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Bücher kaufen und lesen - Tendenzen und Probleme

Interview mit Detlef Bluhm, Geschäftsführer des Verbandes
der Verlage und Buchhandlungen Berlin-Brandenburg e. V.

Herr Bluhm, nur noch wenige Monate und acht Jahre sind seit der Herstellung der Wirtschafts- und Währungsunion zwischen der BRD und der DDR vergangen. Wie haben der Buchhandel und die Verlage in Ostberlin und Brandenburg den Übergang in die soziale Marktwirtschaft gemeistert, und was ist zu den Folgen dieses Umbruchs zu sagen?

Zunächst einmal kann man feststellen, daß sich die Buchhandelslandschaft positiv entwickelt hat. Wir haben nach der Wende in Ostberlin und im Land Brandenburg - ebenso wie in den anderen neuen Bundesländern - ca. 20 % mehr Buchhandlungen als vor der Wende. Das war so nicht zu erwarten. Man hat angenommen, daß durch die Schließungen einiger unrentabler Buchhandlungen, die zu DDR-Zeiten wohl mehr aus politischen Gründen in bestimmten strukturschwachen Gebieten angesiedelt worden waren, das buchhändlerische Netz ausgedünnt würde. Dies war zwar auch kurzfristig der Fall, aber inzwischen hat sich durch Neugründungen das buchhändlerische Netz in den neuen Bundesländern stark erweitert.
Die Verlagslandschaft in den neuen Bundesländern ist etwas kritischer zu betrachten. Dort sind viele Verlage in Westbesitz übergeführt worden. Management by out, wie im Buchhandel, hat es kaum gegeben. Aber positiv ist anzumerken, daß durch diese Übernahmen Kapital und Know-how in die Verlage geflossen sind, was zur Folge hatte, daß die meisten von ihnen jetzt konkurrenzfähig mit den westlichen Verlagen sind und auch sehr spektakuläre Erfolge verbuchen konnten.

An welche Verlage denken Sie dabei?

Zum Beispiel an den Aufbau-Verlag mit den Klemperer-Tagebüchern und jetzt mit dem neuen Titel von Alfred Kerr Wo liegt Berlin? oder an Volk & Welt mit dem Thomas Brussig, also alles Bücher, von denen weit über oder fast 100 000 Exemplare verkauft worden sind, mit spektakulären Auslandslizenzverkäufen, der Vergabe von Filmrechten usw. Ich denke, daß die ostdeutschen und die Ostberliner Verlage seit einiger Zeit gut am Markt vertreten sind. In bezug auf die Mitarbeiter muß man natürlich sagen, daß auch in unserer Branche Personal abgebaut werden mußte, aber die Gründe hierfür liegen auf der Hand, da bildet unsere Branche keine Ausnahme. Es war ja in allen Bereichen der DDR-Wirtschaft so, daß eine unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht vertretbare Anzahl von Mitarbeitern beschäftigt wurde, und das mußte im Laufe der letzten Jahre reguliert werden, ein Vorgang, der natürlich in jedem Einzelfall schmerzlich war, aber es war nicht zu ändern.

Die Wende brachte ja nicht nur den früheren DDR-Verlagen und Buchhandlungen eine radikale Veränderung der Existenzbedingungen, sondern auch dem „Subventionsparadies“ Westberlin manchen Verlust an Liebgewonnenem. Wie sind diese verkraftet worden? Als Westberliner werden Sie das sicher beurteilen können.

