Eine Rezension von Heinz Buchholzer

Liebesgeschichte und Schönheitsfehler

Eva Schweitzer: Hauptstadt-Roulette

Argon Verlag, Berlin 1997, 297 S.

Der Schauplatz ist Berlin, wie sich denken läßt. Die Handlung spielt zwischen 1993 und 1995, wie einem dezenten Hinweis entnommen werden kann, wonach alle vorkommenden Personen erfunden sind, hingegen die geschilderten Stadtbau-Vorgänge und Hauptstadt-Wettbewerbe durchaus Bezüge zur Realität der genannten Jahre aufweisen. Dieser Zeithorizont gilt auch für das spezielle Gerangel um den Umzug von Bundesministerien von Bonn nach Berlin. Die Autorin hat es klüglich vermieden, hier allzu stark ins Detail zu gehen, wohl wissend, daß man den Leser damit ermüden oder verwirren könnte. Wohl wissend auch, daß sich Pläne erwartungsgemäß oder unerwartet ändern, was sich ja bestätigt hat. Das konnte nicht anders sein bei jener Mischung aus Dilettantismus, Verschwendung, Hinauszögern von Entscheidungen und tatsächlich neuen Erkenntnissen, die für den Umzug Bonn-Berlin und das regierungsamtliche Bauen in Berlin so charakteristisch ist. Die Feststellungen hierzu werden von Eva Schweitzer angenehm ironisch vorgetragen. Sie fügen sich unaufdringlich in die Handlung ein, ohne sie zu belasten, und sie sind im Prinzip 1998 noch ebenso zutreffend wie 1995.

Die handelnden Personen, auf deren beruflichem Feld die Kugeln der Hauptstadt-Roulette rollen (offenbar sind mit dem Buchtitel im wenig gebräuchlichen Plural mehrere Spieltische gemeint), bleiben überschaubar, Nebenfiguren werden nur skizziert. Gekonnt und wohl auch persönlich kenntnisreich wird die Befindlichkeit einer alleinstehenden, im Beruf erfolgreichen Frau geschildert, die, keineswegs mehr blutjung, eine Affäre beginnt. Diese schlägt zumindest von ihrer Seite in Liebe um, erscheint jedoch hoffnungslos, weil der beteiligte Mann seit Jahren in festen Händen ist und sich nicht entscheiden kann - oder es nicht will, weil es so bequemer ist. Die beiden, der noch keineswegs angejahrte Beamte aus dem Bonner Bauministerium und die Baustadträtin von Berlin-Mitte, entwickeln sich mit ihrer Beziehung zu den eigentlichen Trägern der Handlung. Die zunächst im Vordergrund agierende Journalistin Benni, in deren Zeitungsalltag die Autorin offenbar viel eigene Erfahrung bei den Zeitungen „taz“ und „Tagesspiegel“ hineingeschrieben hat, tritt etwas zurück.

Eva Schweitzer hat in ihrem Prosa-Erstling, der mit dem bunt besetzten Begriff Roman bezeichnet wird, auf sprachliche Experimente verzichtet. Anfänglich zu beobachtende Schnoddrigkeit verliert sich. Die Autorin erzählt anschaulich und schnörkellos, reiht kurze, anständig gebaute Sätze aneinander, bastelt nicht an Spannungsbögen oder Action-Feuerwerk, bemüht den unvermeidlichen, weil zu Alltag und Sonntag des Lebens gehörenden Sex angenehm zurückhaltend. Durchaus glaubwürdig dargestellt sind Eitelkeit und Borniertheit von Politikern und Architekten, Korruption von Amtsträgern, kriminelle Praktiken von Bauunternehmern. Ebenso realistisch vorgeführt werden die unappetitliche Küche einer Kreuzberger Wohngemeinschaft und ein geschmierter Beamter aus Bonn: „Nach drei Jahren haßte er alles, was im entferntesten mit dem Osten zu tun hatte.“ Zu oft bedient werden Klischees wie „vietnamesische Zigarettenschmuggler“ (in Wahrheit sind es Verkäufer, die Schmuggler haben andere Nationalitäten) und „Russenmafia“, beide übrigens - ohne alternative Angebote - als Nachteile des Mauerfalls bezeichnet und mit dem merkwürdigen Zusatz versehen „Die Kurden waren schon vorher dagewesen“. Ein fremdenfeindlicher Hauch? Die Formulierung „waren gewesen“ ist übrigens der einzige Sprachschnitzer im Buch. Zu den Vorurteilen, die dem Leser vorgesetzt werden, zumeist von der burschikosen Kreuzberger Journalistin Benni, gehört auch der Hinweis auf einen aus Ostdeutschland kommenden stellvertretenden Chefredakteur, „der den Unterschied zwischen einem Bericht und einem Kommentar nicht kennt“.

Die Autorin bedankt sich am Schluß bei vierzehn namentlich Genannten für Beratung und „engagiertes Gegenlesen“. Da hätte der eben zitierte Nebensatz über den dämlichen Ossi ebenso moniert und vermieden werden können wie die Vorführung eines durchaus nüchternen Russen, der in Karlshorst als Nachbar des eben zugezogenen Bonner Baubeamten auf den Balkon tritt und den Deutschen mit den Worten „Nastrowje, Towaritsch!“ begrüßt. Das heißt - auch in dieser schlechten Transskription - bekanntlich „Prost, Genosse!“. Wenn die Autorin dem Mann statt einer Stange Zigaretten (Vorsicht, Mafia!) wenigstens eine Flasche Wodka in die Hand gegeben hätte!

Im Bemühen um echtes Lokalkolorit werden auch Karlshorster Straßennamen genannt - leider falsch, so eine Königswinterer Straße statt Königswinterstraße und eine Rolandseckstraße statt schlicht Rolandseck. Da wird eine Spreefähre erfunden, die von Berlin-Mitte nach Karlshorst verkehrt, und das Heizkraftwerk Mitte zwischen nicht existenten Laubbäumen angesiedelt. Da gibt es einen Blick auf das Reichstagsgebäude mit der Bemerkung „Scheidemann hatte auf dem Balkon die Republik ausgerufen“. Das geschah in Wahrheit aber aus einem Fenster, während fast zur gleichen Zeit Karl Liebknecht dies tatsächlich von einem Balkon versuchte, allerdings von einem Balkon des Schlosses. Da gibt es - um auch dies noch zu monieren - auf den Berliner Straßen angeblich Autos aus dem Land Brandenburg mit Kennzeichen wie MFS, VEB, CIA, FDJ - kindlich anmutende Erfindungen, die den Leser kaum erheitern. Merke: Ein Roman ist Phantasieprodukt, aber soweit er sich erkennbar auf das Gebiet der Tatsachen begibt, müssen die Fakten stimmen.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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