Eine Rezension von Manfred Lemaire

Kein hoffnungsloser Fall

Katherine K. Beck: Die Erbin schreckt vor nichts zurück

Aus dem Amerikanischen von Helga Herboth.
ECON Taschenbuch Verlag, Düsseldorf 1996, 342 S.

Erster, bleibender und angenehmer Eindruck: Diesen Krimi hat eine Frau geschrieben. Er ist ungekünstelt und spannend, gut gebaut und lebensnah. Die handelnde Dame - der Begriff Heldin verbietet sich ganz und gar - muß mit ihrem Alltag fertig werden, ist eine Mischung aus burschikos und dünnhäutig, ganz weiblich - kauft gern Klamotten und muß sich dabei leider zurückhalten, schwindelt notfalls und manchmal ohne Not, hat Angst vor großen Messern und unübersichtlichen Situationen. Von beidem wird einiges geboten. Die Frau, ihr Leben, ihr Umfeld wirken so echt, weil die Autorin offenbar viele Details nicht erfunden und manches Biographische eingebracht hat.

Jane de Silva also, Ende dreißig, ansehnlich und intelligent, lebt wie Katherine Beck in Seattle, Pazifikküste der USA, knapp 200 Kilometer südlich vom kanadischen Vancouver. Sie hat nach dem Jahre zurückliegenden Unfalltod ihres rennfahrenden Mannes - dieser einzige etwas exotische Aspekt der Geschichte spielt im Grunde keine Rolle, wird nur erwähnt- nicht so richtig Tritt gefaßt, mal dieses, mal jenes versucht. Nun bietet sich die Chance, ihre dürftigen finanziellen Verhältnisse grundlegend zu verbessern: Ein verstorbener Onkel hat sein bedeutendes Vermögen in eine Stiftung eingebracht, die ihr zukommen soll. Deren Treuhänder aber - „eine Ansammlung mürrischer alter Männer, alle einstige Kumpel Onkel Harolds“ - dürfen das Erbe erst freigeben, wenn Jane einen juristisch hoffnungslosen Fall aufgespürt und als honorarfreie Detektivin gelöst hat. Hoffnungslos heißt, daß ein angeklagter Straftäter wegen eines Kapitalverbrechens wie etwa Mord oder Totschlag verurteilt worden ist, das er nicht begangen hat. Daher der Name „Stiftung zur Wiedergutmachung von Unrecht“. Einen solchen Fall zu finden und ihn auch noch bis zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit aufzudröseln, könnte die Quadratur des Kreises sein.

Onkel Harolds raffinierte Konstruktion, die ein wenig an das köstliche englische Kinostück von der Eine-Million-Pfund-Note erinnert, hat ihren hohen Schwierigkeitsgrad schon erwiesen. Erbin Jane ist nämlich noch frustriert von einem ersten Versuch, der ein Fehlschlag wurde, von den Treuhändern gewogen und zu leicht befunden. Diese Story kann im vorhergehenden Titel vergnüglich nachgelesen werden, ist ebenfalls bei ECON Taschenbuch erschienen (Die Erbin eilt von Mord zu Mord) und endete für die Dame Jane alles andere als vergnüglich. Dennoch unbeirrt, weil knapp bei Kasse und gewillt, Onkel Harold selig nicht zu enttäuschen, macht sie sich an einen neuen Fall. Der wird ihr als eine vage Möglichkeit von einem befreundeten Anwalt offeriert, dem es ebenfalls nicht glänzend geht. Da soll ein junger drogenabhängiger Mann in vollgekifftem Zustand eine Apothekersgattin erschossen haben, um an Geld zu kommen. Alle Tatsachen sprechen gegen ihn. Nur einer Geschworenen kommen nach dem Urteil Bedenken. Da war doch ein winziges, bisher unbeachtet gebliebenes Indiz ...

Im benachbarten Kanada, auf Vancouver Island, findet Jane schließlich den wirklichen Mörder und damit den Unschuldsbeweis für den hoffnungslos einsitzenden jungen Mann, der zwar keine Zierde der Gesellschaft, aber in dieser Sache unschuldig ist. Bis Jane alles beisammen hat, muß sie halsbrecherische Situationen durchstehen. Nur mit äußerster Mühe entkommt sie dem langen Messer des wahren Täters.

Man liest das Buch mit zunehmender Sympathie für die ebenso schwache wie zäh kämpfende Frauensperson. Als Draufgabe bekommt man einige erfrischende Lebensweisheiten aus weiblicher Sicht. Schließlich erfährt man noch, daß in Seattle der Espresso besonders gut ist und die Kanadier (wenn es „die Kanadier“ denn gibt) ein etwas anderer Menschenschlag als die US-Amerikaner sind (wenn es die denn gibt). Aus den beobachteten Unterschieden, die zugunsten der „Ahornblättrigen“ ausfallen, ist trotz Pauschalurteils etwas dran. Das schriftstellerische Können von Katherine Beck offenbart sich übrigens speziell in der Schilderung einiger Striptease-Auftritte, die das Entwürdigende dieses Geschäfts zwischen den Zeilen erkennen läßt und zugleich ohne viel Worte den männlichen Voyeuren eine solche Ohrfeige verpaßt, daß die weibliche Würde wiederhergestellt ist.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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