Wir lebten vor der Wende im Grunde genommen auf einer kleinen ,Insel der Seeligen`, in einem Kulturbiotop, bis zu 50% vom Bund subventioniert. Ich glaube, 15 Milliarden waren es, die jährlich von der Bundesrepublik Deutschland herübergeflossen sind. Die Buchhandels- und Verlagslandschaft wurde allerdings nicht subventioniert. Natürlich gab es oder gibt es immer von der öffentlichen Hand Aufträge, seien es Ausstellungskataloge oder sonstige Publikationen, aber die kann man nicht als Subventionen bezeichnen. Die Verlags- und Buchhandelslandschaft mußte glücklicherweise nie subventioniert werden, und sie wird es hoffentlich auch zukünftig nicht nötig haben. Subvention bedeutet immer auch Abhängigkeit vom Staat und eröffnet Möglichkeiten der Einflußnahme. Etwas, das wir eigentlich nicht so gerne mögen. Insofern sind wir froh darüber, daß es uns nicht wie anderen Branchen in der Kultur geht, wenn sie nur die Theater, die Opernhäuser, Orchester usw. nehmen, die ja alle subventioniert werden müssen und dem politischen Willen damit auch stärker ausgesetzt sind.

Die Westberliner ein Opfer der Wende?

Die Fragestellung zielt daneben. Die mit dem Fall der Mauer einhergehenden Veränderungen sind natürlich positiv zu werten. Wer hätte schon zu hoffen gewagt, dies einmal zu erleben. Aber sie führten natürlich auch zur Veränderung der gesamten Stadtsituation, zum Beispiel zur Explosion der Gewerbemieten in einem bestimmten Zeitraum. Davon waren besonders unsere Buchhandlungen sehr stark betroffen, weiterhin die zunehmende Kriminalität und andere Begleiterscheinungen einer sich zur Metropole entwickelnden Großstadt. Das muß man eben auch sehen. Was sich in Berlin, um auf unsere Branche zurückzukommen, in jedem Fall sehr deutlich verändert hat, ist die Situation Berlins als Auslieferungsstadt. Wir hatten ja hier in Folge der Insellage der Stadt eine ganze Reihe von Verlagsauslieferungen. Dieses Auslieferungswesen ist, bis auf einige wenige Firmen die übriggeblieben sind, zusammengebrochen, weil es sich nun für die westdeutschen Verlage überhaupt nicht mehr rentiert hat, in Berlin eine zweite Auslieferung zu unterhalten. Überlebt haben nur die Verlagsauslieferungen, die schon zu Westberliner Zeiten die Auslieferung für Verlage nach ganz Deutschland übernommen hatten. Sehr positiv hat sich dagegen die Verlagslandschaft Westberlins nach der Wende verändert. Große Verlagshäuser, wie der Cornelsen-Verlag, einer der größten deutschen Schulbuchverlage, haben ihre Aktivitäten in Berlin zusammengezogen. Auch auf bemerkenswerte Neugründungen in Berlin ist hinzuweisen. Als Beispiele sollen hier genügen in Westberlin der Rowohlt. Berlin Verlag und in Ostberlin der Berlin Verlag. Wobei der Sprachgebrauch Ost- und Westberlin sich in diesem Zusammenhang immer mehr überholt hat, da zwischen Ost- und Westberlin ansiedlungspolitisch überhaupt gar keine Unterschiede mehr gemacht werden. Ich glaube nicht, daß bei Neuansiedlungen die Frage „gehe ich nach Ost- oder Westberlin“ heute noch eine nennenswerte Rolle spielt. Berlin ist insofern schon eine Stadt geworden, bei allen Unterschieden, die es natürlich nach wie vor gibt und die sicher auch noch längere Zeit existieren werden. Aber wenn man insgesamt auf die Entwicklung der vergangenen Jahre zurückblickt, jedenfalls die, die unsere Branche betrifft und im Vergleich mit anderen Wirtschaftsbereichen, dann kann man wohl sagen, daß die Gesamtentwicklung positiv zu bewerten ist.

Lassen Sie mich noch einmal auf die ostdeutsche Verlagslandschaft zurückkommen. Hier gab es doch sehr nachhaltige Einschnitte und folgenreiche Veränderungen in den vergangenen Jahren. Sind hier nicht irreparable Verluste entstanden?

