Eine Belletristik-Annotation von Hans-Rainer John

Sparks, Nicholas: Wie ein einziger Tag

Aus dem Amerikanischen von Bettina Runge.
Wilhelm Heyne Verlag, München 1996, 224 S.

Diese Geschichte ist schon viele Male erzählt worden und auch schon origineller: Boy (17) meets Girl (15), beide verbringen einen verliebten Sommer miteinander, werden aber durch das Leben wieder auseinandergerissen. Nach 14 Jahren verlobt sich Girl Allie mit dem prominenten Rechtsanwalt Lon, zur Hochzeit sind schon 500 Gäste (!) geladen, da zieht es sie noch einmal zu Boy Noah. Sie will sich eigentlich vergewissern, daß das weit zurückliegende Verhältnis Vergangenheit ist, aber es kommt, wie es kommen muß: Die alte Liebe lodert wieder auf. Kurz entbrennt der Kampf zwischen Liebe und Loyalität, die Liebe siegt. Lon bekommt einen Korb, und aus Allie und Noah wird ein glückliches Paar.

Kein Wunder. Lon ist zwar hübsch und reich, aber nur intelligent und fleißig, gewissenhaft und kameradschaftlich, eben zu sachlich und ehrgeizig, so daß Leidenschaft und Romantik auf der Strecke bleiben (weshalb Allie sich ihm auch nach vier Jahren und sogar 14 Tage vor der Ehe noch immer verweigert hatte). Noah dagegen gewinnt das Spiel trotz hemdsärmligen Aussehens mit Freundlichkeit und Sanftmut, mit Poesie (rezitiert Whitman und Eliot) und Naturverbundenheit. Indem er Kanu fährt und Krebse fängt, Schwäne beobachtet und einen Hund hält, den Zaun repariert und das Haus restauriert, erscheint er Allie eben unwiderstehlich sinnlich. (Alles Klischees) Entscheidende Hilfe bringt zudem ein Gewitterregen, der beide naßpatscht: „Ihr Kleid war völlig durchnäßt und klebte ihr am Körper, und er konnte sehen, wie sich die Umrisse ihrer Brüste unter dem Stoff abzeichneten.“ Aber auch Allie läßt ihrer Phantasie freien Lauf: „Sie spürte die Wärme seiner Hand und malte sich aus, wie sie über ihren Körper wandern, ihn langsam erforschen würde. Bei dem bloßen Gedanken stockte ihr der Atem, und sie fühlte ein Kribbeln in den Brustwarzen und eine plötzliche Hitze zwischen den Schenkeln.“ Also auch hier weder ein neuer Gedanke noch bestechendes Niveau.

Man könnte also die Geschichte rasch vergessen, wenn sie nicht einen Rahmen hätte: 49 Jahre später befinden sich Allie (78) und Noah (80) im Pflegeheim. Eine unwahrscheinlich glückliche Ehe liegt hinter ihnen, fünf Kinder sind ihr entsprossen, und Allie ist eine berühmte Malerin geworden, die in vielen Galerien ausgestellt hat (von Noahs beruflicher Entwicklung schweigt der Erzähler). Aber jetzt plagt er sich mit Arthritis, Prostatakrebs und Herzschmerzen, während sie Opfer von Alzheimer geworden, ihr Erinnerungsvermögen geschwunden ist: Sie vermag ihren Mann nicht mehr zu erkennen, und Anfälle und Krämpfe beuteln sie schwer. Wie Noah auch in seiner Hinfälligkeit noch Verantwortung für Allie wahrnimmt, wie seine überquellende und unversiegbare Liebe ein medizinisches Wunder bewirkt, ihre Krankheit wenigstens partiell zurückdrängt, und wie er sogar die Folgen eines Schlaganfalls überwindet, weil er die Hilflose nicht im Stich lassen will: Das ist bewegender Gegenstand dieser Krankengeschichte, in die geschickt Briefe eingebaut sind, die sich das lebenslange Liebespaar während der langen Ehe, die eben „Wie ein einziger Tag“ verging, geschrieben hat. Die Liebe im Verglühen, in Alter und Todesnähe, wird sonst wenig besungen - hier ist sie in großer Intensität gegenwärtig. Dieser Teil des Buches, ein Drittel etwa, ist gut komponiert und mit Takt und Sensibilität verfaßt. Er berührt tief und macht die Lektüre des Buches eigentlich erst lohnend.

Nicholas Sparks (31) aus Omaha/Nebraska - ein sympathisches Jungsgesicht blickt uns vom Buchumschlag her an - benutzt die Seite 1, das Buch seiner Frau in Liebe zu widmen, die Seite 2, um seiner Literaturagentin, die viele Stunden mit ihm gearbeitet hatte, und seiner klugen Lektorin wortreich zu danken. Er teilt den Lesern im übrigen mit, der Roman basiere auf dem Leben der geliebten Großeltern seiner Frau. Es ist sein erstes Buch. Ob Sparks beim Schreiben bleibt, wie weit seine Kreativität über den Erstling hinausreicht, ist wohl noch offen.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite