Eine Rezension von Gabriele Reinhold

Hinter den Kulissen

Jan Eik: Der Geist des Hauses

Ein Friedrichstadtpalast-Krimi.
Ullstein Verlag, Gelbe Reihe, Berlin 1998, 224 S.

„Ich werde wieder versuchen, einen Krimi zu schreiben“, hatte Jan Eik dem LeseZeichen vor etwa anderhalb Jahren gesagt (5/96), und es klang, als wäre das eine große Bürde. Die nach der Wende ziemlich pauschal geübte Kritik an der angeblichen literarischen Betulichkeit der ostdeutschen Krimiautoren und ihrer „ordentlichen Art“ zu schreiben, hatte offensichtlich und leider viel zu lange ihre Wirkung. Nun aber ist er da, der neue Eik - nach siebenjähriger Krimiabstinenz -, und erzählt, verknüpft mit einem großartig recherchierten Stück Berliner Kulturgeschichte, einen höchst mysterösen Fall, mit Witz und Humor, viel Gespür für Lebensrealitäten und genauer Beobachtung menschlichen Verhaltens und mit deutlicher Sympathie für seine Hauptfigur.

Conny Pingel, seines Zeichens freier Journalist, ist mal wieder knapp bei Kasse und hat für fast jede Offerte der Berliner Redaktionsstuben ein ganz offenes Ohr: In der Stadt muß es doch etwas geben, „Gebäude, architektonische Ensembles, was weiß ich ... an denen sich die Geschichte der Hauptstadt, ja Deutschlands abgespielt hat ... Verstehen Sie, was ich meine?“ Ein bißchen Brainstorming, und schon trifft Conny die Erleuchtung: „Der Friedrichstadtpalast! ... Das ist das Thema, das Sie suchen ... Ich meine die Geschichte des Hauses, von der alten Markthalle bis zu Europas größtem Revuetheater.“(S. 17/18) Sein rasches Heureka! kommt nicht von ungefähr, denn tags zuvor erst hatte er - mehr wider- als freiwillig (aber was tut man nicht alles für eine Freundin) - den Abend dort verbracht, wie befürchtet mit wenig Vergnügen. Zum einen hatten ihn dort ungute Erinnerungen heimgesucht: Sein Freund Merten, ein ehemaliger Mitarbeiter des alten Revuetheaters, war vor zwanzig Jahren plötzlich spurlos verschwunden - angeblich aus Liebeskummer in den Westen abgehauen. Und dann war Conny auch noch über eine Leiche gestolpert. Was für den Krimi ein gelungener Auftakt ist, hätte Pingel vor weiteren Besuchen des Etablissements warnen müssen. Aber er bekommt seinen Auftrag, und das Geschehen nimmt seinen Lauf.

Es ist ein offenes Geheimnis (jedenfalls in dieser Story), daß der Friedrichstadtpalast, wenn nicht ein Wunder geschieht, wegen Geldmangels schließen muß. Ein bißchen Publicity kann da wirklich nicht schaden - vorausgesetzt, sie ist gut. Und Pingel ist überzeugend genug, sich der Leitung des Palastes mit der beabsichtigten Story über Tradition und Geist des Hauses als potentieller Retter des Revuetheaters zu empfehlen. Doch je tiefer er in die Geschichte des Hauses eindringt, wobei er die Gelegenheit nutzt, die alten Theaterhasen auch nach seinem verschwundenen Freund zu befragen, um so mehr beschleicht ihn der Verdacht, daß sich hier womöglich ziemlich böse Geister tummeln, als hätte das Phantom der Oper einen Bruder. Pingel scheint - bloß womit? - in ein Wespennest gestochen zu haben. Plötzlich säumen Leichen seinen Weg, und Dietmar Timm (der sich von einem naiven sächsisch-hemdsärmligen Oberleutnant zu einem smarten, modebewußten Kriminalkommissar in der nun gesamtdeutschen Hauptstadt gemausert hat) hat mal wieder allen Grund, mißtrauisch zu sein. Doch dann ist Conny selbst seines Lebens nicht mehr sicher ...