Es gab zu DDR-Zeiten im wesentlichen zwei Verlagsstädte, das waren Berlin und Leipzig. Natürlich gab es auch Verlage in Halle, Rostock und anderen Städten, aber Berlin und Leipzig waren die beiden klassischen Verlagsstädte der DDR. Im Gegensatz zu Leipzig hat Berlin seine bedeutende Position als Verlagsstandort behaupten können. Wenn ich nicht irre, gab es zu DDR-Zeiten ca. 80 Verlage. Das waren ja alles Verlage, die ihren klaren Auftrag und ihr definiertes Arbeitsgebiet hatten, also Volk & Welt war für die internationale Literatur zuständig, Henschel fürs Theater usw. Jeder Verlag gab im Rahmen eines bestimmten zugewiesenen Kontextes seine Bücher heraus. Heute existieren mehr als 80 Verlage auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, also etwas mehr als früher. Natürlich ist die wirtschaftliche Sicherheit, die die Verlage zu DDR-Zeiten noch hatten, heute weg. Zu DDR-Zeiten hatten sie zwar Probleme mit dem Papier und der Zensur und andere Schwierigkeiten, aber im großen und ganzen war ja das Verlagsprogramm garantiert, das Signet geschützt, und Gefahr vor Konkurrenten bestand nicht. Allerdings muß zugegeben werden, daß, obwohl sich die Zahl der Verlage erhöht hat, diese insgesamt kleiner geworden sind und die Titelanzahl im Gegensatz zu früher gesunken ist.

Berlin war in vergangenen Zeiten das deutsche Verlags- und Buchhandlungszentrum. Trotz der Wiederherstellung der Einheit der Stadt scheint Berlin gleichwohl kaum Chancen zu besitzen, diese Stellung wieder zu erreichen.

In Berlin haben wir heute über 200 Verlage. Doch die Zahl sagt noch nicht viel. Infolge der Teilung haben sich Entwicklungen in Berlin in den vergangenen Jahrzehnten vollzogen, die sich nachhaltig negativ auf die Verlagsstadt Berlin ausgewirkt haben und noch auswirken. Ein Beispiel dafür ist das Verhältnis von Wissenschaftsverlagen und Publikumsverlagen. So haben wir mit dem wissenschaftlichen Springer-Verlag, dem Cornelsen Verlag als Schulbuchverlag oder Walter de Gruyter im nationalen wie internationalen Maßstab bedeutende große wissenschaftliche und Schulbuchverlage, aber auf der anderen Seite nur ganz wenige große Publikumsverlage, wie den Ullstein Verlag und den Aufbau-Verlag. Gefolgt von einer geringen Anzahl von mittleren Verlagen wie Volk & Welt, Wagenbach, die Nicolai-Gruppe usw. Danach kommt die große Masse der kleinen und Kleinstverlage, die sich in Berlin in den letzten 30 bis 35 Jahren entwickelt haben. Ausgangspunkt war die Studentenbewegung, wo sich sehr viele kleine Verlage gegründet haben. Die sich daraus ergebende Struktur - wenige sehr große und eine Masse von kleinen Verlagen und ein fehlender Mittelbau - prägt Berlin als Verlagsstadt nach wie vor. Es läßt sich nicht leugnen, die Position, die Berlin in den 20er Jahren hatte, wird nicht mehr wieder zu erreichen sein. Damals war Berlin nicht nur die Hauptstadt der Buchverlage, sondern auch und vor allem die der Zeitungsverlage, und in beiden Bereichen wird sich diese führende Stellung Berlins nicht mehr herstellen lassen. Es gibt einfach wenig überzeugende Argumente für die Verlage in München, Hamburg, Stuttgart und Frankfurt/M., nun ihre dortigen Immobilien zu verkaufen, sich von einem Teil ihrer Mitarbeiter zu trennen, die aus familiären oder anderen Gründen nicht nach Berlin kommen wollen oder können, um sich dann in das Abenteuer Berlin zu stürzen. Und außerdem haben sich die Zeiten, auch was die Kommunikationssysteme betrifft, gründlich verändert. Trotzdem, denke ich, wird sich Berlin als Verlagsstadt zukünftig positiv entwickeln. Nicht zu vergessen: Es wird noch eine Reihe von Rückwanderungen nach Berlin geben.

