eine Rezension von Bernd Sander

Und das Schweigen war überall

Batya Gur: Du sollst nicht begehren

Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler.
Goldmann Verlag, München 1997, 506 S.

Die Autorin, Jüdin und für ihre schriftstellerischen Arbeiten mit vielen Auszeichnungen geehrt, lebt in Jerusalem und hat ihren jetzigen Kriminalroman in einen Kibbuz - eine israelische Siedlung - verlegt. Ein Kibbuz ist für den Außenstehenden ein seltsames Gebilde. Es schottet sich nach außen nahezu völlig ab; und man fühlt sich dennoch wie eine große Familie innerhalb Israels. Hier wird hart gearbeitet, viel diskutiert, und alle schwierigen Dinge werden innerhalb des Kibbuz gelöst. Alles scheint friedlich und harmonisch zu sein.

Doch wie so oft trügt auch hier der äußere Schein. Osnat Harel, die attraktive Witwe und leitende Angestellte des Kibbuz, wird mit Verdacht auf eine Lungenentzündung in ein Krankenhaus eingeliefert und stirbt dort. Die Ärzte stellen fest, daß sie an einem tödlichen Pflanzengift starb. Die Frage ist nun, war es Selbstmord oder Mord.

Die Polizei stellt alsbald fest, daß es für einen Selbstmord keinerlei Gründe gab. Osnat war angesehen im Kibbuz, verfügte über erheblichen Einfluß und wußte sich durchzusetzen. Und mit ihren Reformvorschlägen hatte sie sich nicht nur Freunde gemacht. Außerdem hatte sie auch noch einen Liebhaber, einen bekannten israelischen Parlamentsabgeordneten. Obwohl beide das geheimhalten wollten, wußte natürlich in dem kleinen Kibbuz jeder davon. „In einem Kibbuz kann man nichts geheimhalten“, so die Autorin.

Inspektor Michael Ochajon wird nunmehr mit den Ermittlungen beauftragt. Doch er stößt im Kibbuz auf eine Mauer des Schweigens. Eine der handelnden Personen sagt treffend zu dem Inspektor: „Wer nie in einem Kibbuz gelebt hat, weiß nicht, um was es geht. Von draußen ist es nicht zu verstehen, und alle eure Nachforschungen sind sinnlos. Von vornherein zum Scheitern verurteilt.“

Die Polizei geht mittlerweile davon aus, daß es sich um einen eiskalten Giftmörder handeln muß, der jederzeit wieder zuschlagen könnte, und so schleust man in den Kibbuz eine Agentin ein, die nach anfänglichen Schwierigkeiten von den Bewohnern auch wohlwollend aufgenommen wird. Der Inspektor und die Agentin, die im Laufe der Zeit mit mehreren Kibbuz-Bewohnern vertraut werden, können nunmehr hinter die Fassade der Siedlung schauen. Und da sieht alles gar nicht mehr so schön aus, wie vorgegeben und vorgespielt. Fürchterliche Risse tun sich da auf, Haß, Neid und unüberbrückbare Konflikte werden sichtbar. Die Fassade von Harmonie und Solidarität fällt mehr und mehr zusammen. Und da spielen Industriespionage und mysteriöse Grundstückskäufe eine Rolle, die wohlweislich den Kibbuz-Bewohnern verschwiegen wurden.

Es ist ohne Zweifel fesselnd, wie facettenreich die Autorin die verschiedenen Charaktere und ihre Motive schildert und immer wieder zu überraschenden Wendungen kommt. Es ist ein interessanter und spannender Kriminalroman, der den Leser in die faszinierende und häufig noch fremde Welt eines Kibbuz führt.

Batya Gur hat mit Inspektor Michael Ochajon einen interessanten Kriminalbeamten geschaffen, der mit viel Hartnäckigkeit, aber auch mit Humor und Brillanz seinen Fällen in Israel nachgeht. In ihren Büchern hat die Autorin Ochajon zu einer der bemerkenswerten Kriminalfiguren gemacht.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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