So weit und nicht mehr. Das besorgen leider schon die Werbetexte im Innern und auf der Rückseite des Romans. Mag sein, daß einige Leser es bevorzugen, die Lösung des Rätsels beizeiten zu erfahren. Denen sei ihre Lektüre empfohlen, ansonsten sei davor gewarnt.

Journalisten gehören längst zur Stammpersonnage von Krimis, meist als Amateurdetektiv wie in dem vorliegenden Fall. Und es ist ja auch naheliegend, sie in kriminalistische Abenteuer zu verstricken, schließlich müssen sie von Berufs wegen neugierig sein. Im übrigen ist Conny Pingel als Private eye kein Nobody mehr. Wer die Eikschen Krimis kennt, der ist ihm in Poesie ist kein Beweis schon einmal begegnet. Damals war er in einen als Suizid getarnten Mord verstrickt und hatte mit viel Eifer und noch viel untauglicheren Mitteln den volkseigenen Gesetzeshütern ins Handwerk gepfuscht. Seitdem sind zehn Jahre ins Land und natürlich nicht spurlos an Conny vorübergegangen. Ganz so sorglos und leichtfüßig kommt er nicht mehr daher, schließlich hat die Wende den Ostdeutschen nicht nur Demokratie und Bananen in Hülle und Fülle beschert, sondern auch einen außerordentlich seßhaften Kanzler sowie Arbeitslosigkeit und eine neue Qualität der Kriminalität. Das muß, schon der Glaubwürdigkeit wegen, selbst das sonnige Gemüt eines Lebenskünstlers wie Pingel etwas verschatten. Immerhin ist er noch respektlos genug, sich mit der Polizei oder, wenn‘s denn sein muß, auch mit Ganoven anzulegen, selbst auf die Gefahr hin, den kürzeren zu ziehen.

Die Lesbarkeit des Romans wird insbesondere von der Ausstrahlung dieser Figur bestimmt, über die Lockerheit und Amüsement wie geistige Substanz und Wirklichkeit eingebracht werden.

Im Thriller, meinte Agatha Christie, solle man, wie im täglichen Leben, nicht wissen, was im nächsten Moment geschieht. Auch wenn sich Eik an die goldene Regel der Krimilady weitgehend gehalten hat, ein Thriller von der Art, die einen atemlos vor Spannung werden läßt, ist Der Geist des Hauses nicht. Die Erzählkomposition bietet dem Autor die Möglichkeit, seine Stärken wie eine lebendig gestaltete Recherche, den Blick für das wirklichkeitsnahe Detail oder seine Begabung für das Mosaik voll auszuspielen, läßt aber auch die Gefahren seiner Schreibweise erkennen. Er hat es nicht eilig mit der Verwicklung und Aufklärung des Falls. Zwecks Erinnerung der Vergangenheit schickt er seinen Detektiv unter die Leute. Die haben alle ihre kleinen Auftritte und eine Menge zu erzählen, was das Geschehen auf kunst- und kulturhistorische Bereiche sowie aktuelle sozial-gesellschaftliche Probleme ausweitet und auf viel DDR-Reminiszenz. Das bringt wohl Farbe und Kontrast ins Spiel, die Krimihandlung aber nicht in jedem Fall voran. Da hätte etwas weniger vielleicht mehr Tempo und Spannung bedeuten können. Ein Lesevergnügen ist Der Geist des Hauses aber allemal - für Krimifans und für Berlininteressierte.

Aber auf ein Wort noch, Pingel! Wurden Sie an dem chinesischen Imbiß in der Reinhardtstraße zum Nulltarif bedient? Oder haben Sie sich dort den Bauch vollgeschlagen und dann die Zeche geprellt? Jedenfalls hatten Sie danach noch immer den von Jakob geschnorrten 50-Mark-Schein ungewechselt in der Tasche. Das Zeitalter der moralisch integeren Helden sei vorbei, wird ja von einigen Leuten der Krimiszene prophezeit. Also, Pingel, davon sollten Sie sich wirklich nicht beeindrucken lassen.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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