Sie erwähnten interessante Neugründungen in Berlin. Nennen Sie bitte dafür ein paar Beispiele.

Als jüngstes Beispiel ist hier der Alexander-Fest-Verlag zu nennen, der mit einem ausgezeichneten ersten Programm auf den Markt gekommen ist und der sich ganz bewußt in Berlin seinen Gründungsstandort gesucht hat. Daran sieht man schon, daß die Hauptstadt Deutschlands und die langsam wieder zur Metropole heranwachsende Stadt Berlin natürlich auf Verlage eine große Sogwirkung hat. Ich glaube jedoch nicht, daß es gelingt, München irgendwann zu überrunden.

Welchen Platz nimmt Berlin im Verhältnis zu den anderen großen Verlagszentren Deutschlands, insbesondere zu München, ein?

München ist immer noch die Verlagsstadt. In Berlin werden knapp 7 000 Titel jährlich produziert, in München sind es 14 000. Hier liegt Berlin auf Platz zwei hinter München, aber eben mit einigem Abstand. Nach der Entwicklung der Umsätze bei den Verlagen wie auch im Sortiments-Buchhandel ist es in Berlin in den letzten Jahren aufwärts gegangen. Die deutsche Hauptstadt ist der größte Standort des Bucheinzelhandels in Deutschland. Fast genau 7% aller deutschen Einzelhandelsumsätze mit Büchern und Zeitschriften werden in Berlin getätigt. 10% aller in Deutschland erschienenen Titel werden in Berlin produziert. Der Buchhandel hatte 1997 einen Umsatz von knapp 500 Millionen Mark, die gesamte Branche macht in Berlin einen Umsatz von knapp 2,2 Milliarden Mark. Das ist ein großer Markt, der sich in den letzten Jahren ständig aufwärts entwickelt hat.

Trotzdem sendet der Buchhandel unerfreuliche Signale. Angst und Sorge über Umsatzeinbußen machen sich breit. Worin sehen Sie die Ursachen für diese Tendenzen?

Es ist noch zu früh, um für 1997 mit konkreten Zahlen aufzuwarten. Fest steht allerdings, daß die Branche im Vergleich zu 1996 rückläufige Umsätze erwirtschaftet hat und daß die Umsatzentwicklung in Berlin schlechter gelaufen ist als im Bundesdurchschnitt. Die Gründe dafür liegen wohl vor allem in den schwächer werdenden Etats der öffentlichen Hand, denn im Gegensatz hierzu ist der private Konsum kaum zurückgegangen, teilweise sogar gestiegen. Diese Entwicklung ist bei der Haushaltssituation der Stadt zwar irgendwo begreifbar, aber mit irreparablen Konsequenzen verbunden: Viele Bibliotheken beziehen nicht nur keine neuen Bücher mehr, sondern müssen auch auf den Fortsetzungsbezug bisher erworbener Reihenwerke verzichten. Das führt dazu, daß irgendwann nur noch Rumpfbestände großer wissenschaftlicher Fortsetzungswerke vorhanden sein werden. Insgesamt gesehen keine positive Entwicklung. Diese Tendenz wird sich 1998 fortsetzen. Das heißt, wir müssen wohl davon ausgehen, daß sich der Buchhandel auch in diesem Jahr wieder sehr warm anziehen muß.

Was läßt sich zum Kaufverhalten gegenwärtig für Berlin sagen, gibt es Unterschiede zwischen Ost und West?

