Eine Rezension von Christian Berger

Wort-Watschen

Peter Dittmar (Hrsg.): Künstler beschimpfen Künstler

Reclam Verlag Leipzig, Leipzig 1997, 119 S.

Stehen zwei Künstler in einer Galerie fünf Meter von einem Kollegen entfernt, kann sich der Abseitsstehende auf etwas gefaßt machen. Nach Strich und Faden wird der Kollege in die Pfanne gehauen. Künstler sind nie kleinlich im Kritisieren. Sämtliche Kunst-Künstler-Kritiken von Künstlern zusammengefaßt, bliebe kaum ein Künstler unbeschädigt, der den Sprung auf die Bühne der Weltkunst schaffte.

Der gut, gern und kräftig ketzernde Zeichner Horst Janssen blieb, so hat es zunächst den Anschein, vor den gnadenlosen Kritikeraugen verschont. Hat tatsächlich niemand Janssen ausgebuht? Glück, wie Janssen, hatten scheinbar auch die Grantler Alfred Hrdlicka und Wolfgang Mattheuer. Das kann doch nicht wahr sein! Das ist nicht wahr! So wenig Angriffsfläche bieten Hrdlicka und Mattheuer wahrlich nicht. Wer tat ihnen den Tort an, sie vor der Verbreitung schön-schnöder Kollegen-Schelte zu schützen? Peter Dittmar heißt der Kerl. Auf die Schnelle hat der Publizist den Band Künstler beschimpfen Künstler zusammengeschustert, mit dem Reclam Leipzig die dritte Schimpfkanonade abschießt. Es ist die stillste. Obwohl das größte Donnergetöse zu erwarten war. Nach Dichter beschimpfen Dichter, Philosophen beschimpfen Philosophen ist Dittmars Schimpf-Sammlung die, die am schnellsten aufgestockt und ausgebaut werden sollte. Nicht nur, weil das Kompendium gerechter wie ungerechter, gutgemeinter, weniger gutgemeinter, gar nicht gutgemeinter Gemeinheiten sowieso ungerecht ist. Ungerecht ist die generöse Bevorzugung der Maler, Maler und immer wieder Maler. Obwohl nicht zu verschweigen ist, daß ein bitterer, böser Zeitgenosse versuchte, dem ersten Kunstfürsten moderner Zeit, dem dänischen Bildhauer Bertel Thorvaldsen, der in Rom regierte und agierte, den Todesstoß zu versetzen. Obwohl über den letzten Großkunstfürsten der Moderne - sein Name war Beuys - die Künstlerkollegen wie gefräßige Heuschrecken hergefallen sind. Der Holzschneider HAP Grieshaber notierte eher griesgrämig denn grinsend: „Nichts erniedrigt so sehr, wie wenn der Ruhm bei den Falschen liegt, bei Beuys z. B.“ Hört, hört! Darauf kann sich auch die nichtkünstlerische Welt gut einen guten Reim machen. So ein Satz hat doch was vom edlen, ehrenwerten höheren Verallgemeinerungswert. Da kann man fröhlich feixen und muß nicht der edle, hilfreiche und gute Mensch sein, den Goethe sich wünschte. Warum besser sein als die keifenden Künstler?

So richtig es ist, daß der Ruhm oft bei den Falschen liegt, oft liegen ruhmsüchtige Künstler falsch, wenn sie sich reichlich mühen, den Ruhm der Gerühmten niederzumachen. Und das, geschickterweise, nicht nur mit penetranten, peinlichen, primitiven Pöbeleien. Auch bissig, gibt man sich gebildet, wie sich das für den kulturvollen Künstler gehört. Gibt sich gewitzt witzig. Auch um des puren Witzes willen. Und gleitet gelegentlich galant aus. Ohne zu geifern, geriet Max Liebermann, der immer eine ordentliche Lippe riskierte, hart an den Rand seiner geistigen, witzigen Möglichkeiten, als er bemerkte: „Ist das nicht merkwürdig, daß die Präzeptoren der heutigen Malerei Cézanne und van Gogh sind? Zwei Geisteskranke!“ Nach solchen Backpfeifen kann wohl niemand ohne Schadenfreude die saftige Liebermann-Schelte von Emil Nolde lesen. - „... daß die ganze junge Generation, übersatt, schon nicht mehr seine Arbeiten ansehen kann und mag. Daß sie erkannt, wie absichtlich dies alles ist, wie schwach und kitschig ...“ - Lügen wir uns nicht die Taschen voll!

Es ist eine Gaudi zu sehen, wer wem welche Wort-Watschen austeilt. Es darf gebuht, gebäht und Bravo, Bravissimo gerufen werden. Schließlich bleibt nur eine Gewißheit: Trau keinem Künstler, wenn er etwas über einen Künstler sagt! Schimpf und Schande über die ständige Schimpferei? Gott behüte! Die unverblümte Kritik der Künstler läßt nicht eine beliebige künstliche Blume des Bösen aufgehen. Kunst-Kritik der Künstler fegt oft mit einem Satz seitenlangen Schwachsinn selbsternannter Kunstkritiker beiseite. Wenn das kein Vergnügen ist. Da darf anhaltend ausgelacht werden. Drückt nur weiter fleißig auf die Kritik-Tube, liebe Künstler!


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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