Wir hatten nach der Wende in den neuen Bundesländern zunächst im Bereich der ganz populären Belletristik einen echten Boom. Werke von Simmel, Konsalik, Uta Danella, also die etwas leichte erzählende Belletristik, waren die Renner. Karl May z. B. ist unglaublich viel verkauft worden, aber das hat sich schnell geändert. Dann gab es auch eine enorme Nachfrage zum Sachbuch. Gefragt waren Bücher zum Steuerrecht, zum GmbH-Recht und Literatur zur Fort- und Weiterbildung. Dieser Boom ist dann auch - einhergehend mit der Reduzierung der staatlichen Förderung von Umschulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen - abgeebbt. In bezug auf die verschiedenen Warengruppen ist das Kaufverhalten heute relativ ähnlich, vielleicht mit einem etwas stärkeren Griff zum Taschenbuch in den neuen Bundesländern. Dies ist in erster Linie der wesentlich geringeren Kaufkraft geschuldet. Sehr erfreulich aus unserer Sicht ist, daß in den letzten ein bis zwei Jahren in den neuen Bundesländern inzwischen wieder mehr schöngeistige Literatur, Belletristik, gelesen wird, mehr als in den alten Bundesländern, das haben Untersuchungen ergeben. Vergleicht man die in den verschiedenen Warengruppen bevorzugten Titel, gibt es naturgemäß zwischen den alten und neuen Bundesländern oft größere Unterschiede - bestimmte Autoren, bestimmte Verlage und bestimmte Titel werden sehr unterschiedlich rezipiert. Darüber muß man sich nicht wundern, da bestimmte Probleme und Themen, die in den neuen Bundesländern aktuell sind und mit Interesse aufgenommen werden, in den alten Bundesländern kaum ankommen. Insofern unterscheiden sich auch die Bestseller-Listen bei manchen Titeln eben sehr. Es gibt also Titel auf der West-Liste, die im Osten gar nicht auftauchen und umgekehrt auch. Im großen und ganzen hat sich das Leseverhalten aber schon angeglichen.

Auf den ersten Blick scheint die Zahl der Verlage zu wachsen, die Verlagslandschaft immer vielfältiger zu werden. Auf den zweiten Blick erweist sich dies jedoch als Täuschung. Anstatt Vielfalt ein immer weiter schreitender Konzentrationsprozeß. Wie ist diese Entwicklung für den Buchhandel und das Verlagswesen in Berlin einzuschätzen?

Der Konzentrationsprozeß im Verlagswesen ist wesentlich höher als der im Bucheinzelhandel. Beide Prozesse sind aber in Bewegung. Sowohl im Verlagswesen als auch im Buchhandel nimmt die Konzentration ständig zu, und in Berlin beginnen sich diese Prozesse eigentlich erst richtig zu entwickeln. Bis zum Sommer 1997 standen in Berlin ca. 50 000 qm buchhändlerisch genutzter Verkaufsfläche zur Verfügung. Diese Fläche wird sich bis Mitte 1998 um etwa 20% auf fast 60 000 qm erhöhen, ein erheblicher Teil durch Zuzüge aus den alten Bundesländern. Das kann natürlich nicht ohne Auswirkungen auf den Markt in Berlin bleiben. Durch Zusatzumsätze oder Zusatzkäufe von Neukunden kann das alles nicht finanziert werden, sondern hier werden auch Verdrängungsprozesse stattfinden. Wir merken, daß die ansässigen Berliner Buchhandlungen auf diese Prozesse entsprechend reagieren; entweder sie sind kapitalkräftig und groß genug und können neue Filialen gründen oder das Hauptgeschäft ausbauen wie zum Beispiel Kiepert, oder sie müssen sich anderweitig bemühen, diesem wachsenden Druck standzuhalten, und durch neue Strate- gien versuchen, neue Käufer zu gewinnen.
Wir erwarten schon, daß diese Neuansiedlungen, es sind ja nicht nur Hugendubel, Dussmann, Thalia oder Kiepert, sondern es kommen ja dann noch mehr dazu, zur Verschärfung des Wettbewerbs beitragen und wahrscheinlich auch dazu, daß die eine oder andere bisher ansässige Buchhandlung das möglicherweise nicht überleben wird. Vielleicht noch ein paar Zahlen zu dem von Ihnen angesprochenen Konzentrationsprozeß. Während ca. 26% der Buchhandlungen in Deutschland 80% des gesamten Umsatzes auf sich vereinigen, sind es lediglich 7% aller Verlage, die 80% des Gesamtumsatzes erwirtschaften. Die Umsatzkonzentration im Verlagswesen ist also ungleich stärker als im Einzelhandel mit Büchern. Dabei ist noch anzumerken, daß die Umsatzkonzentration im übrigen Einzelhandel bzw. dem produzierenden Gewerbe noch höher liegt. Ich denke, daß die Preisbindung für Bücher sich in unserer Branche positiv, also hemmend, in bezug auf die sichtbaren Konzentrationsprozesse auswirkt.

Sind nicht Kulturkaufhäuser wie das von Dussmann eine beträchtliche Gefahr sowohl für die kleinen Buchhandlungen als auch für die Verarmung der Sortimentsbreite?

Dussmann tritt ja zunächst einmal mit einem völlig anderen Konzept an. In einem Medienkaufhaus, das die verschiedensten Medien, wie Video, CD, Schallplatten, neue Medien, Bücher, alles unter einem Dach präsentieren und auch in der Art der Präsentation neue Maßstäbe setzen will, ist die Buchabteilung eben nur noch eine Abteilung neben anderen. Bei Kiepert ist das Konzept ein völlig anderes, da spielt das Buch nach wie vor die Hauptrolle. Ich glaube nicht, daß man sagen kann, Dussmann sei quasi ein Vorreiter einer eben nicht mehr so intensiven Buchkultur. Es kann sehr wohl sein, daß ein Medienmix, wie dort vorhanden, Zielgruppen zum Buch führt, die vorher dem Buch eher reserviert gegenüberstanden. Ein beredtes Beispiel erlebten wir bei der „fnac“. Als „fnac“ in Berlin eröffnete, hat es kaum eine Buchhandlung gemerkt, als sie ihre Pforten schloß, hat es auch kaum eine Buchhandlung gemerkt, wohl aber die Verlage, deren Umsatz ging zurück. Das heißt, offensichtlich war es der „fnac“ gelungen, einen bis dahin nicht für möglich gehaltenen Anteil an Nichtbuchkäufern zu Buchkäufern zu machen. Das hatten wir damals überhaupt nicht so erwartet. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, daß es bei Hugendubel so einen Effekt geben wird, aber ich könnte mir vorstellen, daß dieser Effekt möglicherweise bei Dussmann auftritt. Eben dadurch, daß er die Käufer, die sich für MC, für CDs, für neue Medien und für Videos interessieren, für sein gesamtes Medienangebot, also auch für die Bücher, gewinnen kann.

Eine andere Gefahr für das Leseland BRD scheint, will man den Verlegern und Buchhändlern Glauben schenken, in der Aufhebung der Buchpreisbindung zu bestehen. Aufgeregtheit macht sich allerorten hierüber breit. Teilen Sie diese?

Das ist ja keine Befürchtung, die aus dem luftleeren Raum kommt. In anderen Ländern ist die Buchpreisbindung ja bereits aufgehoben wie beispielsweise in Amerika. Gestern habe ich zufällig die Umsatzzahlen von Barnes & Nobles, der größten amerikanischen Buchhandelskette, gelesen, die liegen jetzt bei über 2,5 Milliarden Dollar Jahresumsatz. Das sind knapp 4 Milliarden Mark, also ein Viertel des Gesamtumsatzes des deutschen Buchmarktes inklusive der Verlage. Das heißt, in Amerika gibt es eine einzige Firma, die fast 25% des gesamten deutschen Umsatzes im Verlagswesen und im Buchhandel macht und die sich über den nichtgebundenen Ladenpreis, das heißt über Preiskämpfe und über Preiswettbewerb, diese Position in Amerika verschafft hat, indem sie die kleineren und mittleren unabhängigen Buchhandlungen vom Markt fegte.

Ähnliche Situationen gibt es natürlich jetzt auch in England und in Schweden. In Frankreich konnte „fnac“ nur deshalb zum größten Buchhändler werden, weil die Preisbindung zwischenzeitlich aufgehoben wurde. Nachdem sehr sehr viele mittelständische und kleine Unternehmen schließen mußten, hat man die Preisbindung in Frankreich wieder eingeführt. Der Verkaufspreis darf jetzt um 5% nach oben oder unten differieren. In Deutschland würde sicherlich, wie in jedem anderen Land, in dem die Preisbindung aufgehoben wurde, folgendes passieren: Es werden leistungsstarke Firmen auf dem Markt erscheinen, die heute vielleicht noch gar nicht auf dem deutschen Buchmarkt vertreten sind, und die bereits auf dem Markt vertretenen großen Firmen werden ihr Engagement verstärken. Sie werden anstreben, über einen Preiswettbewerb den kleinen mittelständischen Buchhandel zu ruinieren. Wir werden in wenigen Jahren dann verschiedene Anbieter haben, die über ein großes Filialnetz verfügen und die zwar im Bereich der populären Massenliteratur einige Bücher preiswerter anbieten, aber insgesamt werden die Buchpreise steigen, so wie sie überall, wo die Buchpreisbindung aufgehoben worden ist, gestiegen sind. Es wird ferner dazu kommen, daß diese großen Handelsketten dann ihre Nachfragemacht auch den Verlagen gegenüber ausnutzen werden.
Jeder Verlag, der sich einer solchen Handelsmacht gegenüber sieht, muß sich natürlich schon bei seiner Titelplanung fragen, ob denn der Zentraleinkäufer der Firmenkette X,Y... dieses Buch überhaupt einkaufen wird. Denn wenn er es nicht einkaufen wird, kann man die Produktion eines bestimmten Titels im Grunde genommen fast vergessen, weil es ja kaum noch ein entsprechendes Händlernetz außer diesem Anbieter oder diesen Anbietern gibt. Das heißt, eine Aufhebung der Buchpreisbindung gefährdet nicht nur die Struktur des Einzelhandels, sie gefährdet auch die Titelvielfalt.

Herr Bluhm, Ihr Amt als Geschäftsführer des Verbandes der Verlage und Buchhandlungen Berlin-Brandenburg e. V. ist, unter Berücksichtigung des oben Gesagten, in diesen Zeiten kein leichtes. Was hat Sie getrieben, Geschäftsführer zu werden, und was hält Sie, es in diesen Zeiten zu bleiben?

Von Haus aus bin ich Buchhändler, war Verleger, Mitarbeiter in Verlagen, Verlagsvertreter, bin hin und wieder auch als Autor und Herausgeber tätig, habe also im Grunde genommen alles in meinem beruflichen Leben gemacht, was man in dieser Branche machen kann. An einem bestimmten Punkt wurde mir die Frage gestellt, ob ich hier Geschäftsführer werden möchte. Mich hat interessiert, einmal für die gesamte Branche tätig zu werden und nicht nur partikuläre Interessen zu verfolgen. Mich hat die Vertretung einer Branche gereizt, die zwar eine Mischform aus Kulturbetrieb und Wirtschaftsverband ist, aber eben eine Branche, die mit einem besonderen Gut handelt, dem „Buch“, das zugleich Kulturgut ist.

Was liest der Geschäftsführer des Verbandes der Buchhändler?

Im Moment lese ich gerade den Erstlingsroman des österreichischen Schriftstellers Thomas Glavinic Carl Haffners Liebe zum Unentschieden aus dem Verlag Volk & Welt. Es ist ein wunderbarer Roman über eine tatsächliche Begebenheit, nämlich den Kampf um die Schachweltmeisterschaft zwischen dem Berliner Schachweltmeister Emanuel Lasker und seinem Wiener Herausforderer im Jahre 1910.

Immer wieder in letzter Zeit greife ich zu Alfred Kerr: Wo liegt Berlin? Ein überraschendes Buch, das neue Einsichten über Berlin vermittelt. Wenn man bedenkt, daß diese Texte Kerrs viele Jahre unentdeckt gelegen haben, ist dieses unerwartete Buch für mich die beeindruckendste Neuerscheinung im Jahre 1997 gewesen.

Das Gespräch führte Hans-Jürgen Mende


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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